Caritas Steiermark
Der kurze Weg in die Armut

Hilfe bei der Caritas, wie hier bei der Lebensmittelausgabe im Marianum Graz, suchen mehr Klienten als je zuvor. 2021 waren 14% der Menschen in der Steiermark armutsgefährdet. Bisher war ein Termin bei Caritas-Beratungsstellen innerhalb einer Woche möglich. Nun gibt es Wartezeiten.  | Foto: Neuhold
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  • Hilfe bei der Caritas, wie hier bei der Lebensmittelausgabe im Marianum Graz, suchen mehr Klienten als je zuvor. 2021 waren 14% der Menschen in der Steiermark armutsgefährdet. Bisher war ein Termin bei Caritas-Beratungsstellen innerhalb einer Woche möglich. Nun gibt es Wartezeiten.
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Interview. Selbstzweifel und Scham fühlen Armutsbetroffene oft. Markus Rass gibt Einblicke in den Alltag einer Caritas-Existenzberatung.

Die Teuerung bringt Menschen, die noch nie Hilfeleistungen bezogen haben, in eine schwierige Situation. Wie zeigt sich das in den Beratungsstellen der Caritas?
Wir sehen zunehmend Menschen, die bisher ausreichend verdient haben und sogar ein bisschen zurücklegen konnten. Für sie dreht sich die Situation. Rücklagen sind kaum mehr möglich, weil die Teuerung den kleinen Spielraum auffrisst. Trotzdem wird eine Autoreparatur fällig, oder die Waschmaschine geht ein. Dann geschieht es, dass Menschen eine Miete schuldig bleiben in der Absicht, sie bald nachzuzahlen – oft der Beginn einer Abwärtsspirale.

Gibt es eine besonders betroffene Gruppe?
Menschen, die wenig Möglichkeiten haben, auf Veränderungen zu reagieren, einen anderen Job zu suchen oder umzuziehen. Das sind vor allem Alleinerziehende, aber auch Ältere. Zum Beispiel ein Pensionistenpaar aus meiner Beratung: Die beiden haben immer fleißig gearbeitet und sind in der Pension ganz gut ausgekommen. Sie leben seit zehn Jahren in der gleichen Wohnung.
Die Miete ist jetzt innerhalb von zwei Jahren massiv gestiegen, von 600 auf 800 Euro. Ihre Einkünfte haben sich aber nicht um den gleichen Faktor erhöht.

In welcher Stimmung kommen die Menschen zu Ihnen?
Sie schämen sich, machen sich Vorwürfe und glauben, alles allein schaffen zu müssen. Meine erste Aufgabe ist es, ihnen Scham und Selbstzweifel zu nehmen. Es ist kein schönes Gefühl, mit den Menschen ihre fixen Ausgaben durchzugehen und bei jedem Posten fragen zu müssen: Brauchen Sie das wirklich? Wenn ich jemandem raten muss, ein kleines Abo von nicht einmal zehn Euro monatlich aufzugeben – vielleicht ein Streamingdienst für die Kinder; wenn selbst dieser „kleine Luxus“ jetzt für Lebensnotwendiges eingesetzt werden muss, ist klar: Die Lebensqualität steht auf dem Spiel. Auch das ist Armut. Ausgehen, Kino oder Hobbys, die mit Ausgaben verbunden sind, sind ohnehin nicht mehr drin.

Warum trifft es Menschen unterschiedlich, wenn die Energiepreise für alle steigen?
Ein Knackpunkt sind „Flexi-Verträge“ mit relativ niedrigen Raten, wenn alles gut läuft, aber jede kleine Schwankung zeigt sich überproportional. Manche zahlen jetzt das Dreifache dessen, was sie kalkuliert haben. Auch flexible Kredite schlagen sich massiv nieder: Die Zinsen liegen weit jenseits dessen, was z. B. eine Familie beim Hauskauf oder -bau veranschlagt hat. Das sprengt die gesamte Haushaltsrechnung.

Es gibt doch viele Hilfen. Greifen die nicht?
Bonuszahlungen helfen, um das Konto auszugleichen oder Rückstände abzubezahlen. Aber die Teuerung geht weiter. Auch die Strompreisbremse wird teils erst mit der Endabrechnung schlagend, die Vorschreibung bleibt. So rutschen Menschen oft weiter ins Minus, das Überziehen kostet, und sie haben keine Chance aufzuholen. Ein Unfall, Jobverlust oder eine Trennung verschärfen noch einmal.

Wann kommen Menschen in die Beratung?
Oft verdrängen Betroffene in einer emotionalen Ausnahmesituation das Finanzielle und sind in organisatorischen Dingen nicht versiert. Viele kommen gar nicht auf die Idee, dass ihnen etwas zustehen könnte, und versuchen, über Kündigung von Abos oder Versicherungen etwas aufzufangen. Wenn das nicht reicht, wird die Situation rasch unübersichtlich. Erst dann kommen sie zu uns, und wir schauen
uns gemeinsam an, was möglich ist.

Was kann die Hilfsorganisation anders machen als der Staat?
Wir haben eine gewisse Flexibilität, nicht so starre Regelungen und weniger Bürokratie, außerdem können wir rasch einmalig finanziell helfen. Natürlich haben aber auch wir klar definierte Kriterien.
Die KlientInnen müssen alle ihre Einkünfte offenlegen und kooperieren.

Markus Rass ist Berater in der BEX-Regionalstelle Oststeiermark.

Caritas
Die Beratungsstelle zur Existenzsicherung (BEX) bietet kostenlose und diskrete Beratung für Menschen in finanzieller und sozialer Not. Wenn Sie die Caritas unterstützen wollen, nutzen Sie die Zahlscheinbeilage in dieser Ausgabe.

Interview: Irmgard Rieger

Hilfe bei der Caritas, wie hier bei der Lebensmittelausgabe im Marianum Graz, suchen mehr Klienten als je zuvor. 2021 waren 14% der Menschen in der Steiermark armutsgefährdet. Bisher war ein Termin bei Caritas-Beratungsstellen innerhalb einer Woche möglich. Nun gibt es Wartezeiten.  | Foto: Neuhold
Markus Rass ist Berater in der BEX-Regionalstelle Oststeiermark.
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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