Interview
Macht – der Liebe
„Für eine Kirche, die aus der Geschichte lernt“. Martin Hochegger, KAB–Vorsitzender und Mitinitiator der Veranstaltungsreihe „Zukunft braucht Erinnerung“, im Gespräch mit Generalvikar und Historiker Dr. Mag. Erich Linhardt.
Martin Hochegger: Sehr geehrter Herr Generalvikar Dr. Linhardt, wir haben heuer im Februar an die Geschehnisse vor 90 Jahren rund um die Aushebelung der Demokratie und den Aufstand der Arbeiterschaft gedacht. Sie als Theologe und Historiker haben sich schon sehr früh mit der Rolle der katholischen Kirche zu dieser Zeit beschäftigt: Wie beurteilen Sie die damalige Rolle der katholischen Kirche?
Generalvikar Linhardt: Die Rolle der Kirche war damals sehr unglücklich. Als Mitarbeiter bei wissenschaftlichen Projekten von Prof. Maximilian Liebmann habe ich mich vor 40 Jahren mit steirischen Priesterpolitikern zur Zwischenkriegszeit beschäftigt. Die Verschränkung zwischen parteipolitischer Macht und der Priesterschaft der katholischen Kirche war auch in der Steiermark sehr eng. So waren z. B. ein Landeshauptmann, ein Landtagspräsident und einige Landesräte als Priester hohe „Funktionäre“ der christlichsozialen Partei. Dies war auch eine wesentliche Ursache für das massive Spannungsfeld mit der sozialdemokratischen Partei und der Arbeiterschaft. Die Botschaft war für diese eindeutig: Die Kirche kann und will unsere Anliegen nicht verstehen, ja sie ist sogar unser Gegner. Im Jahr 1933 hat dann die Bischofskonferenz beschlossen, dass alle Priester aus ihren politischen Ämtern zurücktreten müssen.
Später wollte man aber diese Trennung zwischen Staat und Kirche wieder aufheben.
Linhardt: Als Engelbert Dollfuß Bundeskanzler wurde, erfolgte aber wieder ein stärkerer politischer Einfluss der Kirche auf den Staat. Das Ideal von Dollfuß war nämlich der christliche Ständestaat, und dabei stützte er sich auf die päpstliche Enzyklika „Quadragesimo Anno“ von Papst Pius XI., und Priester waren auch wieder als Standesvertreter, z. B. in den Landtagen, tätig.
Kirche und Macht – ein immer wiederkehrendes Thema?
Linhardt: Gerade in Österreich gab es seit Alters her ein Zusammenspiel zwischen politischer Macht und kirchlichem Einfluss. Die Vertreter der katholischen Kirche waren Jahrhunderte lang sehr eng mit dem Kaiserhaus der Habsburger verbunden und dienten als verlässliche Partner in der Absicherung der gesellschaftlichen Macht; sie unterstützten sich gegenseitig. Es mag den Anschein haben, dass die Verantwortungsträger der Kirche in Österreich eher den Mächtigen und Reichen näherstanden als den Unterprivilegierten, wobei es immer auch – getragen von Ordensgemeinschaften und in der Seelsorge tätigen Priestern – eine intensive Zuwendung zu den Armen in unterschiedlicher Ausprägung gegeben hat.
Im Rahmen der zahlreichen Veranstaltungen in Orten, wo der Bürgerkrieg zu sehr vielen Opfern geführt hatte, hat Ihr geschätzter Vorgänger Leopold Städtler über das Spannungsfeld zwischen Kirche und Sozialdemokratie und ArbeiterInnenschaft berichtet, welches weit über viele Jahrzehnte zu einer Entfremdung beider wichtigen gesellschaftlichen Gruppen geführt hatte. Wie beurteilen Sie als Historiker die Narrative dieser Zeit und das aktuelle Verhältnis zwischen Kirche und Sozialdemokratie?
Linhardt: Wenn man in die Geschichte blickt, so gab es in der Steiermark in manchen Regionen einen starken Entfremdungsprozess, der viele Jahrzehnte andauerte. Es gab in der Zwischenkriegszeit auch eine von den Sozialdemokraten aus den vorhin genannten Gründen veranlasste Austrittsbewegung aus der Kirche. Erst durch weitsichtige Persönlichkeiten auf oberster Verantwortungsebene, wie Kardinal Franz König und Bundeskanzler Bruno Kreisky, konnte eine wesentliche Annäherung und Entspannung erreicht werden. Diese ist aber auch schon lange auf „unterer Ebene“ von Priestern in den Pfarren durch ihren Umgang mit der Arbeiterschaft gleichsam vorbereitet worden.
Warum hat sich die katholische Kirche so lange schwer getan, für die damalige Positionierung ein Schuldeingeständnis abzugeben?
Linhardt: Die katholische Kirche tat sich traditionell schwer mit dem Einbekenntnis von eigenem schuldhaften Verhalten; meines Erachtens aus einer starken Angst vor Glaubwürdigkeitsverlust heraus. Dabei ist gerade das Zugeben von Fehlern immer ein Zeichen von Stärke. Die Kirche selbst hat aber lange keine Fehlerkultur entwickelt, was sehr schade ist. In den letzten Jahren hat sich dies aber doch zum Positiven verändert.
Zahlreiche religiöse Gruppen in allen monotheistischen Religionen haben derzeit starke anti-aufklärerische Tendenzen und gehen damit Hand in Hand mit autoritär-diktatorischen Führerpersönlichkeiten. Religion wird dabei als politisches Kampfmittel instrumentalisiert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklungen?
Linhardt: In vielen Ländern der Welt stand und steht die Kirche auf Seiten der Mächtigen. Auch aktuell, wenn man z B. auf die Haltung der russisch-orthodoxen Kirche in Russland schaut. Leider lassen sich Religionen immer wieder als politisches Kampfinstrument missbrauchen. Dabei geht es auch um weltliche Macht und Einfluss, was immer sehr verlockend ist. Die Entwicklungen in diese Richtung schaden natürlich jeder Religionsgemeinschaft.
Vom christlichen Verständnis ausgehend, haben wir ja die größte Macht, die letztlich wirklich alles verändern kann, und das ist die Macht der Liebe. Sie einzusetzen und sie zu leben kann immer nur zum Guten für alle führen.
Vielen Dank für das Gespräch!
In Erinnerung
Politischer Katholizismus
Jedes öffentliche Handeln erweist sich seiner Natur nach — ob deklariert oder nicht — als ein politisches Handeln. Auch der von der Kirche und gläubigen Laien unternommene Versuch, das christliche Sittengesetz in der Mitte dieser Welt zu lehren und zu verwirklichen, ist Politik, eine von katholischen Grundsätzen inspirierte Politik, Politischer Katholizismus. Soweit der in der Welt wirkende Christ an die Kirche denkt, wird von ihm der Staat und eine Bestordnung desselben mitgedacht, sein Handeln wird stets und unvermeidbar ein politisches sein, welche Bezeichnung für sein Tun er auch zu finden sucht. Die in der Welt wirkende Kirche bietet das Sittengesetz allen Menschen an, nicht nur einer Gruppe, sei sie nun als Klasse oder Rasse integriert, da die Kirche „in in jeder Gesellschaftsform existieren“ kann (Kardinal König). Daher kann grundsätzlich Politischer Katholizismus nicht als parteipolitischer Katholizismus verstanden werden. Das gilt grundsätzlich. Andererseits gibt es bestehende Situationen, in den sich die Kirche zum Zweck einer optimalwirksamen Durchsetzung des Sittengesetzes des Anbotes politischer Gruppen bedienen muss.
Anton Burghardt (1910–1980), katholischer Sozialreformer, in: DIE FURCHE 25/1965
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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