Positionen - Ernest Theußl
Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt

Wer in Graz vom Schloßbergplatz über den Edegger-Steg Richtung Mariahilferplatz wandert, wird das eigenartige „Nockerl“ mitten im Fluss, die Murinsel, nicht übersehen können.

Frei im Wasser schwebend, links und rechts die Arme ausgestreckt, verbindet sie in festem Griff die altehrwürdige Altstadt am Fuß des Schloßberges mit den Stätten umtriebiger Kommunikation zwischen Lend- und Griesplatz. Festgemacht an den gegenüberliegenden Ufern, kann die Insel ihre Balance halten und mitten im Strom Ruhe und Sicherheit ausstrahlen. Wer darübergeht, spürt instinktiv das Wagnis des schwankenden Bodens, aber in der Mitte angekommen, umfängt ihn sympathische Geborgenheit. Nicht eine Festung, sondern ein den Kräften der Natur ausgeliefertes Refugium.

Jedes Mal, wenn ich über diese Insel gehe, vom Schloßbergplatz kommend, die beiden mächtigen Türme der Mariahilferkirche vor Augen, kommt es mir in den Sinn: Ist das nicht ein starkes Bild für unsere Kirche? Unter freiem Himmel schwimmend, im harmlosen Fluss einer säkularisierten Gesellschaft, als ein Schiff, „das sich Gemeinde nennt“, ausgesetzt den Fluten, mal reißend, mal gemächlich, aber festgemacht an den Ufern der Tradition, des Gewachsenen und Bewährten, geleitet über die Treppen des Glaubens und abgesichert durch Handläufe der Zuversicht: Ich bin bei euch!

Eine Kirche, die von allen Seiten einsehbar ist, in der die Stege des Lebens zusammenlaufen, und die eine Mitte hat, wo der unruhige Geist rasten kann.

Ernest Theußl

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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