Interview: Herbert Beiglböck
Erleichtert, wehmütig und neugierig
Herbert Beiglböck, scheidender Direktor der Caritas Steiermark, im Gespräch mit dem SONNTAGSBLATT über seine unterschiedlichen beruflichen Stationen und seinen Blick auf Gesellschaft und Kirche.
Vor fast sechs Jahren wurden Sie Direktor der Caritas Steiermark. Was haben Sie erwartet, und was ist daraus geworden?
Bevor ich die Stelle des Caritasdirektors übernommen habe, war ich schon zehn Jahre im Kuratorium der Caritas. Das heißt, ich kannte die Aufgaben und weitgehend auch die Bereiche. Trotzdem hat mich einiges noch überrascht. Besonders die Vielfalt in der Caritas.
Rückblickend kann ich drei große Ziele benennen, die ich umsetzen wollte und wo sich auch schon Früchte der Arbeit zeigen: Ich wollte, dass die Caritas weiblicher, digitaler und regionaler wird. Weiblich im Blick auf Leitungs- und Führungstätigkeiten. Digitalisierung ist ein Thema, das uns alle angeht und wo man immer am Ball bleiben muss. Regional war die Caritas immer schon, aber das galt und gilt es weiterhin zu stärken – im Besonderen ist uns das mit den RegionalkoordinatorInnen als AnsprechpartnerInnen und NetzwerkerInnen vor Ort gelungen.
Mit 30. Juni beenden Sie Ihre Tätigkeit als Caritasdirektor und übergeben an Nora Tödtling-Musenbichler. Blieb etwas offen?
Dazu möchte ich sagen, dass meine Caritas-tätigkeit auch von großen Krisen geprägt war. Beginnend 2015 und 2016 mit den Fluchtbewegungen über Südosteuropa. Da waren wir als Caritas herausgefordert, unsere beiden Aufträge, die akute Nothilfe und die Anwaltschaft, auch angesichts der großen Brüche in der Gesellschaft gut zu bewältigen.
Außerdem gilt es, die Klimakrise nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn uns andere akute Krisen, wie die Gesundheitskrise, intensiv beschäftigt haben. Und jetzt, wo alle dachten, wir könnten wieder einmal aufatmen, hält uns der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in Atem. Herausfordernd an dieser Krise ist, dass sie gleichzeitig im In- und Ausland wirkt.
In den letzten Jahren konnte vieles auf den Weg gebracht werden, manches ist jedoch auch von Krisen überlagert worden. Ich übergebe die Caritas durchaus gut geordnet, aber mit reichlich Arbeit für meine Nachfolgerin.
Gehen Sie mit Wehmut oder guten Mutes?
Ich gehe mit einem dreifachen Gefühl: Erleichtert, weil ich weiß, dass die Caritas Steiermark in guten Händen ist und es gut weitergehen wird. Wehmütig, weil damit eine 40 Jahre andauernde intensive Phase des Gestaltens zu Ende geht. Und neugierig darauf, was mir die nächste Lebensphase bringt.
Haben Sie Sorge vor einem „Pensionsschock", oder gibt es schon Pläne für diese nächste Lebensphase?
Wer mich kennt, weiß, dass die Enkelkinder und mein Fischteich mich nicht ganz erfüllen werden. Auch in der Küche, wo ich gerne zugange bin, werde ich nicht völlig aufgehen. Aber ich habe mir vorgenommen, ein Jahr lang keinerlei Funktionen zu übernehmen und mir erst einmal eine Phase des „cooling off“ zu erlauben. Und wer sich nach einem Jahr noch an mich erinnert … (lacht) Wir werden sehen, was sich ergibt. Ich weiß jedenfalls, dass ich diese neue Lebensphase bewusst gestalten muss und möchte.
Ihr Berufsleben weist viele verschiedene Stationen auf. Gibt es etwas, das Ihnen besonders viel Freude gemacht hat?
In meinem ganzen Berufsleben hatte ich überall ein ähnliches Anliegen: Menschen zu formen, beim Wachsen zu unterstützen und starke Teams zu bilden. Im Rückblick denke ich, dass mir das auch immer wieder gut gelungen ist. Besonders gerne erinnere ich mich dabei an meine Zeit bei der Jungen Kirche und als Wirtschaftsdirektor.
Was waren berufliche Herausforderungen?
Große Organisationen sind immer von unterschiedlichen Interessen geprägt, und das ist auch gut so. Da braucht es eine gute Auseinandersetzung, Dialog und auch das Ringen um den Weg. Dabei haben sich in meinem Berufsleben natürlich auch die Schattenseiten von Institutionen gezeigt. Im Gesamten
gesehen möchte ich betonen, dass ich ein erfülltes und privilegiertes Berufsleben hatte. Mir wurde an den unterschiedlichsten Positionen viel Vertrauen entgegengebracht, und ich hatte viele Gestaltungsmöglichkeiten. Mein Tun war immer mit Sinn erfüllt und
aus der Botschaft des Evangeliums gespeist.
Sie haben unter anderem den Wiederaufbau der Synagoge in Graz koordiniert – was ist Ihnen dabei wichtig geworden?
Es war und ist mir grundsätzlich immer wichtig, die Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Kirche lebendig zu halten. Ich habe versucht, viele Kontakte zu halten, mit anderen im Gespräch zu sein. In der Steiermark gibt es eine sehr gute Gesprächskultur zwischen Religionsgemeinschaften und dem öffentlichen Leben, der Politik. Man ist zwar nicht immer einer Meinung. Aber es ist eine gute Basis da. Was ich mir wünsche, ist mehr Präsenz von kirchlichen VertreterInnen im öffentlichen Raum. Kirche muss aktiv ihre Antennen in die Gesellschaft ausstrecken.
Theologie war Ihr Erststudium. Was würden Sie jungen Menschen sagen, warum man heute Theologie studieren sollte?
Grundlegend wichtig für ein Theologiestudium ist das Interesse am Evangelium. Wenn das da ist, kann ich allen ein Theologiestudium empfehlen. Es schult mit seiner inhaltlichen Breite das Denken und ist eine gute Basis für eine Vielfalt an Berufen.
Warum haben Sie Theologie studiert, und was hat Sie dabei geprägt?
Das wird jetzt keine so gute Studierenden-Antwort, befürchte ich, aber das Ehrenamt, das ich neben dem Studium gemacht habe, war sehr wichtig für mich. Ich kann aus Überzeugung sagen: Die Skills, die ich mir in der ehrenamtlichen Jugendarbeit aneignen konnte, haben mich durch meine ersten Berufsjahre getragen. Das Theologiestudium habe ich im Blick auf meinen Wunschberuf gemacht, den ich aber nie erreicht habe: Ich wollte eigentlich Pastoralassistent werden.
Ihre Frau war viele Jahre Pastoralassistentin. Sie haben mit Ihrer Familie in Pfarr-höfen gewohnt und „die Basis“ erlebt. Was denken Sie über die Kirchenentwicklung, was ist für Sie das Essenzielle von Kirche?
Es hat mir immer sehr geholfen, in die Tiefen des pfarrlichen Alltags einzutauchen. Beim Pfarrfest war ich zum Beispiel der Verantwortliche fürs Zusammenräumen. Oder fürs Rasenmähen. Ich habe tagtäglich gesehen, wie wichtig es ist, dass Haupt- und Ehrenamtliche gut zusammenwirken – denn nur so kann der Auftrag der Kirche wirklich lebendig werden.
Wenn ich von der Caritas her denke, die ja ein Grundvollzug von Kirche ist, dann ist es unsere Aufgabe, da zu sein, wo Not ist. Das ist während der Lockdowns sehr deutlich geworden. Wir als Caritas haben versucht, im Rahmen des Möglichen und manchmal auch darüber hinaus da zu sein. Auch als es anfangs so aussah, dass wir zum Beispiel das Marienstüberl schließen müssen. Wir wussten: Wir müssen dableiben, solange es geht.
„Da-Sein“ ist eine Grunddimension von Gottesoffenbarung. Im brennenden Dornbusch und noch konkreter in Jesus Christus. Das gilt es als Kirche lebendig zu halten. Darin sehe ich Hoffnung für die Erneuerung der Kirche. Vieles an Kirchenentwicklung ist mir zu sehr nach innen orientiert und darauf fokussiert, den Betrieb aufrechtzuerhalten, was ich zwar nachvollziehen kann, aber Kirche hat eine Botschaft, mit der sie sich ganz in den Dienst der Menschen stellen muss.
Zum Abschluss haben Sie einen Wunsch an die Regierung frei – was ist aus Ihrer Sicht gerade am dringendsten?
Oh, ich hätte viele Wünsche. Aber im Blick auf die Ärmsten unserer Gesellschaft finde ich eine Neugestaltung des Sozialhilfegesetzes, unter Berücksichtigung langzeitarbeitsloser Menschen, absolut dringend. Die Mindestsicherung war schon keine optimale Lösung, aber das aktuelle Modell ist ein bürokratisches Monstrum. Es geht hier um das letzte staatliche Netz, das auffängt. In seiner jetzigen Form ist es schwach und löchrig. Auch für die Schwächsten müssen Teilhabe und ein halbwegs gutes Leben gewährleistet sein.
Interview: Katharina Grager, Heinz Finster
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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