Stichwort: Erbsünde
Erlösung ist zum Greifen nahe
Vom Adam zum Christus. Nicht nur Unheil pflanzt sich – als Folge der Erbsünde – in der Welt fort. Auch das Erlösende, Heilsame, Befreiende ist allgegenwärtig.
Beim Suchen des Artikels über die Erbsünde habe ich im Lexikon als Erstes die Seite aufgeschlagen, auf der ein Beitrag zum Stichwort „Erlösung“ steht. Also musste ich zurückblättern, denn „Erbsünde“ ist weiter vorne zu finden. Es war aber eine schöne Fügung, dass ich zuerst bei der Erlösung gelandet bin, denn ein Nachdenken über die Erbsünde sollte immer aus dem Blickwinkel geschehen, dass auf sie Erlösung folgt, dass wir ihr nicht unentrinnbar ausgeliefert sind.
Die Kirche hat in ihrer ganzen Geschichte um ein rechtes Verstehen dieses schwierigen Sachverhalts gerungen, etwa um das Verhältnis von Sünde und Gnade, um die Frage nach der Natur des Menschen und seiner Verstrickung in unheilvolle Lebenssituationen sowie der Möglichkeit einer Befreiung daraus, und sie tut es bis heute. So hat der Theologe Henri Boulad einmal gesagt, dass die Lehre der Erbsünde völlig neu gedacht werden müsse, um für den Menschen des 21. Jahrhunderts plausibel, relevant und hilfreich zu sein. Nehmen wir also dieses Wagnis in Angriff.
Das Gift des Misstrauens
Diese Lehre stützt sich auf die Theologie, die Paulus im Römerbrief entwirft. Dort stellt der Apostel dem „alten Menschen“, dessen mythologisches Urbild Adam ist, den „neuen Menschen“ Jesus Christus gegenüber (vgl. Röm 5,12–21). Adams „Sündenfall“ besteht darin, dass er das Urvertrauen in Gott verliert. Wie eine Schlange kriecht ihm das Misstrauen ins Bewusstsein und vergiftet seine Gedanken. Es ist der Verdacht: „Womöglich ist Gott nicht ehrlich zu mir und will gar nicht mein Glück. Vielleicht bin ich besser dran, wenn ich einfach nehme, was ich kriegen kann.“
Die Wirkung dieser Vergiftung ist fatal. Adam fühlt sich entblößt, empfindet Scham und will sich verstecken. Er schiebt die Verantwortung auf andere ab und bekommt Angst. Er fällt aus dem paradiesischen Zustand der Geborgenheit heraus, das Leben wird zum gnadenlosen Kampf um Selbstbehauptung – mit höchst unheilvollen Auswirkungen auf die ganze Schöpfung.
Ein schwerer Rucksack
Kein Mensch kann das Schreiben seiner Lebensgeschichte auf einem leeren Blatt beginnen. Er muss weiterschreiben, wo andere begonnen haben. Jeder Mensch betritt eine Welt, die geprägt und beeinträchtigt ist von den Folgen schuldhaften Handelns und sündhafter Strukturen. Er ist konfrontiert mit Staatsschulden, Bergen von Giftmüll, der Klimakatastrophe, dem Artensterben, Kriegen, der Ausbeutung von Mensch und Natur – ohne selbst dazu beigetragen zu haben. Wir hinterlassen der kommenden Generation wahrlich keine paradiesische Erde.
Ähnliches gilt für das persönliche Umfeld. Jeder Mensch wird hineingeboren in eine konkrete Familie, in der es bestimmte Prägungen und Muster gibt, die vielleicht seine Entwicklung beeinträchtigen, ungesunde Lebensweisen, Verletzungen, die nicht aufgearbeitet, sondern verdrängt wurden, Konflikte, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Viele schwere Brocken befinden sich bereits in unserem Rucksack, wenn wir die Lebensreise beginnen. All das ist ein belastendes Erbe, das uns aufgebürdet ist. Wie können wir davon erlöst und befreit werden?
Wie kann die Verstrickung gelöst werden?
Die Lehre der Kirche sagt, im Sakrament der Taufe werde diese Erbsünde abgewaschen. Das ist freilich nicht als Automatismus, als magisches Ritual oder Zauberformel zu betrachten. In der Taufe geschieht vielmehr das Eintauchen in die Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem „neuen Menschen“. Sie markiert den Beginn einer persönlichen Beziehung zu Christus, die Zusage einer wunderbaren Freundschaft.
Jesus ist der Mensch, der nie aus seinem tiefen Vertrauensverhältnis zu Gott herausgefallen ist, der sich nie von Gott entfremdet hat und sich durch nichts von der Gewissheit abbringen ließ, dass er bedingungslos geliebt ist. Dadurch konnte er die Verstrickungen der Menschen lösen, konnte ihnen so begegnen, dass es für sie heilsam war, konnte durch seine Wahrhaftigkeit die Verlogenheit der Welt aufdecken und durch seine Auferstehung die Angst um sich selbst, die all dem Unheil zugrunde liegt, aus den Angeln heben.
Wer nun als Getaufte(r) die Beziehung mit dem auferstandenen und lebendigen Christus sucht, kann in dessen Fähigkeit zu vertrauen Halt finden, kann berührt von ihm die Kraft finden, auf erlittene Verletzungen so hinzuschauen, dass sie heilen können, kann im Schutz seiner Liebe die eigenen Lebenslügen hinter sich lassen und zur Wahrhaftigkeit finden, kann anderen Menschen und der Schöpfung achtsam und heilsam begegnen. Verbunden mit Jesus werden wir selbst zu einer neuen Schöpfung.
Alfred Jokesch
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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