Glaube
Gedenkblatt für Gertrud von le Fort
Eine große, begnadete Dichterin nannte sie ihr Kollege Carl Zuckmayer. Ihr Werk hat auch fünfzig Jahre nach ihrem Tod nichts an visionärer Kraft eingebüßt.
Mein innerer Weg ist langsam immer mehr der Weg zu einer völligen Erneuerung meiner ganzen Lebenskraft geworden“, schreibt Gertrud von le Fort am 27. Februar 1924 in einem Brief an eine enge Freundin und Vertraute. Zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits die Hälfte ihres Lebens durchmessen, in vielen verschiedenen deutschen Städten gewohnt, unter verschiedenen Pseudoymen verschiedene Bücher veröffentlicht – Gedichtbände ebenso wie Romane –, Studienjahre in Heidelberg, Marburg an der Lahn und Berlin verbracht und in dem protestantischen Theologen Ernst Troeltsch einen prägenden Lehrer gefunden.
Nun aber ist sie an einer entscheidenden Lebenswende angelangt, und dies findet seinen Ausdruck in einem Werk, das noch im selben Jahr erscheint, den Namen seiner Autorin berühmt machen wird und bis heute zu den Klassikern moderner spiritueller Literatur zählt: in den „Hymnen an die Kirche“.
Bei dem schmalen Band handelt es sich nicht, wie der Titel erwarten lässt, um eine Sammlung von Lobgesängen, sondern um ein großes Zwiegespräch: Zwei Stimmen, die Stimme einer „nach Gott verlangenden Seele“ und die Stimme der Kirche, jener Kirche, die nicht aus Steinen, sondern aus Menschen gebaut ist, begegnen einander im Dunkel der Zeit. Auf die Klage der vereinzelten, schrecklich vereinsamten Seele: „Überall ist einer lebendig begraben!/ Unsere Mütter weinen, und unsere Geliebten verstummen;/ denn keiner kann dem andern helfen: sie sind alle allein!/ Sie rufen sich von Schweigen zu Schweigen,/ sie küssen sich von Einsamkeit zu Einsamkeit./ Sie lieben sich tausend Schmerzen weit von ihren Seelen“, erwidert die Stimme der Kirche: „Ich bin es, die in deinen Tiefen weint!“
So ringen diese beiden Stimmen miteinander in Frage und Antwort, in Zuspruch und Widerspruch, in Nähe und Distanz, bis sie sich schließlich im Licht der Letzten Dinge zu einem großen, brausenden Schlussakkord vereinen.
Zwei Jahre nach Veröffentlichung dieses ungewöhnlichen Buches, das weit über den deutschen Sprachraum hinaus Widerhall fand, konvertierte Gertrud von le Fort zum Katholizismus. „Mit ihrer Konversion“, bemerkt einer der besten Kenner ihres Werkes, der Wiener Jesuitenpater Alfred Focke, „hatte le Fort keineswegs alle Brücken hinter sich verbrannt […] sie war eine ‚offene‘ Konvertitin, die die Mannigfaltigkeit menschlichen Denkens und Ringens bejaht.“
Mit dieser Offenheit einher gingen ein ausgeprägtes historisches Bewusstsein, das sich vor allem in den erzählenden Werken der Dichterin manifestiert, etwa in der zur Zeit der Französischen Revolution spielenden Novelle „Die Letzte am Schafott“, um nur den bekanntesten Titel zu nennen, und eine visionäre Kraft, die sie durch helle und finstere Zeiten geleitete und bis ins hohe Alter nicht erlahmte. So lässt noch ihre 1968 erschienene letzte Novelle, „Der Dom“, die den Gegensatz der christlichen Konfessionen aus der Perspektive eines um seine Mutter trauernden Kindes thematisiert, den Magdeburger Dom zum Schauplatz eines visionären Erlebnisses werden:
„… da war es, als öffneten sich wirklich die Portale, als dehnten sich die weiten Räume des Domes und füllten sich mit unsichtbaren Betern. […] Der Dom schien erfüllt von der ganzen Christenheit; es war wie ein stummer und doch gewaltiger Chor, der aus der Ewigkeit hervorbrach und in die Ewigkeit hallte. […] Alle waren im Grunde eins und würden es immer sein.“
Christian Teissl
Zum Nachdenken
Soweit unsere Augen reichen, ist Liebe das einzige schöpferische
Prinzip, das wir kennen.
Liebe kann nicht sterben – sie findet immer wieder einen Weg, dem Tode zu entrinnen.
Die Liebe verbindet noch mit Gott, wenn jede andere Verbindung mit ihm bereits zerstört ist.
Wo Christus wirklich gegenwärtig ist, da gibt es keine Sieger und Besiegte, sondern nur Versöhnte.
Vor Gott gibt es keine großen Männer.
Es sind nicht die Gottlosen, es sind die Frommen seiner Zeit gewesen, die Christus ans Kreuz schlugen.
Die Gottverlassenheit der Welt, die überwindet nur die göttliche Verlassenheit.
Der Zerstörungswille dieser Welt zerschellt nur am Erbarmen und einzig an ihm.
Während der Flug zu den Sternen des Alls zahlreiche begeisterte Anhänger findet und unglaubliche Summen verschlingt, bereitet unsere Zeit den Untergang des eigenen Sternes, unserer Erde, vor.
Wandeln wir uns selbst, und die Umwandlung unserer Welt wird sich vollziehen.
Gertrud von le Fort (1876–1971), aus ihrem Buch Aphorismen, München: Ehrenwirth 1962.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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