Fronleichnamsakademie
„In den Mauern müssen Tore sein …“

Christentum in Zeiten des Umbruchs: Die Katholische Aktion lud ins Auditorium im Joanneumsviertel Graz. Der Vortrag von Tomáš Halík und die anschließende, von KA-Präsident Andreas Gjecaj moderierte Diskussion regten zum kritischen Dialog an. 	 | Foto: Gerd Neuhold - Sonntagsblatt für Steiermark
8Bilder
  • Christentum in Zeiten des Umbruchs: Die Katholische Aktion lud ins Auditorium im Joanneumsviertel Graz. Der Vortrag von Tomáš Halík und die anschließende, von KA-Präsident Andreas Gjecaj moderierte Diskussion regten zum kritischen Dialog an.
  • Foto: Gerd Neuhold - Sonntagsblatt für Steiermark
  • hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion

Tomáš Halík ermutigt dazu, „die Welt, wie sie ist“ als Aufforderung Gottes zu sehen.

Bei der Fronleichnamsakademie der Katholischen Aktion Steiermark am 29. Mai sprach der tschechische Priester und Soziologe Tomáš Halík über bitter nötige Veränderungen, die es brauche, damit die katholische Kirche weiterhin gesellschaftlich relevant bleibe.

In seiner Zeitdiagnose über ein „Christentum in Zeiten des Umbruchs“ betonte Halík, dass rein strukturelle Veränderungen den Missständen in der Kirche nicht begegnen könnten. Vielmehr müsse man sich auf eine kulturelle und spirituelle Verwandlung einlassen, die das „freie Wehen des Geistes“ zulasse und fördere.
Halík zeichnete das Bild einer Kirche, die im Klerikalismus als Mentalität feststecke. Das Selbstverständnis einer „übergeordneten Klasse“ bezeichnete er als „Krankheit des ganzen Systems“, die neben Klerikern auch Laien anstecke und diese vergessen habe lassen, dass sie zum Dienst berufen seien, und die in eine machtfokussierte „Pharisäer-Mentalität“ münde. Viele Suchende außerhalb der katholischen Kirche würden sich nicht „gegen Gott, sondern gegen sein irdisches Personal“ abgrenzen. Man habe den fatalen Fehler begangen, so Halík, die „Kunst des Zu-Hörens auf den Geist“ durch blinden Gehorsam ersetzt zu haben.

Missstände müssten gesehen und benannt werden. In den Mauern der Kirche müssen Tore sein. Sonst drohe die Gefahr, dass man nur die „Mauern eines leeren Hauses“ schütze. Darüber hinaus aber müsse man auch den Tod zulassen. Die Kirche selbst sei vielmehr ein Prozess, den man als die „Fortsetzung der Inkarnation, des Todes und der Auferstehung“ begreifen müsse.

Daher müsse auch „vieles in ihr sterben“, damit sie selbst zum Leben hin verwandelt werden könne. Synodalität, so Halík, sei die richtige Haltung, um über die Reform von Strukturen hinaus eine „Kultur des Hörens des Anderen und des Geistes Gottes“ zu fördern. Man dürfe nicht auf die „rechte Leidenschaft des Glaubens“ vergessen, die verhindere, dass eine Lehre zur Ideologie werde und christliche Ethik zu bloßem Moralisieren. „Die Welt, wie sie ist“ sei schon die „Aufforderung Gottes“, die es zu hören gelte.

Halík scheute sich auch nicht vor klaren politischen Worten. Er betonte, dass der „russische Genozid in der Ukraine“ auch einen „Informationskrieg in den sozialen Kanälen“ einschließe. Die russische Aggression, so der tschechische Priester, der Diktatur am eigenen Leib erlebt hat, werde nicht stoppen. Man müsse die Sorge vor einem dritten Weltkrieg, wie sie Papst Franziskus wiederholt ausgedrückt hat, auch ernst nehmen. Angesichts populistischer Bewegungen, die aus den Ängsten der Menschen politisches Kapital schlagen, sei es die Aufgabe der Kirche, durch eine „Stärkung des sozialen Kapitals und von Hoffnung“ sowie als Dialog-Führende eine „Kultur der zwischenmenschlichen Beziehung“ zu fördern, die die Demokratie ausmache.

Daniel Pachner

Tomáš Halík
Der gebürtige Prager wurde 1978 heimlich zum Priester geweiht und war enger Mitarbeiter von Kardinal František Tomášek und Václav Havel. Er ist einer der wichtigsten Intellektuellen Tschechiens und Europas.

Foto: Gerd Neuhold - Sonntagsblatt für Steiermark
Foto: Gerd Neuhold - Sonntagsblatt für Steiermark
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ