Stichwort: Traurigkeit
Der Tristesse entkommen

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Als achte Todsünde wird in der ostkirchlichen Tradition die Traurigkeit genannt. Gibt es eine Traurigkeit, die sündhaft ist?

Wenn von „Todsünden“ die Rede ist, denken wir sofort an die Zahl Sieben. Der aus der Zeit gefallene – und nicht unproblematische – Begriff begegnet uns heute viel eher in der Populärkultur, in Film, Musik oder Werbung, als im kirchlichen Umfeld. Da empfiehlt es sich durchaus, im Auflisten von Sündenkatalogen und Höllenstrafen Zurückhaltung walten zu lassen. Es soll ja niemandem mit der ewigen Verdammung gedroht werden. So erinnert auch Papst Franziskus die Priester „daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn, die uns anregt, das mögliche Gute zu tun“. (EG 44)
Als Todsünden – besser Wurzelsünden oder Hauptsünden genannt – werden keine einzelnen Verfehlungen bezeichnet, sondern jene Charaktereigenschaften, die konkreten schuldhaften Handlungen zugrunde liegen und mit der Zeit die Beziehungsfähigkeit des Menschen zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zu Gott nachhaltig zerstören, wenn es nicht gelingt, sie zu erkennen, eine Heilung zu erfahren und eine Veränderung herbeizuführen.

Traditionellerweise werden diese sieben Laster als Todsünden genannt: Hochmut, Geiz oder Habgier, Wolllust oder Genusssucht, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit oder Trägheit des Herzens. Ihnen stehen die Kardinalstugenden gegenüber, oder auch die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Die Festlegung auf die Zahl Sieben erfolgte durch Papst Gregor den Großen.

Die achte Todsünde
Der Mönchsvater Euagrios Pontikos, der als Einsiedler im fünften nachchristlichen Jahrhundert in der ägyptischen Wüste lebte, hat in seinen Schriften die „Acht-Laster-Lehre“ überliefert. Darin beschreibt er negative Haltungen, die einem Mönch zu schaffen machen können. Anstelle des Neides findet sich bei ihm die Ruhmsucht, und als achte Eigenschaft nennt Euagrios die „Tristitia“ – die Traurigkeit oder den Trübsinn. In der Tradition der Ostkirche wird diese achte Todsünde bis heute mitgezählt.

Dies wirft allerdings berechtigte Fragen auf: Kann Traurigkeit eine Sünde sein? Sind traurige Menschen selbst schuld an ihrem Gemütszustand? Führt nur ein fröhlicher Mensch ein tugendhaftes, gottgefälliges Leben? Wir sehen, dass es hier einiger Klärung und Eingrenzung bedarf, um nicht Menschen, die ohnehin schon schwer an ihrer Lebenssituation zu tragen haben, ein moralisches Versagen oder gar sündhaftes Verhalten anzulasten.
Was mit dieser achten Todsünde nicht gemeint sein kann, ist jene Trauer, die mit einer Verlusterfahrung einhergeht. Der Tod eines nahen Menschen, das Zerbrechen einer Beziehung, das Abschiednehmen von einem Ort der Beheimatung, das Ende eines Lebensabschnittes – all das bewirkt Trauer, und es ist gut und wichtig, sie wahrzunehmen und ihr Raum zu geben. Jesus sagt in der Bergpredigt: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ (Mt 5,4) Die Fähigkeit, Trauer zu empfinden, gehört zu den wesentlichen Herzensqualitäten und zu einem erfüllten Leben dazu. Angst macht mir eher ein Mensch, der nicht trauern kann.

Nicht gemeint ist auch die Depression im Sinne einer psychischen Erkrankung. Wer an einer damit einhergehenden Traurigkeit leidet, braucht professionelle therapeutische Hilfe und keineswegs irgendwelche Schuldzuweisungen.

Die Traurigkeit der vertanen Chance
Daneben gibt es aber auch eine Art von Traurigkeit, die sich einstellt, wenn ich die Grundtugenden meines Lebens aus dem Blick verloren habe, wenn ich mich gehen lasse und an meinen Sehnsüchten, meinen inneren Antrieben und Begabungen vorbeilebe und sie nicht zur Geltung kommen lasse. Es macht traurig, wenn ich ganz auf mich selbst fixiert bin, mich abkapsle und mein Herz verschließe. Glücklich wird eher nicht, wer krampfhaft nach dem eigenen Glück sucht, sondern viel eher, wer Glück schenkt. Freude am Leben findet, wer sein Herz öffnet, seine Berufung erkennt und seine Aufgabe in der Welt annimmt.

Von dem reichen Mann im Evangelium, der sich bei Jesus nach den Kriterien für das ewige Leben erkundigt, heißt es, er „ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen“. (Mk 10,22) Er war nicht fähig, loszulassen und die Hand Jesu zu ergreifen. Statt der Freude und Lebensfülle, die er in der Freundschaft Jesu hätte finden können, bleibt er traurig zurück. Es ist die Traurigkeit über eine ungenützte Chance.
Papst Franziskus wird nicht müde, vor der traurigen Gestalt einer Kirche zu warnen, die nur um sich selbst kreist und den Dienst an der Welt vernachlässigt. Das gilt auch für den Einzelmenschen. In seiner jüngsten Enzyklika Dilexit nos sagt er: „Wenn du dich in deinen Bequemlichkeiten verschließt, wird dir das keine Sicherheit geben, es werden immer Ängste, Traurigkeiten und Sorgen auftauchen.“ (DN 215)

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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