Ökumene
Eine erlebte Versammlung
Vor 25 Jahren stand Graz ganz im Zeichen der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung. Gesammelte Erinnerungen.
Eine bleibende Erinnerung an das Großereignis der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung (EÖV) vor 25 Jahren in Graz ist der Platz der Versöhnung, vormals Passamtswiese, im Grazer Stadtpark. Von 23. bis 29. Juni 1997 kamen tausende Christinnen und Christen aus allen Teilen Europas zusammen, um miteinander Ökumene zu diskutieren, zu feiern und zu leben. Auch große Persönlichkeiten wie Frère Roger Schutz von Taizé, der Patriarch von Moskau, Alexij II., die Präsidentin der Fokolar-Bewegung, Chiara Lubich, der damalige Bischof von Basel, heute Kardinal, Kurt Koch u. v. m. gaben Graz und der Ökumene die Ehre.
Die ereignisreichen Tage standen unter dem Titel „Versöhnung – Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens“. Der damalige Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, der Wiener griechisch-orthodoxe Metropolit Michael Staikos, wünschte sich, dass die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung eine „erlebte Versammlung, nicht eine Versammlung des Papiers“ werde. Für ausreichend Erlebnisse war gesorgt: Das zirka 250 Seiten starke Programmheft führte um die 85 Ereignisse pro Tag an. Neben den Arbeitsgruppen und Plenarsitzungen der 700 Delegierten am Grazer Messegelände standen für alle Teilnehmenden Workshops, Vorträge, Gebete, Gottesdienste und viel Kultur in ganz Graz und darüber hinaus auf dem Programm. Dass man später vom „Geist von Graz“ sprechen würde, darauf hoffte der Vorsitzende des Grazer Lokalkomitees Univ.-Prof. Dr. Grigorios Larentzakis. Ob es gelungen ist?
Viele verbinden persönliche Erinnerungen an diese Junitage vor 25 Jahren. Jede/r war eingeladen, sich, auch kritisch, zu beteiligen. Der Jakominiplatz verwandelte sich beispielsweise in einen „Platz der Empörung“ –
mit Wimpeln, auf denen Menschen ihrer Empörung schriftlich Luft machen konnten. „Scheinheiligkeit“, „Atomversuche“, „Fremdenhass“, „Umweltbelastung“ oder „Tierquälerei“ war dort zu lesen, berichtete Sonntagsblatt-Chefredakteur Dr. Herbert Meßner damals in seinem wöchentlichen Kommentar. Damit es Versöhnung geben kann, müssten Menschen wohl erst ihre Empörung herausschreien, formulierte er.
Dr. Michael Axmann, Superintendentialkurator der Evangelischen Kirche Steiermark habe Graz nie davor mit so einer weltoffenen positiven Stimmung erfahren, wie während der EÖV. Durch die Lage seiner Studentenwohnung in der Sporgasse habe er „den ganzen Tag eine Vielzahl an verschiedenen Sprachen, Gesängen und fröhlichen Austausch erlebt, der mitreißend war.“
Carmen Brugger, damals Koordinatorin des Jugendprogramms, erinnert sich: „Die Woche war stark von inhaltlicher Auseinandersetzung und Diskussion geprägt.“ Eine besondere Erfahrung für sie und wohl viele andere war „das selbstverständliche Miteinander auf Augenhöhe von offiziellen KirchenvertreterInnen und ‚einfachen‘ TeilnehmerInnen.“
Nach Graz 97’ folgte 2007 die Dritte EÖV in Sibiu/Rumänien. Ob es bald eine Vierte geben wird? „Ökumenische Initiativen jeder Art sind immer sinnvoll und notwendig.“, hält Grigorios Larentzakis fest. Eine weitere EÖV wäre schön, um das ökumenische Anliegen wachzurütteln. Viel wichiger jedoch sei die „Umsetzung der vorhandenen Vorschläge, jetzt überall dort wo es möglich ist“ so Larentzakis. Und Möglichkeiten gäbe es viele. Was es braucht? „Mut, Vertrauen und Visionen sind notwendig.“
Katharina Grager
3 Fragen an
Herbert Beiglböck und Wilfried Nausner,
die beiden Lokalsekretäre (röm.-kath. und methodistisch) der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung (EÖV).
Wie war die Stimmung bei der Vorbereitung und während der Tage?
Beiglböck: Eine besondere Aktion war im Sommer 1996 das Ausschicken von jugendlichen Teams in die Länder Südosteuropas, um Menschen zur EÖV einzuladen. Dabei ist sehr deutlich geworden, wie groß das gegenseitige Interesse zwischen Ost und West in Europa damals war. Es war noch spürbar, dass nach der Trennung durch den Eisernen Vorhang ein neues
Miteinander gesucht und gewollt war.
Nausner: Es war ein Miteinander auf der Suche nach einer gemeinsamen Zukunft
in Europa. Die Beziehung der Kirchen in Graz und in der Steiermark hat sich im gemeinsamen Tun deutlich verbessert.
Das zeigt, wie wichtig gemeinsame Aufgaben sind. Die großzügige und herzliche Gastfreundschaft der Kirchengemeinden war bemerkenswert.
Was ist von diesen Tagen geblieben?
Beiglböck: In Graz ist deutlich geworden, dass der ökumenische Prozess kein Anliegen von wenigen Expertinnen und Experten sein kann, sondern von vielen Menschen aus den unterschiedlichen Kirchen gelebt und getragen werden muss. Das ist eine Erfahrung, die bleibt. Wie nachhaltig sie in die europäische und österreichische Kirche wirkt, bin ich mir nicht sicher.
Nausner: Mir ist besonders geblieben, dass „re-conciliare“ zusammenführen und an einen Tisch bringen bedeutet. Wenn wir schon, aus manchmal sehr eigenwilligen Motiven, nicht das Mahl des Herrn gemeinsam feiern dürfen, dann gibt es immer noch ein realen Tisch, an dem
wir teilen können. Und in all dem sind herzliche und tragfähige Beziehungen
über Konfessionsgrenzen entstanden.
Wo und zu welchem Thema sollte eine Vierte Europäische Ökumenische Versammlung abgehalten werden?
Nausner: Die Themen haben sich nicht geändert: Versöhnung, Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Frieden.
Beiglböck: Örtlich aus meiner Sicht am Balkan oder in den baltischen Staaten, wo deutlich wird, wie brüchig und gefährdet das gemeinsame Europa wieder ist.
Im Gespräch mit
Grigorios Larentzakis, dem Vorsitzenden des Grazer Lokalkomitees zur Organisation der Zweiten EÖV.
Wie wurde Graz zum Ort der 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung?
Der erste Gedanke, eine Europäische Ökumenische Versammlung in Graz zu erleben, war ein faszinierender, aber zugleich eine fast unerreichbare Vision. Ich war Mitglied von Kommissionen der Konferenz Europäischer Kirchen, als einer der Vertreter des Ökumenischen Patriarchates. Dort wurde die Zweite EÖV diskutiert und als möglicher Austragungsort auch Graz genannt. Mein erster Gedanke war Überraschung. Dann war für mich klar: Warum nicht? Ich war überzeugt: Es ist möglich! Überzeugungsarbeit war notwendig. Die ersten Reaktionen in Graz lauteten so ähnlich: „Was meint Larentzakis? Alle europäischen Kirchen nach Graz? Weiß er, was das heißt?“ Mit Dankbarkeit erinnere ich mich daher daran, wie schnell alle zuständigen Stellen von allen Kirchen, aber auch von Politik, Stadt, Land, Bundesregierung bereit waren, das Wagnis mitzutragen.
Was war prägend für Sie?
Der allgemein spürbare Optimismus, das Vertrauen und das Menschlich-Festliche
in der ganzen Stadt. Tausende Menschen aus allen Teilen und Kirchen Europas konnten nach Graz kommen, um gemeinsam Zeugnis ihres Glaubens abzulegen. Es war ein beglückendes Erlebnis, als wir die Straßen, Plätze, Parks und Hallen voll gesehen haben, mit pulsierendem Leben, Gottesdiensten, Gebeten, Vorträgen, Diskussionen und festlichen Aktivitäten, … Es war das erste gesamteuropäische ökumenische Fest nach der soziopolitischen Wende.
Was ist geblieben?
Das Ereignis als solches war eine lebendige Botschaft an alle. Es handelte sich dabei um eine kräftige Erinnerung der christlichen Wurzeln Europas, die zeitweise und in verschiedenen Regionen in Vergessenheit geraten sind oder relativiert und verdrängt wurden.
Ein wichtiges Ergebnis war der Entschluss, eine europäische Charta Oecumenica zu schreiben, die am 22. April 2001 in Strasbourg präsentiert wurde. Sie ist das einzige Dokument, das von allen Kirchen Europas getragen wird; sie ist in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Und ganz akut:
Die Vision eines versöhnten Europas im Geiste von Graz darf nicht nur Utopie bleiben. Sie hat unverzichtbare Konsequenzen im konkreten Leben. Die Zeit drängt!
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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