Amazonien -Brasilien
Indigene kämpfen um ihr Überleben - Sei So Frei
Bischof Erwin Kräutler erlebt in Brasilien die Corona-Katastrophe hautnah mit. Das Virus wütet nicht nur in den Städten, sondern auch in den Dörfern Amazoniens.
Mit welchen „Pandemien“ Indigene neben Corona noch zu kämpfen haben und warum das von Sei So Frei unterstützte Haus für Mutter und Kind Schutzschirm für Schwangere ist, weiß Kräutler zu berichten.
Sei So Frei: In Europa erhalten wir immer wieder dramatische Nachrichten aus Brasilien. Zwar sinken die Corona-Infektionen langsam, dennoch war der April der bisher tödlichste Monat. Wie stark betroffen sind Altamira und die Amazonas-Region?
Bischof Erwin Kräutler: Inzwischen gibt es mehr als 410.000 Coronatote in Brasilien. Die Region Xingu, die Transamazônica und Altamira sind immer noch in der roten Zone. Jeden Tag sterben Leute, die ich gekannt habe. Die Ärzte und das Krankenpersonal tun ihr Möglichstes. Die Spitäler und die wenigen Intensivstationen sind voll. Die Situation ist nach wie vor besorgniserregend.
Wie ist die Situation der indigenen Völker in Amazonien?
Die indigenen Völker bleiben vom Virus nicht verschont. Auch unter ihnen gibt es viele Tote. Ihre Immunsysteme sind für von außen kommende Krankheiten nicht ausgerüstet. Aber es gibt für sie auch noch andere Pandemien: Die Invasionen von Seiten der Goldschürfer und illegalen Holzfäller, die mit der Regierung Bolsonaro arg zugenommen haben, sind für Indigene genauso folgenschwer wie die Corona-Pandemie. Die Regierung schaut mehr oder weniger tatenlos zu. Bolsonaro versprach schon während seines Wahlkampfes, den Indigenen keinen Quadratmeter Land zuzusprechen.
Wie sieht es aktuell im Haus für Mutter und Kind in Altamira aus? Können auch in der Corona-Pandemie Schwangere hier unterkommen und sich auf die Geburt vorbereiten?
Während der Pandemie können wir nur eine begrenzte Anzahl von Frauen aufnehmen, und dies selbstverständlich auch nur unter den vorgeschriebenen Schutzmaßnamen wie Maske, Sicherheitsabstand und Hygienevorschriften. Dennoch kommen gerade auch jetzt in dieser schwierigen Zeit Frauen aus dem Hinterland. Denn die staatliche Gesundheitsversorgung ist hier seit jeher schlecht. Schon vor Corona war in den abgelegenen Dörfern Amazoniens jede Schwangerschaft ein Risiko. Die nächste Geburtenstation, der nächste Arzt ist weit, der Weg dorthin beschwerlich – egal ob mit dem Boot oder über die schlechten Lehmstraßen. Doch im Haus für Mutter und Kind finden Schwangere eine Bleibe. Hier werden sie vor der Geburt betreut und zur Entbindung ins Krankenhaus gebracht. Danach können sie so lange bleiben, bis sie bereit für den Rückweg sind. Dieses Haus ist ein Schutzschirm für sie und die Kleinen.
Präsident Jair Bolsonaro verfolgt eine sehr bedenkliche Corona-Politik. Papst Franziskus hat die Bischöfe Brasiliens ermutigt, positiv auf die Politik des Landes einzuwirken. Die Bischofskonferenz hat Kritik geübt. Kommt diese bei der Regierung an?
Bolsonaro hat seit Beginn der Pandemie bei allen möglichen Gelegenheiten das Virus verharmlost und bei Fernsehauftritten Covid-19 als einfache Grippe heruntergespielt. Demonstrativ weigerte er sich, Maske zu tragen und den Sicherheitsabstand einzuhalten. Den Schaden, den er mit seinen Auftritten anrichtete, mussten Tausende mit dem Leben bezahlen. Mittlerweile befindet sich bereits der fünfte Gesundheitsminister seit Beginn der Pandemie im Amt. Die Bischofskonferenz und der Bischöfliche Rat für Indigene Völker haben sich immer wieder zu Wort gemeldet und von der Regierung entsprechende politische Maßnahmen gefordert, um das Virus einzudämmen und den Millionen Menschen, die aufgrund der Pandemie arbeitslos geworden sind und sogar Hunger leiden, Hilfe anzubieten. Das ist seitens der Regierung bisher nur in geringen Maß passiert. Tausende Familien sind auf karitative Einrichtungen und Kampagnen angewiesen, die mit Lebensmittelkörben das Allernotwendigste fürs Leben bereitstellen. Am meisten leiden die Kinder unter dieser Katastrophe.
Sie haben vor einiger Zeit gesagt, Sie erleben die Pandemie als Eremit. Wie geht es Ihnen heute? Wie sieht der Alltag aus?
Vielleicht war diese Aussage, als Eremit zu leben, etwas überzogen, denn ich lebe im Diözesanhaus und bin da nicht vollkommen allein. Mein Nachfolger und drei Patres, die in Altamira ihren Dienst tun, haben hier ihren Wohnsitz. Alle erfüllen wir die Corona-Schutzvorschriften. Dennoch, im Vergleich zu früher, lebe ich nun sehr zurückgezogen. Vermisse unendlich den persönlichen Kontakt mit dem Volk. Jeder Tag gleicht seit mehr als einem Jahr dem anderen. Ich zelebriere täglich mit drei Schwestern im kleinsten Kreis die heilige Messe. Der Sonntagsgottesdienst wird via Facebook übertragen, und die Anzahl der virtuellen Teilnehmer ist beachtlich. Ich habe viel Zeit für Gebet und Meditation. Bete jeden Tag mindestens dreimal den Rosenkranz, meditiere die Geheimnisse unseres Glaubens und denke nach, wie wir die Amazonien-Synode und Beschlüsse der Bischofskonferenz in konkretes Handeln mit und unter unserem Volk umsetzen können.
Haus für Mutter und Kind
In Altamira, einer Stadt im Norden des Amazonasgebiets, hat Bischof Erwin Kräutler ein Haus für arme Schwangere und junge Mütter gegründet.
Vor und nach der Geburt werden hier Mutter und Baby betreut und finden ein Daheim auf Zeit. Denn in den Dörfern im Hinterland können die Frauen nicht auf Hebamme und Arzt zählen, jede Schwangerschaft wäre ein Risiko.
Gemeinsam mit einer Ordensschwester eröffnete er am 13. Mai 1984 die Casa Divina Providência, das Haus für Mutter und Kind. Bis heute ist das nach außen hin unscheinbare Gebäude ein Ort der praktischen Nächstenliebe, wo Schwangere bis zur Geburt leben können, in Säuglingspflege ausgebildet werden und Alphabetisierungskurse absolvieren.
Der in Vorarlberg Geborene ist seit 1965 in Brasilien. Mehr als dreißig Jahre leitete er die Diözese Xingu-Altamira. Mittlerweile ist Dom Erwin, wie ihn alle in Brasilien nennen, emeritiert. Sein Engagement für Amazonien und seine Menschen geht aber auch im (Un-)Ruhestand weiter.
Gerade in den schwierigen Pandemie-Zeiten ist die Hilfe aus Österreich ein besonderes Zeichen der Verbundenheit: Helfen Sie Bischof Kräutler helfen!
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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