Taizétreffen in Beirut
Auf dem Pigerweg der Versöhnung
Nach dem Taizétreffen in Beirut, bei dem Jugendliche aus vielen Ländern Europas gemeinsam mit TeilnehmerInnen aus dem Libanon, Syrien, Ägypten und Jordanien beteten, machte sich eine Gruppe der Katholischen Hochschulgemeinde Graz nach Damaskus ins benachbarte Syrien auf und sprach mit Youssef Absi, Oberhaupt
der Melkitisch Griechisch-Katholischen Kirche und Patriarch des Ganzen Orients, von Antiochien, Jerusalem und Damaskus. – Die Reisegruppe berichtet von ihren Eindrücken am 7. Mai, 19.30 Uhr, Quartier Leech, Leechgasse 24.
Wir sind in einer sehr schwierigen Situation, wir können das Licht am Ende des Tunnels noch nicht sehen,“ beginnt Patriarch Youssef seine Schilderung über die Lage in Syrien.
Er ist das Oberhaupt von ungefähr 1,6 Millionen melkitisch griechisch-katholischen Christen, einer mit der römisch-katholischen Kirche unierten Glaubensgemeinschaft, deren Mitglieder vor allem im Libanon und Syrien, in Ägypten, Israel, Jordanien, aber auch in Südamerika, Europa und Australien leben. In Syrien zählt sie nach der Syrisch- und der Griechisch-Orthodoxen Kirche zur drittgrößten christlichen Glaubensgemeinschaft. Neben der Assyrischen Kirche des Ostens, der Armenisch-Apostolischen Kirche und der Syrisch-Katholischen Kirche gibt es im Land auch noch einige kleine chaldäische und protestantische Minderheitengemeinden.
Von fast fünfundzwanzig Prozent nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Anteil der Christen in Syrien allerdings bereits vor dem Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen 2012 auf sechs Prozent gesunken und dürfte inzwischen bei nur mehr zwei Prozent liegen, weil viele Christen in den Kriegsjahren geflüchtet sind und wohl nie wieder zurückkommen werden, wie der Patriarch betont.
Gutes Verhältnis zu den Muslimen
Die Traurigkeit darüber ist im Raum fast physisch spürbar, aber wie um unserer Frage zuvorzukommen fügt er gleich hinzu: „Unser Verhältnis zu den Muslimen ist ein sehr gutes. Wir haben viele muslimische Kinder in den Schulen unseres Patriarchates.“ Er sagt aber auch, dass leider der Fundamentalismus gerade während der Zeit des Krieges stark gewachsen und das so erfrischende Kindergeschrei hier im Gebäude des Patriarchats darauf zurückzuführen sei, dass eine Schule nach der Zerstörung durch einen Bombentreffer vom Stadtrand hierher in seine Amtsgebäude verlegt werden musste.
Youssef Absi war vor seiner Wahl zum Patriarchen am 21. Juni 2017 als Mönch der Missionsgesellschaft des heiligen Paulus selbst als Lehrer für Philosophie und Griechisch tätig und hat an der Universität Musikwissenschaft doziert. Seine für die Sängerin Marie Keyrouz komponierten religiösen Lieder sind weit über die Grenzen von Syrien und des Libanon hinaus bekannt. „Ja, die Musik ist eine Sprache jenseits der Grenzen von Nationen, Religionen und Kulturen,“ sagt er uns mit einem sanften Lächeln, in dem viel von seiner tiefen Spiritualität und seiner Herzenswärme mitschwingt, von der wir bereits im Vorfeld unseres Gespräches gehört hatten.
Bereits seit 2001 war er Präsident der syrischen Caritas und so überrascht es uns zunächst, dass er die Frage, wie wir Europäer die Christen im Nahen Osten unterstützen, was wir ihnen geben könnten, mit einem Schweigen beantwortet. Keine Antwort, aber war es nicht ein sehr beredtes Schweigen eines Weisen, der spürt, dass alles, was er über eine mögliche Exklusivunterstützung von Christen im Nahen Osten sagen würde, politisch vereinnahmbar wäre? Vielleicht lag in dem Schweigen darüber hinaus auch noch die mögliche Umkehrung der Frage: Könnten uns nicht die christlichen Gemeinden des Nahen Ostens etwas viel Wichtigeres geben: Sollten nicht wir von ihrer dankbar-selbstbewussten Haltung lernen, die sich aus der Kraft der Gründung durch die Apostel nährt und auch in der Diaspora über Jahrhunderte überleben lässt? „Taufscheinchristentum“ ist in Syrien jedenfalls keine Denk- oder Handlungskategorie.
Kleine Holzkreuze, mit Tränen geschenkt
Während seines Schweigens muss ich an einen bewegenden Moment während des Gruppengespräches beim Taizétreffen in Beirut zwei Tage zuvor denken: Razek, der mit einer Gruppe Jugendlicher aus Aleppo zum Treffen gekommen war, hatte erzählt, dass er hier in Beirut seine Eltern besuchen konnte, die aus Syrien geflüchtet waren. Seine drei Schwestern leben inzwischen in den USA, in Kanada und in Frankreich. Er hat gerade sein Architekturstudium beendet und ist als einziger seiner Familie in Aleppo geblieben. Nein, er will von dort nicht weg, er will am Wiederaufbau mitwirken, vor allem aber am friedlichen Miteinander, auch wenn es für Christen in Aleppo immer schwieriger wird. Sein Freund hat uns dann mit Tränen in den Augen kleine Holzkreuze geschenkt, vom Dachstuhl seiner zerstörten Heimatkirche. Inzwischen ist die Kirche wieder aufgebaut.
Beim Mittagsgebet sind die beiden dann in der großen Messehalle von Beirut in der Reihe hinter mir gesessen. Es war diesmal ein besonderes Gebet am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung, das im Libanon als Tag der Versöhnung nach dem Bürgerkrieg ein staatlicher Feiertag ist: Christen und Muslime haben gemeinsam gebetet.
Pilgerweg der Versöhnung
Maria genießt als Mutter des Propheten auch unter Muslimen eine hohe Verehrung. Zu Weihnachten 1982 hatte Frère Roger Schutz, der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, mitten im Bürgerkrieg, der die ganze Stadt in Schutt und Asche legte, in Beirut den „Pilgerweg der Versöhnung“ begonnen, eine lange Reihe internationaler, ökumenischer Jugendtreffen, die sein Nachfolger Frère Alois mit der Brüdergemeinschaft von Taizé und vielen tausenden Jugendlichen als „Pilgerweg des Vertrauens“ auf der ganzen Welt weiterführt. An diesem Tag war er mit der Teilnahme von hohen Würdenträgern aller muslimischen Gruppierungen, von Schiiten, Sunniten und Alawiten, von Bischöfen und Amtsträgern der vielen christlichen Konfessionen im Libanon an einer entscheidenden Wegmarke angekommen.
Bei der Liturgie der Vorgeweihten Gaben am Mittwochabend nach dem Gespräch mit dem Patriarchen in der Kathedralkirche der Melkiten in Damaskus – eine festliche Eucharistiefeier gibt es an den Werktagen der Großen Fastenzeit in der Byzantinischen Liturgie nicht – ist die Kirche bis in die letzten Bankreihen gefüllt. Wie schon öfter an diesem Tag geht während der Feier das Licht aus. Diesmal ist es aber kein Stromausfall, sondern Inszenierung der Göttlichen Liturgie. Die Prozession der Ministranten in ihren bunten Gewändern mit den brennenden Kerzen in der Hand, deren Lichtschein den Goldgrund der Ikonen zum Leuchten bringt, vereint sich mit dem Duft des Weihrauchs und dem betörenden Gesang der Schola zu einem sinnlichen Erlebnis ganz eigener Art, das uns der Welt des Alltags enthebt.
Auf der Zwischenstation unserer Rückreise am Flughafen in Istanbul lesen wir im Internet, dass während unserer Fahrt über die Berge des Libanon gleich nach dem Gottesdienst in dieser Nacht Raketen aus Israel ein Munitionslager am Stadtrand von Aleppo zerstört haben, begleitet von Stromausfällen in der ganzen Stadt. Unsere syrischen Freunde waren zu dem Zeitpunkt wohl auch gerade auf dem Rückweg aus Beirut in ihre Heimatstadt.
„Wer in Europa weiß denn schon etwas von den Christen hier?“, hat Razek während des Gesprächskreises in die internationale Runde junger Menschen aus Tschechien, Deutschland, Dänemark, Ungarn, Italien, Österreich, Schweden und der Slowakei gefragt. Das kleine Holzkreuz seines Freundes auf meinem Nachttisch wird mich noch lange daran erinnern: Ein kleines, aber starkes Zeichen auf dem Pilgerweg der Versöhnung und des Vertrauens.
Alois Kölbl
Autor:Ingrid Hohl aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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