Handke. Heilig
Bewillkommnen
Harald Haslmayr folgt Willibald Hopfgartners „Annäherungen“ in „Das Heilige im Werk Peter Handkes“.
Während seiner sommerlichen Besuche in Salzburg kann man Peter Handke verlässlich im Gasthof Maria Plain, gelegen nördlich der Festspielstadt mit spektakulärer Fernsicht auf die auslaufenden Alpen, antreffen. In seiner im Vorjahr erschienenen Ballade des letzten Gastes zitiert er wörtlich den Ausspruch des mit ihm seit Jahrzehnten befreundeten Wirtes, als dieser nach der langen Corona-Pause sein Haus wieder aufsperren konnte: „Endlich darf ich wieder Wirt sein!“ Nach nur einem kurzen Satz mündet dieser Freudenausruf gänzlich überraschend in ein Bild aus dem Kreuzweg, wenn Simon von Kyrene Jesus das Kreuz tragen hilft.
Eine einzigartig innige Erfahrung ist es, wenn man als Gast von Peter Handke in seinem Haus in Chaville bewirtet wird, in einer Art liturgischer Sorgfalt und aufmerksamer Zuneigung. Frei von Betulichkeit und kulinarischem Sprach-trara werden Speis und Trank (bestimmt ist es ein trockenkühler Weißwein!) zubereitet und angerichtet – nein, ein längeres Zusammensein mit dem Dichter ohne Essen und Trinken ist undenkbar.
Immer wieder taucht in solchen Momenten die Erzählung von den Emmaus-Jüngern auf, wo die Erkenntnis des Auferstandenen sich während eines gemeinsamen abendlichen Mahls ereignet und sich damit die bis dahin zitternde Atmosphäre der Erzählung besänftigt, um eines der Lieblingswörter Handkes ins Spiel zu bringen. Genau so, wie sich der Ausruf des Gastwirtes in der oben zitierten Stelle in eine religiöse Geste des sich erbarmenden Helfens, nämlich beim Tragen des Kreuzes, wandelt, ist es an vielen Stellen im Werk Handkes, deren Gehalt und Atmosphäre – wir bleiben in Salzburg – mit Georg Trakl beleuchtet werden können: „Schmerz versteinerte die Schwelle. / Da erglänzt in reiner Helle / Auf dem Tische Brot und Wein.“
Der rote Faden in Hopfgartners Streifzügen durch Handkes Sprachwelt scheint das Nachspüren des „Ite, missa est!“ zu sein, des Sich-Ausbreitens des eucharistischen Geheimnisses „in der Welt“ nach seinem sakramentalen Vollzug in der hl. Messe.
Und Handkes Werk erweist sich in dieser Hinsicht als eine schier unerschöpfliche Fundgrube: In diesem von Hopfgartner gewählten Thema geht es um den durch Handkes Sprache zu Tage tretenden Zusammenhang zwischen der „sakralen“ Erinnerung an das durch diese wiedervergegenwärtigte Abendmahl und dem „profanen“ begütigenden Bewillkommnen, das einen guten Wirt kennzeichnet.
Zwischen diesen beiden so verwandten Sphären gibt es jedoch keinerlei kausale Verknüpfungen und schon gar kein wertendes Abhängigkeitsgefälle, ihr Aufeinander-verwiesen-Sein verbürgt am klarsten das frei schwingende UND als die innere Mitte jeder aufgeschriebenen Erzählung, die ihren Namen verdient.
Harald Haslmayr
O-Ton
„Heute muss man vertikal schreiben“
„Ich würdige nicht genug“, sagt Handke einmal.
In die Lebensform eines Wirtes wäre ein würdigender Blick der Tätigkeit eingestiftet. Sie bildet die Sehnsucht von Gregor, der Hauptgestalt der jüngsten Erzählung Die Ballade des letzten Gastes.
ln der überraschenden Wende am Schluss [der Ballade], mit der fünften Kreuzwegstation, eröffnet der Sprecher sein eigentliches Verständnis vom Wirtsein: Es ist ein „Dienst der Dienstbarkeit“ gegenüber allen Menschen, die zu einem alltäglichen Halt oder, mit der Lebenslast beladen, bei einem „guten Wirt“ einkehren, zu einer Stärkung, oder vielleicht mehr noch, um in einer „sozialen Pause“ als Gast ein freundliches Gesicht und ein begütigendes Willkommen zu finden.
Über sein Schreiben sagt Handke einmal, ein „horizontales Gemälde“ (in der Art von Balzac) „geht nicht mehr, heute muss man vertikal schreiben“.
Die bisher letzte Erzählung Handkes bietet mit der Kreuzwegstation ein anschauliches Beispiel dafür, wie die „vertikale Dimension“ eine bewegte Biografie beleuchten kann.
Aus: Hopfgartner, Das Heilige, 44
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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