Kirche Österreich
Keine Schockstarre
Alarmierende Zahlen bei den Kirchenaustritten. Einige Stimmen zu Ursachen und Konsequenzen.
Der fortgesetzte Rückgang der Zahl an Katholikinnen und Katholiken in Österreich, wesentlich verursacht durch gesteigerte Kirchenaustritte, hat zu verschiedenen Reaktionen und Fragen nach den tieferen Urachen geführt.
Der Grazer Religionswissenschaftler Franz Winter schrieb in den „Salzburger Nachrichten“ von einem Bedeutungsverlust traditioneller Religionen, der in Europa schon seit zwei Jahrhunderten erkennbar sei. In Österreich käme eine Art Langzeitwirkung der Missbrauchsskandale schon rund um Kardinal Groer dazu. Kurzfristig habe die Corona-Pandemie das Alltagsleben von Gläubigen durcheinandergebracht: Leere Kirchen, dafür „Gottesdienste online“, hohe Feiertage ohne öffentliche Gottesdienste: „quasi eine verordnete Entfernung von der Kirche“. Darüber hinaus sei das Angebot der Kirche „zu weit weg von dem, was die Leute suchen – wenn sie überhaupt etwas suchen“.
Ein „Gewohnheits- oder Brauchtums-Christentum“ etwa gehöre der Vergangenheit an, betonte der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner in der „Kleinen Zeitung“. Religion sei heute „Entscheidung“ und müsse Anziehungskraft haben, um angenommen zu werden. Es zeige sich weiterhin ein tiefes religiöses Gespür, wenn Menschen bei Geburt, Heirat oder Tod zur Kirche kommen: „Wir wissen, dass wir nicht alles selbst bestimmen können.“ Besonders gefordert sieht der Theologe die Kirche aber bei jungen Menschen. Nur fünf bis zehn Prozent hätten eine starke Kirchenbindung.
Inflationsbedingte Einbußen sind für die Wiener Theologin und Religionssoziologin Regina Pollak zwar Anlass, aber nicht eigentlicher Grund für Kirchenaustritte. Vielen sei seit der Taufe ihre Glaubensgemeinschaft fremd oder gar nie vertraut geworden. Für Kirchendistanzierte könne auch das anhaltende Thema Missbrauch Anlass zum Beenden der Mitgliedschaft sein. Die Theologin empfiehlt der Kirchenleitung jedenfalls, „nicht in Schockstarre zu verfallen“. Die Kirchen müssten weg vom „business as usual“ und sich fragen, wie der Glaube in eine geistig sich verändernde Welt zu übersetzen sei und wie sie auf Armut, Krankheit oder Einsamkeit überzeugend reagieren. Auch sollte die Kirche nicht nur ihre eigenen Strukturprobleme bereden, „so wichtig die auch sind“.
Für den Salzburger Erzbischof Franz Lackner müsse eine Konsequenz der alarmierenden Zahlen darin bestehen, dass die katholische Kirche mehr in der Gesellschaft präsent ist und auf Notleidende zugeht.
Kirchenstatistik
Rückgang von zwei Prozent
4,73 Millionen Katholikinnen und Katholiken lebten mit Stichtag 31. Dezember 2022 in Österreich. 2021 waren es 4,83 Millionen gewesen. Das ist ein Rückgang von fast 2 Prozent.
Mit 90.808 Kirchenaustritten wurde im Vorjahr ein Höchststand erreicht. 16.171 Austritte betrafen die Diözese Graz-Seckau.
Österreichweit wurden im Vorjahr 4449 Personen wieder oder neu in die Kirche aufgenommen. 630 Personen haben einen vollzogenen Kirchenaustritt binnen drei Monaten widerrufen. Maßgeblich für die KatholikInnenzahl ist das Verhältnis von Taufen, Eintritten und Zuzügen zu Sterbefällen, Wegzügen und Austritten.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.