Positionen - Christian Teissl
Die übersehene Zeit

Der „Steirische Wortschatz“ von Theodor Unger und Ferdinand Khull, das erste große Wörterbuch der steirischen Umgangssprache aus dem Jahr 1903, enthält mehr als ein Dutzend von Begriffen, die alle mit der Fastenzeit zusammenhängen, wie etwa das Fastenpatent und den Fastenpfenning, Fastenblümel, Fastenbrot und Fastenbretze, das Fastenfarferl (eine Suppeneinlage) und den Fastenveigel (kein Vulgoname, sondern ein altsteirisches Synonym für die Frühlingsschlüsselblume), das Fastenhauen in den Weingärten und die dazugehörigen Fastenhauer, den Fastenmittwoch (der Mittwoch der Karwoche) und die Fastwoche (die zweite Woche nach dem Aschermittwoch).

Alle diese Wörter sind mittlerweile aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Während den Advent auch jene wahrnehmen, die ihn nicht feiern, weiß man im Allgemeinen von der Fastenzeit nur noch, wann sie beginnt und wann sie endet; was dazwischen liegt, ist eine Terra incognita, eine weithin übersehene Zeit.

Anders als den Advent kann man die Fastenzeit allerdings kommerziell nicht verwerten, kann man kein Geschäft mit ihr treiben. Sie hat keinen Marktwert und ist gerade deshalb in einer Welt, in der nur zählt, was sich verkaufen lässt, ein kostbares Gut.

Christian Teissl
teissl@mur.at

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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