Im Gedenken an Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mantl
Tragfähig, ausbaufähig
Wolfgang Mantl, am 29. Juli verstorbener Politikwissenschaftler und Jurist, hat in einer Festschrift für Bischof Kapellari die Rolle des Christlichen für Europa beleuchtet.
An Wochentagen findet sich in manchen Kirchen unserer großen Städte buchstäblich kein einziger Beter. Wer aus der jüngeren und mittleren Generation liest noch Romano Guardini und Josef Pieper? Dennoch müssen die Christen Europas eine kluge Mitte zwischen Selbstbemitleidung und Selbstbeschwichtigung halten. Die christlichen Wurzeln des Kontinents sind nicht abgestorben oder ausgerissen. Die Pfeiler sind nach wie vor tragfähig, ja ausbaufähig.
Das Zeichen des Kreuzes, das „Kreuzzeichen“, bezeugt ein Leben in der Osterfreude, das stärker ist als der Tod. Immer wieder wird lebenspraktischer Glaube täglich mit schöpferischer Kraft verwirklicht. Treue ist schwierig und notwendig: „Haltbarkeit“ des Zusammenlebens in Ehe und Familie, in Beruf und Politik. In der Allgemeinheit und Öffentlichkeit der Kirche, in ihrer Katholizität, in einem Herausgerufensein aus der Trägheit zeitgeistiger Lässigkeit liegt ihre Stärke. Gerade der Sonntag ist „Ansicht“ auf die Transzendenz, wenn der Alltag zum Fest überschritten wird.
Soziallehre. In der katholischen Soziallehre wird jenseits vieler agnostischer Skeptizismen … ein christlicher Beitrag für Europa formuliert. Die Christen haben durch die dunklen Zonen ihrer Geschichte gelernt, Ideen als Einladung, als Angebot, das nicht mit zwangsbewehrter Sanktion erfolgen darf, zu präsentieren: Personwürde, Solidarität und Subsidiarität, Achtung und Förderung des Lebens, Folterverbot, als europäische Errungenschaft die Verwerfung der Todesstrafe. Mensch und Mitmensch leben miteinander in Toleranz und Kompromissbereitschaft. Auch der Andere, der Fremde, blickt mir entgegen, ist „Antlitz“.
Christen dürfen nicht mit geschlossenen Augen oder einäugig, ja blind und stumm durch die Welt gehen. Sie müssen sich zu ihrer Geschichte mit all ihren Licht- und Schattenseiten bekennen …
Vorbild. Einpflanzung, Vermittlung und Einübung christlicher Standards bedürfen der Überzeugungskraft des persönlichen Vorbilds. Das Argument allein genügt nicht. Wir werden nicht durch Aristoteles- und Kant-Lektüre gute Menschen, sondern durch unsere Eltern und Großeltern, zumal durch unsere Mütter und Großmütter. Ohne fromme Frauen verengt sich die Zukunft dramatisch. Geschwister sind einander Apostel.
Der Nährboden hiefür sind Familie, Schule und Kirche. Bloßes „Edelwortgeklingel“ und moralisierendes Gerede bewirken so gut wie nichts, ja sie verschlechtern die beklagten Zustände und führen zu Verdrossenheit.
Diskurs. Wenn religiöse Menschen auf aktuelle Probleme adäquat reagieren wollen, müssen sie die Bedeutung ihrer Werte gerade für den neutralen und offenen Staat und seine Gesellschaft glaubhaft machen. Sie müssen im aufgeklärten Diskurs der Moderne, ja der Postmoderne bestehen. Die Kirchen müssen mehr als in mancher abwehrenden Enge der Vergangenheit den Freiheitsraum des Menschen in seiner Personalität über den Kreis der Gläubigen hinaus für alle Menschen offen halten. Es gibt kein „Zurück“.
aus: identität und offener horizont, styria
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.