„Mir gehen die Stimmen einer Friedensbewegung ab“

Ein Kind hält bei einer Demonstration für die Ukraine am 24. Februar 2024 an der Porta Nigra in Trier ein selbstgemaltes Bild mit der Flagge der Ukraine, in die ein Herz in den Farben der deutschen Fahne gemalt ist. | Foto: KNA
3Bilder
  • Ein Kind hält bei einer Demonstration für die Ukraine am 24. Februar 2024 an der Porta Nigra in Trier ein selbstgemaltes Bild mit der Flagge der Ukraine, in die ein Herz in den Farben der deutschen Fahne gemalt ist.
  • Foto: KNA
  • hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion

Einige Denkanstöße des Grazer Sozialethikers Leopold Neuhold zum Friedensaufruf des Papstes.

Der Papst, der mit weißer Fahne in eines der mit „Kritik“ beschrifteten Fettnäpfchen tritt, Überschriften wie „Spinnt der Papst?“, ein Shitstorm, der sich sehen und hören lässt – die Liste der Reaktionen ließe sich beliebig verlängern: Die Kritik an einer als Aufforderung zur Resignation interpretierten Stelle aus einem Interview von Papst Franziskus ist beinahe einhellig. Alterssturheit, Naivität, Parteilichkeit, fehlende Diplomatie, der Vorwurf, etwas nicht zu Ende zu denken usw.: Von all dem mag etwas stimmen, aber ist das alles?

Keine anderen Vorschläge?
Der Zeitpunkt für das Interview wie auch der fehlende Hinweis, dass die eindeutige Schuld am Krieg bei Russland liegt, war sicher einer verständigeren Aufnahme nicht zuträglich. Nach den Kommentatoren scheint es aber überhaupt nichts Konstruktives an der Aussage des Papstes zu geben. Die veröffentlichte Meinung geht ja in die Richtung, alles andere als eine Fortführung des derzeitigen Krieges in der Ukraine als unmöglich zu erklären und gegenteilige Stimmen als Putin-Versteher und Feind der Ukraine abzukanzeln. Führt dies aber nicht in eine Sackgasse, in die sich begeben zu haben man dem Papst vorwirft? Sind alle anderen Vorschläge und Denkanstöße in Bezug auf die Frage, wie man einen gerechten Frieden gewinnen kann und soll, abzulehnen?

Ein Schritt weg vom Abgrund des Gräuels einer Ausweitung des Krieges: ein notwendiger Schritt!

Die Kriegslogik überwinden
Ich will mich nicht zum Verteidiger des Papstes aufspielen, ich bin kein Anhänger eines absoluten Pazifismus, ich bin für militärische Verteidigung als letzte Möglichkeit und halte diese im Fall Ukraine für gerechtfertigt und auch notwendig. Aber mir gehen die Stimmen einer Friedensbewegung ab, auch um meine Position zu schärfen und zu korrigieren. Es braucht Stimmen, die die Kriegslogik mit einem Ausgriff auf eine Friedenslogik, die sich nicht nur als eine Verlängerung jener darstellt, zu überwinden versucht, um aus dem Teufelskreis der Gewalt ausbrechen zu helfen.

Mut für Verhandlungen
Ich sehe es als notwendig an, Waffen und bessere Waffen an die Ukraine zu liefern, um dieses Land im Kampf um seine und auch um unsere Freiheit zu unterstützen. Aber welche Raketen auch immer werden den Frieden nicht gewinnen können. Natürlich muss alles getan werden, dass Verhandlungen nicht Kapitulation bedeuten. Das Bild mit der weißen Fahne, auch dem Kontext zur Farbe Weiß, die als Leitthema im Papst-Interview dient, ist irreführend, deswegen hätte es meines Erachtens vermieden werden sollen. Aber der Mut, Verhandlungen zu beginnen, ist gefordert. Aufgabe der Weltgemeinschaft ist es, Verhandlungen unter Einbindung Dritter, besonders der internationalen Organisationen, so zu gestalten, dass sie zu einem gerechteren Frieden führen können und nicht zu einem Startschuss für neue Kriege werden.

Dazu bedarf es einer umfassenden Strategie für den Frieden, bei der das Kriterium der Aussicht auf Erfolg ganz pragmatisch, wie es der Papst offenbar getan hat, Berücksichtigung finden muss. Was aber kann als Erfolg des Krieges gesehen werden: die Abwehr der Aggression, der Erhalt der Eigenstaatlichkeit, die Wiederherstellung der zerstörten Integrität des Staatsgebietes der Ukraine …?

Mut für Verhandlungen
Ivan Krastev vom Zentrum für Liberale Strategien in Sofia gab zu bedenken, dass der, der leiden kann, Macht besitzt. Das ukrainische Volk hat gezeigt, dass es leiden kann für die Erlangung und Erhaltung der Freiheit, auch für unsere. Es ist aber mehr als zynisch, zu erwarten, dass andere für uns leiden, ohne dass wir alles tun, um deren Leiden zu verringern. Verhandlungen allein werden nicht zielführend sein, aber es sollte ein Ziel sein, die Rahmenbedingungen in einer umfassenden Strategie so zu gestalten, dass diese als eine Vorleistung, die den Gegner in Zugzwang bringt, wirken könnten.

Natürlich höre ich sofort die berechtigten Einwände: „Das wird bei Putin nicht funktionieren!“ Was aber kann bei ihm und dem derzeitigen System Russlands wirken?
Die Ermutigung des Papstes zu Verhandlungen ist offenbar dem Bemühen entsprungen, einen Schritt zum Frieden zu setzen und einen Schritt vom Abgrund des Gräuels einer Ausweitung des Krieges weg: ein notwendiger Schritt! Dieser muss eingebettet sein in eine Ethik, die sich verstärkt mit den Bedingungen, wie man im Krieg zum Frieden finden kann, auseinandersetzt.

Hoffnung, dass der Wolf ein braver Hund wird …
In diesem Sinne äußert sich auch der italienische Kardinal Matteo Zuppi. Der Erzbischof von Bologna ist Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz und meinte als Sonderbeauftragter des Papstes für Friedensgespräche im Ukraine-Krieg: „Frieden kannst du nur mit dem machen, der Krieg führt; und wenn du an Verhandlungen glaubst, musst du einen Dialog anbahnen, der die beteiligten Seiten einbezieht, und dazu gehört dann selbstverständlich auch die Seite des ‚Bösen‘.“

Zuppi erinnerte in diesem Kontext an den Heiligen Franz von Assisi, der gemäß einer Legende mit dem Wolf von Gubbio sprach und „hoffte, ihn überreden zu können, ein braver Hund zu werden, obwohl er ganz genau wusste, dass er einen Wolf in voller Aktivität vor sich hatte“.

Leopold Neuhold

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ