Kirche Steiermark
Die Barockmesse des 21. Jahrhunderts

Kirche im Kino ist gerade in die zweite Saison gestartet. Ein inspiriertes Team lädt dazu ein, Kirche anders zu erleben.

Wie fällt die Bilanz von Kirche im Kino nach einem Jahr aus?
Florian Mittl: Für uns als Team sehr positiv. Es war zunächst eine sechsmonatige Testphase geplant und die Rechnung ist aufgegangen. Wir haben ein Konzept gefunden, das Anklang findet und ganz unterschiedliche Leute anspricht. Es kommen junge und ältere Menschen, darunter auch viele, die keine regelmäßigen Kirchgänger sind. Der Kinoraum mit der großen Leinwand bietet ganz besondere Gestaltungsmöglichkeiten.

Was war die Grundidee zu diesem Projekt?
Mittl: Für mich persönlich war der Glaube immer schon ein wichtiger Mehrwert im Leben. Doch in den Kontexten, wo ich unterwegs war – im Sport, in der Schule, beim Studium – war ich damit immer der Außenseiter. Ich habe aber gemerkt, dass Menschen sehr interessiert waren an Kirche und Glaubensfragen, dass sie Fragen gestellt haben. So habe ich mir immer wieder überlegt: Wie kann man die 90 bis 95 Prozent der Katholikinnen und Katholiken, die höchstens punktuell mit der Kirche in Berührung kommen, so ansprechen, dass sie berührt werden und wiederkommen?

Warum gerade im Kino?
Mittl: Ich wollte bewusst einen ganz anderen Ort wählen. Das Kino ist ein Ort, der für viele mit sehr positiven Gefühlen besetzt ist: die bequemen Sessel, der dunkle Raum, der Geruch von Popcorn, die großen Geschichten, die dort erzählt werden, man kommt zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken. Da werden viele Dimensionen des Menschen angesprochen. Dieses Grundfeeling wollten wir mitnehmen und an diesem Ort Gottesdienst feiern.

Hermann Glettler hat einmal beim Blick in einen vollen Kinosaal zu mir gesagt: „Da sind genau die Leute, die uns in der Kirche fehlen.“ – Also gerade die 15- bis 30-Jährigen. Könnt ihr diese Altersgruppe erreichen?
Laura Graf: Ja, wir sind insgesamt sehr jung. Das liegt vermutlich daran, dass es uns mit Kirche im Kino ganz gut gelingt, die Tradition der Messfeier zu bewahren, aber gleichzeitig Innovation spürbar zu machen. Ganz viele junge Menschen wissen etwa nicht mehr, wie das Glaubensbekenntnis oder das Vaterunser geht. Wir lassen es jedoch nicht weg, sondern projizieren den Text groß auf die Leinwand. So muss sich niemand schämen, dass er nicht mitbeten kann. Es sieht auch keiner. Wer will, kann auch ganz abtauchen und für sich sein.

Mittl: Wir wollen einladend sein, wenig vor-aussetzen und Möglichkeiten bieten. Wer will, kann mittun, wenn jemand nicht will, ist es auch okay. Wir träumen ein bisschen von der Barockmesse des 21. Jahrhunderts. Die Barockliturgie hat alle Sinne angesprochen. Die Menschen waren überwältigt vom Gold, von den Bildern im Kirchenraum, von der Musik, vom Weihrauch, und wurden dadurch in einen Zustand gebracht, der sie geöffnet hat für das, was dann kommt. Das Kino bietet vielleicht eine Variation davon für die Menschen unserer Zeit. In dieser positiven Grundstimmung wollen wir die christliche Botschaft, die ja wunderschön ist, in einer etwas anderen Gestalt vermitteln.

Wodurch unterscheidet sich der Gottesdienst von einem „normalen“ in der Kirche?
Graf: Eine Besonderheit ist die Musik. Unsere Band spielt „Worship-Songs“ im Stil der Popmusik, wie sie junge Leute aus dem Radio kennen, aber an Gott gerichtet. Dadurch wird man motiviert, sich mitzubewegen, mitzuklatschen. Einmal hat sogar ein älteres Pärchen begonnen zu tanzen. Man geht mit einem Strahlen aus der Messe.
Weiters verstärken wir die Predigt durch Bilder. Oder die predigende Person stellt durch Fragen an die Mitfeiernden einen Bezug zu deren Leben her. Es werden auch einzelne Elemente erklärt, um deren Bedeutung besser zu verstehen, oder darauf hingewiesen, dass jemand, der nicht die Kommunion empfangen möchte, sich stattdessen einen Segen abholen kann.
Mittl: Manches ist in der Liturgie vorgegeben, aber es gibt auch viel Freiraum, den wir nutzen. Den Bußakt etwa nennen wir „Herzensbereitung“. Wir wollen uns öffnen für die Begegnung mit Christus und das Thema des Gottesdienstes.

Was sind neben der Musik und der Leinwand weitere Charakteristika von Kirche im Kino?
Mittl: Die Willkommenskultur ist uns ganz wichtig. Wir haben Hosts, die am Eingang begrüßen, die helfend zur Seite stehen und beim Platzsuchen oder bei der Kommunion helfen. Man fühlt sich nicht verloren, sondern eingeladen und begleitet. Wir bemühen uns, in einfacher Sprache Themen aus dem Alltag anzusprechen. Mir ist aber wichtig, zu betonen, dass wir keine Konkurrenz zu den Pfarren sein wollen, sondern vor allem jene erreichen möchten, die noch in keiner Pfarre beheimatet sind.

Wie weit wird das Medium Film selbst als Gestaltungselement genützt?
Mittl: Wir zeigen oft einen Filmausschnitt, auf den die Predigt aufgebaut wird. Außerdem stellen wir selbst kurze Videoclips her, die in ein Thema einführen. Über den Gottesdienst hinaus entwickeln wir auch Gemeinschaftsformate, wo wir intensiver bei Filmen andocken. Das aktuelle heißt „Green-Screen – welchen Hintergrund willst du deinem Leben geben?“ Daraus sollen sich Kleingruppen bilden, die das Gemeinschaftliche stärken. Die dritte Säule schließlich ist das Karitative, etwa in Zusammenarbeit mit dem Haus Welcome der Caritas zum Thema Migration.

Der Gottesdienst ist also nicht vorbei, wenn die Leute das Kino verlassen?
Graf: Uns ist wichtig, dass sie sich danach nicht alleingelassen fühlen, sondern jemanden haben, mit dem sie reden können. Wir wollen sie auch unter der Woche begleiten. Wir halten über soziale Medien Kontakt, indem wir etwa eine Bibelstelle zum aktuellen Thema schicken, damit die Leute etwas zum Angreifen und Weiterdenken haben, und es gibt die Kleingruppen. Kirche im Kino soll keinen Eventcharakter haben, sondern vermitteln, dass wir alle Gemeinschaft sind und gestärkt werden, den Glauben auch im Alltag zu leben.
Mittl: Auch die Vorbereitung, von der Themenfindung über die Musikauswahl und das Sammeln von Gedanken für die Predigt ist ein gemeinschaftlicher Prozess, der sehr kreativ abläuft. Das geschieht im Team.

Glaubt ihr, dass jemand durch die Erfahrung bei Kirche im Kino auch lernt, Filme in einer anderen Weise zu sehen?
Graf: Ich glaube, dass das schon möglich ist. Ich nehme Dinge anders wahr und frage mich nach einem Kinobesuch, was ich aus diesem Film für mich mitnehmen kann.
Mittl: Wir setzen oft mit einem Augenzwinkern Filme ein, die unterhaltsam, aber nicht sehr anspruchsvoll sind. Wir zeigen damit: Das ist das Leben. Und damit ist es wertvoll, hat einen Sinn und oft auch eine tiefere Botschaft.

Interview: Alfred Jokesch

Florian Mittl, Ausbildungsleiter im Zentrum der Theologiestudierenden und Pionier für neue Formen von Kirche, ist der Initiator von Kirche im Kino.

Laura Graf, Theologiestudentin, gestaltet den Social-Media-Auftritt von Kirche im Kino.

Kirche im Kino:
Jeweils am 1. und 3. Sonntag des Monats um 11.11 Uhr Messe im Schubertkino in Graz.
Web: kircheimkino.com;
E-Mail: florian.mittl@graz-seckau.at; Tel. 0676/8742 6989. Kirche im Kino ist auch auf Instagram, Facebook, WhatsApp und YouTube.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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