Stichwort: Ablass
Rabattmarkerl für das Fegefeuer?

Das Öffnen der Heiligen Pforte im Petersdom ist jenes Ritual, mit dem ein Heiliges Jahr beginnt. Es symbolisiert das sich den Pilgernden weit öffnende Tor der Gnade und der Liebe Gottes. | Foto: KNA /Osservatore Romano
  • Das Öffnen der Heiligen Pforte im Petersdom ist jenes Ritual, mit dem ein Heiliges Jahr beginnt. Es symbolisiert das sich den Pilgernden weit öffnende Tor der Gnade und der Liebe Gottes.
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Im Heiligen Jahr wird traditionell Pilgerinnen und Pilgern ein „vollkommener Ablass“ gewährt.
Diese kirchliche Praxis quittieren heute viele mit Kopfschütteln. Versuch einer Neuinterpretation.

Der Ablasshandel war schon Martin Luther zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein Dorn im Auge. Der Theologe hatte seine liebe Not damit, dieses damals sehr offensiv propagierte Mittel, um sich selbst oder bereits verstorbene Angehörige von den Qualen des Fegefeuers freizukaufen, mit seinem Suchen nach einem gnädigen Gott in Einklang zu bringen. Die Streitfrage brachte den Stein ins Rollen, der zum Bruch mit der römischen Kirche und zur Spaltung der abendländischen Christenheit führte.

Heute löst der Begriff „Ablass“ – im Katechismus als „Erlass zeitlicher Sündenstrafen im Fegefeuer“ erklärt – bei den meisten Menschen Stirnrunzeln oder Kopfschütteln aus. Er lässt an das Bild eines zornig strafenden Gottes denken, der am Jüngsten Tag unseren Sündenkatalog penibel abrechnet. Glücklich darf sich schätzen, wer einem solchen Gott einen Ablassbrief hinhalten kann, der das Strafmaß herabsetzt. Gleicht also die Himmelspforte einer Supermarkt-Kassa, wo ich meinen Sammelpass mit Rabattmarkerln gegen 10 Prozent Preisnachlass einlösen kann?

Gott straft nicht
Es ist wohl höchst an der Zeit, dass wir uns vom Bild eines so kleinlichen Buchhaltergottes verabschieden. Der Gott Jesu straft nicht, sondern empfängt uns so wie der barmherzige Vater seinen heimkehrenden Sohn: „Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“ (Lk 15,20) Er lässt ihn nicht zappeln, bis der Schuldenstand getilgt ist, sondern lässt ihm sofort ein üppiges Festmahl bereiten. Das Fegefeuer hat der Sohn im Moment der Begegnung mit dem Vater längst hinter sich, das erlebte er im Elend, in das sein vergeudetes Leben gemündet ist, und in der Seelenqual, die es ihm bereitet hat, sich sein Versagen einzugestehen und sich zur Heimkehr zum Vater aufzuraffen. Gott straft nicht, sondern überschüttet uns mit Liebe. Wir strafen uns eher selbst, indem wir zu klein von ihm denken und seiner Liebe misstrauen.

An den jüngsten Schreiben zum Heiligen Jahr fällt auf, dass weder Papst Franziskus in der Bulle „Spes non confundit“ (9. Mai 2024) noch Kardinal Angelo De Donatis in den Erläuterungen „Über die Gewährung eines Ablasses“ (13. Mai 2024) das Wort „Sündenstrafen“ verwendet. Offenbar nimmt auch das kirchliche Lehramt hier eine Akzentverschiebung vor. Wohl aber spricht Franziskus davon, dass Sünde Folgen hat und Spuren hinterlässt. Vergebung könne die Vergangenheit nicht ändern, aber sie könne „es ermöglichen, die Zukunft zu verändern und anders zu leben, ohne Groll, Verbitterung und Rache“.

Was ist das Fegefeuer?
Am Ende meines Lebens sterbe ich hinein in Gott. Ich werde „ihn sehen, wie er ist“
(1 Joh 3,2), verheißt mir der 1. Johannesbrief. Ich erkenne Gott als die reine Liebe, die mich umfängt. Zugleich erkenne ich mich selbst ganz und gar. Mir wird bewusst, wie Gott mich gedacht hat, welche Fähigkeiten er mir geschenkt hat und welche Aufgaben er mir in der Welt zugedacht hat.

Als Fegefeuer betrachte ich den Schmerz, den ich empfinde angesichts der Erkenntnis, wie weit ich hinter meinen Möglichkeiten zurückgeblieben bin, wo ich versagt habe und welche Möglichkeiten zum Guten ich in meinem Leben ungenützt habe verstreichen lassen. Es ist der Schmerz über all die Situationen, in denen ich nicht geliebt und nicht wirklich gelebt habe.

Ablass als spiritueller Weg
Die Lehre vom Ablass ist in diesem Sinne nicht als formelles Absolvieren von Ritualen zu verstehen, bei denen ich gleichsam Stempel in meinem Ablass-Pass sammle. Der Ablass ist die Frucht der Bereitschaft, mich auf einen spirituellen Weg einzulassen, der meinem Leben eine neue Richtung gibt. Die einzelnen Schritte, die hier genannt werden, können mir dabei helfen.

Wenn ich eine Wallfahrt unternehme, habe ich Gelegenheit, meine Lebenswege zu betrachten. Vielleicht werden mir dabei manche Irrwege, Umwege oder Sackgassen bewusst, in die ich mich verrannt habe, und es kommen mir Gedanken in den Sinn, was mich daraus befreien kann. Wenn ich die Gräber der Apostel besuche und die Pilgerstätten, an denen Heilige gewirkt haben, dann kann ich aus deren Lebensbeispiel oder durch die geistige Nähe zu ihnen Orientierung finden. Wenn ich die Heilige Pforte durchschreite, kann ich es in dem Bewusstsein tun, dass ich eintrete in den heilsamen Raum der göttlichen Liebe. Wenn ich die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie empfange, kann es mir Kraft schenken für einen Neuanfang.

Und wenn all das bewirkt, dass ich mich in der restlichen Zeitspanne meines Lebens näher an das Urbild meines Wesens herantaste, meine Talente besser ausschöpfe, intensiver lebe und mehr liebe, dann wird auch der Schmerz der Läuterung vor dem Antlitz Gottes geringer sein.

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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