Stichwort: Kreuzerhöhung - 14. September
Am Kreuz kommt keiner vorbei

Mahnmahl und Heilszeichen. Piero della Francesca, bedeutender Vertreter der italienischen Frührenaissance, malte im Hauptchor der Franziskanerkirche in Arezzo um 1460 die Kreuzlegende als Freskenzyklus. | Foto: Wikimedia
  • Mahnmahl und Heilszeichen. Piero della Francesca, bedeutender Vertreter der italienischen Frührenaissance, malte im Hauptchor der Franziskanerkirche in Arezzo um 1460 die Kreuzlegende als Freskenzyklus.
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Die Kreuzlegende erzählt die Geschichte eines Stückes Holz, das die Menschheit von Anbeginn bis heute begleitet.

Im Mittelalter war sie ein Bestseller: die „Legenda aurea“, die „Goldene Legende“, das meistverbreitete geistliche Buch seiner Zeit. Der Dominikanermönch Jakobus de Voragine hat darin Deutungen zu kirchlichen Festen und Biografien von Heiligen gesammelt. Eine davon – zum Fest der Kreuzerhöhung – erzählt die Vor- und Nachgeschichte jenes Stückes Holz, an das Jesus von Nazaret genagelt wurde.

Der Legende nach reicht die Historie des Baumstamms bis an die Anfänge der Menschheit und ins Reich der Mythologie zurück. So seien dem Adam nach seinem Tod Samen vom Baum der Erkenntnis in den Mund gelegt worden, aus denen über Adams Grab ein Baum wuchs. König Salomo habe diesen Baum fällen lassen, da er Holz für den Bau des Tempels brauchte. Das Stück habe aber nirgends gepasst, sei immer zu kurz oder zu lang gewesen, so dass es schließlich bei der Errichtung einer Brücke Verwendung fand.

Als die Königin von Saba Jerusalem besuchte, hat sie die Brücke überquert und dabei die Vision gehabt, dass dieses Holz den König Israels ins Verderben stürzen würde. Sie erzählte Salomo davon, der das Holz aus Angst vergraben ließ. Es entstand dort eine heilsame Quelle. Eines Tages wurde das Stück Holz wieder an die Oberfläche gespült und für das Kreuz Jesu benützt. Dreihundert Jahre später reiste Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin, nach Jerusalem, um nach dem Kreuz Christi zu suchen. Sie fand auf Golgota drei Kreuze und konnte das richtige identifizieren, weil ein toter Jüngling durch die Berührung mit diesem Holz wieder zum Leben erwacht sei.

Legendenhafte Blüten, wahre Wurzeln
Vieles an dieser Legende entstammt blühender Fantasie. Aber sie enthält eine sehr tiefsinnige Botschaft. Das Kreuz Jesu ist der Menschheit seit Anbeginn aufgeprägt. Den Schnittpunkt von Leben und Tod markierend begleitet es die ganze Geschichte. Der todbringende Baum der Erkenntnis wird zum Lebens-Stammbaum des Menschengeschlechts, Sünde und Erlösung entspringen derselben Wurzel und gehören ganz eng zusammen. Das Kreuz bringt Verderben und ist zugleich heilsam. Am Kreuz kommt keiner vorbei. Es ist sperrig und widerspenstig, es lässt sich nicht so einfach in unsere Lebensgebäude einfügen, auch nicht in die religiösen Behausungen. Das musste König Salomo erfahren. Dieses Holz ließ sich nicht in den Tempel einbauen. Das Kreuz lässt sich nicht auf den religiösen Bereich eingrenzen und bändigen, es begegnet uns meistens irgendwo mitten im Leben, oft gerade an den Übergängen und Bruchstellen des Lebens. Wenn man – wie die Königin von Saba – sein Geheimnis, seine tiefere Bedeutung zu erkennen vermag, dann kann es dort zu einer Brücke werden, die über Abgründe hinweghilft. Will man es – wie Salomo – vergraben, verdrängen und seine Botschaft ignorieren, dann gelingt das vielleicht eine Zeitlang, doch irgendwann taucht es wieder auf.

Die Zumutung des Kreuzes
Sicher – das Kreuz anzuschauen ist nicht angenehm. Viele stoßen sich daran, dass die Christen gerade dieses Zeichen als das zentrale Symbol ihres Glaubens gewählt haben. Gibt es nichts Schöneres, Positiveres, Sympathischeres in dieser Religion als das Bild des blutüberströmten Körpers eines brutal Ermordeten? Auch wenn wir im heutigen Leben dem Kreuz begegnen, dem vielen Leid in der Welt, den unschuldigen Opfern unserer Kriege, schauen manche lieber weg. Sie bringen sich damit aber um eine wesentliche Erkenntnis.
Das Kreuz erinnert uns daran: Gott schaut nicht weg, wo immer Menschen leiden. Aus Liebe zur Welt hat er sich selbst mit dem Holz des Kreuzes verbunden, um uns aus diesen unheilvollen Verstrickungen herauszulösen, um zu zeigen, dass Liebe stärker ist als Hass und Gewalt. Das Kreuz ist der wahre Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, es zeigt die Folgen des Einen wie des Anderen eindringlich auf.

Das Geheimnis des Kreuzes erschließt sich im bewussten Hinschauen auf den Todespfahl, auf das Potenzial an Hass und Gewalt, das im Menschen steckt, und zugleich im Glauben an die Macht der Liebe, die in der Lage ist, all die erlittene Unmenschlichkeit auszuheilen und das Kreuz in ein Zeichen des Heiles zu wandeln. Das Fest der Kreuzerhöhung (14.9.) feiern wir nicht, um das Leid zu verherrlichen. Das Aufblicken zum erhöhten Kreuz will uns helfen, dass wir uns ganz festmachen an der rettenden Liebe Jesu. Er ist den Weg in die tiefste Erniedrigung gegangen, aber Gott hat ihn über alle erhöht. (Phil 2,6–9)
Das Hinschauen auf das erhöhte Kreuz ermutigt uns, auch auf die leidvollen Kreuzungspunkte in unserem Leben und in der Welt in der Gewissheit hinzuschauen, dass es einen Ausweg gibt aus der Gewalt. Jesus hat ihn uns gezeigt und lädt uns ein, ihn mitzugehen.

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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