Welthaus Graz
Wasser für alle?
Eine Frage der Gerechtigkeit.
Welthaus Graz lud Gäste aus Brasilien ein, um von den Herausforderungen der klimatischen Bedingungen im Nordosten des Landes zu erzählen.
Auf Einladung von Welthaus besuchten Gäste aus Brasilien im April die Steiermark: Bei Workshops, Vorträgen und Begegnungen mit Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft und Medien sprachen Aldenisse de Souza und Moisés Borges über ihren Einsatz für einen gerechten Zugang zu Wasser, Land und Energie.
Wie kann man sich die Lebensrealität im Nordosten Brasiliens vorstellen?
Aldenisse de Souza: Die Bevölkerung in dieser halbtrockenen Region ist sehr divers: An den Flussufern leben traditionelle Fischergemeinschaften, es gibt die Nachfahren der afrikanischen Sklaven, indigene Bevölkerung und andere Gemeinschaften. Die Menschen haben einen starken Glauben. Trotz der sozialen Ungerechtigkeiten und der Zerstörungen sind sie kämpferisch. Sie organisieren sich und versuchen, ihre Lebensweise in Harmonie mit der Natur zu verteidigen.
Welche Ungerechtigkeiten und Zerstörungen gibt es denn?
Aldenisse: Die Politik respektiert die Lebensweise der Menschen in der Region nicht. Viele Maßnahmen kommen im Nordosten gar nicht an – und wenn, dann wird einfach dem ganzen Land ein Muster übergestülpt: Das betrifft die Bildung, den Gesundheitsbereich, die Infrastruktur und Produktionsweisen, die nicht in die Region passen. Die Mehrheit der Bevölkerung sind Kleinbauernfamilien. Kleinbauern stellen 70 Prozent der Lebensmittel her, die in Brasilien gegessen werden. Aber von staatlicher Seite erhalten sie nur ein Fünftel der Mittel, die an die industrielle Landwirtschaft und die Großgrundbesitzer fließen.
Es fehlen auch politische Maßnahmen, die den Zugang zu Wasser erleichtern – in einer Region, in der es nur vier Monate im Jahr regnet. Außerdem machen sich immer mehr Bergbauunternehmen breit, es entstehen Windparks und große Staudammprojekte. Angeblich bringen diese Großprojekte den Fortschritt mit sich. Doch in Wahrheit zerstören sie die Tier- und Pflanzenwelt. Menschen werden bedroht und vertrieben. Sie verarmen, viele flüchten in die großen Städte.
Was tun eure Organisationen, um die Betroffenen zu unterstützen?
Moisés Borges: Die Betroffenen organisieren sich in verschiedenen Gruppen. Sie erhalten von uns Informationen, sprechen über Probleme und Lösungsmöglichkeiten. Ein Beispiel: Obwohl in Brasilien mit rund 20.000 Wasserkraftwerken günstig Energie produziert wird, zahlen wir einen der höchsten Strompreise der Welt. Wenn sie ein Bewusstsein für diese Probleme haben, gehen die Menschen dann auch auf die Straße. Sie engagieren sich für die Schaffung einer gerechteren Gesellschaft.
Aldenisse: In unserer Organisation IRPAA (Partner-Organisation von Welthaus Graz) setzen wir ebenfalls stark auf Bildung: Wir beraten und unterstützen die Bauernfamilien bei der Anpassung an das zunehmend trockene Klima, bei der Speicherung von Wasser und bei der Nutztierzucht. Wir fördern auch die Bildung von Netzwerken, besonders von Frauen und Jugendlichen, und das solidarische Wirtschaften in den Dorfgemeinschaften. Ein sehr wichtiges Thema ist auch der Schutz des Landes vor Landraub.
Ihr seid mehrere Wochen in Österreich unterwegs. Was ist eure Botschaft?
Moisés: Wasser, Land und Energie sind Grundbedürfnisse von Menschen. Darum ist es wichtig, dass Großprojekte nicht im Interesse des großen Kapitals umgesetzt werden, sondern im Interesse der Bevölkerung – nicht nur in Brasilien, sondern überall. Die Solidarität zwischen den Völkern ist uns sehr wichtig. Wir zeigen auf, dass die Probleme in Brasilien auch Probleme von Europa sind, dass wir Verantwortung dafür entwickeln und Lösungen finden. Weil wir alle in einem gemeinsamen Haus leben.
Interview: Christian Köpf/Welthaus
Zu den Personen
Aldenisse de Souza ist ausgebildete Pädagogin und koordiniert das Bildungs- und Kommunikationszentrum sowie das Studierendenwohnheim von IRPAA.
Moisés Borges ist Biologe mit Aufbaustudium im Fach „Energie und Gesellschaft im zeitgenössischen Kapitalismus“ und engagiert sich für die Rechte der Familien, die dem Minenmüll der Bergbauunternehmen ausgesetzt oder vom Bau der Wasserkraftwerke betroffen sind.
IRPAA – ein regionales Institut für angepasste Kleinbauernlandwirtschaft und Tierhaltung – ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Juazeiro im Bundesstaat Bahia, in der semi-ariden Region Brasiliens. Seit einigen Jahrzehnten unterstützt IRPAA die kleinbäuerliche Bevölkerung bei der Entwicklung einer klimagerechten Wirtschafts- und Lebensform, angepasst an das halbtrockene Klima im Nordosten Brasiliens.
◉ Weitere Infos: graz.welthaus.at
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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