Interview - Vatikanische Sternwarte
Die Sterne sprechen die Sehnsucht der Seele an
Ein Universum voller Geheimnisse: Während viele Menschen nur dann den Blick zum Himmel hoben, als der Meteorstrom der Perseiden im August über das Firmament zog, ist die Beschäftigung mit dem All das täglich Brot von Guy Consolmagno. Der US-amerikanische Jesuit leitet die Vatikanische Sternwarte in Castel Gandolfo – und erzählt dem SONNTAGSBLATT, wo er Gott findet und ob er Außerirdische taufen würde.
Wenn Sie zum Sternenhimmel schauen, finden Sie dann Gott dort oben?
Ja, klar. Ich finde ihn auch in mir, wo er mich dazu bewegt, nach oben zu schauen und ihn zu suchen. Wir finden Gott im Universum, in dessen Ordnung und Schönheit. Man findet Gott auch in der Freude, die man beim Schauen hat.
Wird die Wissenschaft eines Tages in der Lage sein, die Existenz Gottes zu beweisen?
Natürlich nicht. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Ein Gott, der wissenschaftlich erklärt werden könnte, wäre weniger als Wissenschaft – und damit auch nicht der Gott, an den wir glauben. Wissenschaft gibt mir keinen Grund, an Gott zu glauben. Dafür gibt mir Gott Gründe, an die Wissenschaft zu glauben.
Warum sind viele Menschen der Ansicht, die Kirche stehe im Konflikt mit der Wissenschaft?
Wir wissen, dass der Wandel hin zu diesem Denken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte. Ich glaube, dass es eine Kombination aus der damaligen antiklerikalen Politik in Europa und dem Missbrauch des Darwinismus, also dem Sozialdarwinismus, war. Da ging es um Genetik und die Bevorzugung bestimmter „Rassen“.
Die Kirche war immer gegen solche Ansichten. Doch genau wegen dieses Widerstandes wurde sie in der Öffentlichkeit schlechtgemacht. Die Menschen dachten auch, dass die Wissenschaft Systeme liefern würde, die so gut sind, dass man Gott nicht mehr braucht.
Was unterscheidet die Arbeit in der Vatikanischen Sternwarte von der Tätigkeit in jeder anderen Sternwarte auf der Welt?
Die Motivation ist eine andere. Wir arbeiten nicht, um für uns selbst zu werben, um einen besseren Job oder mehr Förderungen zu bekommen, sondern um Gott zu verherrlichen. Bevor ich Jesuit wurde, kam mein Gehalt aus Förderungen staatlicher Wissenschaftsstiftungen. Diese waren auf drei Jahre befristet. Danach muss man etwas vorweisen, sonst gibt es kein Geld mehr. Das verändert die Natur der eigenen Forschung; man übernimmt nur kurze Projekte. Was wir in den letzten 20 Jahren im Vatikanischen Observatorium gemacht haben, sind vor allem Langzeitprojekte. Die daraus gewonnenen Daten und Erkenntnisse haben sich als sehr wichtig für andere Wissenschaftler und Institutionen erwiesen.
Haben Sie auch Verbindungen zur NASA oder ESA?
Manchmal sind Kollegen oder ich in Gremien, die entscheiden, welche Förderungen oder Missionen bewilligt werden. Ich war in dem Gremium, das die Juno Mission empfohlen hat – eine Raumsonde, die mittlerweile zum Jupiter geschickt wurde.
Im August erzeugte der Meteorstrom der Perseiden am Himmel unzählige Sternschnuppen. Was sind Meteore und Meteoriten eigentlich?
Meteoriten sind eine Erinnerung daran, dass der blaue Himmel keine Barriere zwischen der Erde und dem restlichen Universum ist. Staub von Kometen und Asteroiden treffen auf die Erdatmosphäre. Wenn sie klein sind, verbrennen sie in einem Lichtblitz. Das sind Meteore. Wenn diese richtig groß sind und auf der Erde aufschlagen, nennen wir sie Meteoriten. Meist sind die sichtbaren Meteorströme mit Kometen verbunden. Jeder Komet hinterlässt auf seinem Weg um die Sonne eine Staubspur. Wenn dann die Erde diese Spur trifft, schaut es so aus, als würde der Staub die Erdatmosphäre treffen. Es ist aber andersherum. Die Erde kreuzt in ihrem Orbit die Kometenspur.
Woher kommt Ihre Begeisterung für Meteoriten?
Ich liebe sie so sehr, weil sie ein Stück Weltall sind, das man in den Händen halten kann. Sie erinnern daran, dass das Universum real ist. Es ist so, als würde man jemanden im Internet kennen lernen und dann wirklich von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Es ist der Unterschied zwischen sich verlieben und die Person endlich küssen zu können.
Wenn es um die zukünftige Besiedelung fremder Planeten geht – denken Sie, dass es im All Gesetze und Moral braucht?
Wo es Menschen gibt, gibt es auch die Erbsünde. Das ist Teil unserer Natur. Das bedeutet nicht, dass wir es nicht tun sollten. Wir dürfen aber nicht so naiv sein, zu denken, dass wir von unseren Problemen wegkommen, nur weil wir die Erde verlassen. Es gibt bis dato keine festen Gesetze, die im Hinblick auf das Weltall von allen Seiten akzeptiert werden. Also schießen Milliardäre Satelliten ins All, die es anderen schwer machen, wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Beobachtung des Himmels zu ziehen. Der dadurch entstehende Weltraummüll gefährdet andere wissenschaftliche Objekte im All. Aber erst bei schwerwiegenden Unfällen wird vielen Menschen klar werden, dass es auch im Weltraum Gesetze braucht.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, auf dem Mond oder einem fremden Planeten zu leben – würden Sie es tun?
Ich wäre verrückt, dazu Nein zu sagen. Und gleichzeitig wäre ich verrückt, es zu tun. Für Europäer war es früher gefährlich, nach fremden Kontinenten zu suchen. Sie hatten aber zumindest Luft und Nahrung. Im All gibt es das nicht. Trotzdem, die Begeisterung zu erleben, an einem neuen Ort zu sein, das Universum aus einer anderen Perspektive zu sehen – wäre das nicht eine gewaltige Freude?
Die Suche nach Neuem scheint Teil der menschlichen Natur zu sein.
Diese Suche macht uns aus. Schon allein die Sterne zu betrachten, unterscheidet uns von Katzen. Als ich jung war, habe ich zwei Jahre mit dem US-Friedenscorps in Kenia verbracht und Studenten in Astronomie unterrichtet. Irgendwann stellte ich mir die Frage: Warum soll ich Astronomie lehren, wenn es hungernde Menschen auf der Welt gibt? Meine Antwort habe ich mittlerweile gefunden. Menschen hungern nicht nur körperlich, sondern auch im Hinblick auf die Seele. Wir leben nicht vom Brot allein. Die Schönheit, die wir in den Sternen finden, ist nicht nur eine äußere. Sie spricht Sehnsüchte in unserer Seele an.
Glauben Sie, dass es andere intelligente Wesen im All gibt?
Ich habe keine Daten, also auch keinen Grund, das zu glauben oder nicht zu glauben. Ich denke aber, dass es wert ist, danach zu suchen. Vielleicht sind wir wirklich einzigartig im Universum, vielleicht auch nicht.
Falls es sie gäbe, würden Sie sie taufen?
Wir glauben, dass die physikalischen Gesetze, die auf der Erde gelten, auch auf anderen Planeten gültig sind. Man kann davon ausgehen, dass ebenso das Gesetz von Gut und Böse auch außerhalb der Erde gilt. Ein existenzieller Bestandteil der menschlichen Seele ist der freie Wille. Er macht eine Beziehung zu Gott möglich – oder auch deren Zurückweisung. Letzteres nennen wir Sünde. Wenn also eine intelligente Spezies da draußen auch freien Willen hat und die Beziehung zu Gott brechen kann, dann braucht sie genauso wie wir Erlösung. Würde diese in Form der Taufe kommen? Diese Frage kann ich nicht beantworten.
Lesen Sie manchmal Ihr Horoskop?
Nein, das habe ich aufgegeben (lacht). Als Kind habe ich es natürlich gelesen, wie es alle Kinder tun. Wir wollen wissen, wer wir sind. Das ist eine fundamentale Frage im Leben. Manche Menschen wollen in ihrem Horoskop eine einfache Antwort darauf finden. Letztendlich gibt es darauf keine Antwort. Meine Eltern waren 72 Jahre verheiratet, und sogar sie haben immer wieder Neuesim Anderen entdeckt.
Denken Sie, dass die Sterne in irgendeiner Weise beeinflussen, was für Menschen wir werden?
Es gibt so vieles, das unsere Entwicklung beeinflusst. Natürlich ist das denkbar. Auch die Tatsache, ob ich das jüngste oder älteste Kind in meiner Familie bin, prägt mich. Trotzdem ist nichts wichtiger als unser freier Wille. Deswegen ist die Heilige Schrift so unerbittlich, wenn sie es untersagt, die Sterne anzubeten. Die Sterne haben Macht. Und auch wenn sie unseren Charakter prägen würden, wäre es falsch, das eigene Leben und Sein an Horoskopen festzumachen.
Welche Liebe kam für Sie zuerst: die zum Glauben oder die zur Astronomie?
Das weiß ich nicht, denn beide begleiten mich, seit ich mich erinnern kann. Ich hatte als Kind ein kleines Chemielabor im Keller und habe gleichzeitig mit Bausteinen Altäre gebaut und die heilige Messe nachgespielt. Das ist die Atmosphäre, in der ich aufgewachsen bin – sehr gebildet und gleichzeitig sehr katholisch. Es war eine wunderbare Kindheit. Als ich ein Bub war, wollte ich alles sein – ein Astronaut, ein Astronom, ein Priester, ein Journalist, ein Autor. Das Wunderbare ist: Als Jesuit darf ich all das machen.
Alexandra Hogan
ZUR PERSON
Bruder Guy Consolmagno wurde 1952 in Detroit, Michigan, in den USA geboren. Er studierte am Massachusetts Institute of Technology und promovierte an der University of Arizona im Fach Planetenwissenschaften. Nach verschiedenen Stationen, u. a. beim US-Friedenscorps in Kenia und mehreren Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten, trat er 1989 in den Jesuitenorden ein. Seine Ewige Profess folgte 2006. 1993 wurde Consolmagno in die Vatikanische Sternwarte berufen, deren Direktor er ist. Für seinen Beitrag zur Astro-Forschung erhielt der Jesuit mehrere Auszeichnungen.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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