Alle Jahre wieder

Foto: Gerd Neuhold
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Das Weihnachtsgeschäft. Bernhard Schwarzenegger vom diözesanen Fonds für Arbeit und Bildung sprach mit Martha Stollmayer, Seelsorgerin für Handelsangestellte, über die Situation im Handel.

Hier die schriftliche Langfassung des Interviews:

Der Advent mit den Einkaufssamstagen und dem 8. Dezember ist für den Handel ein intensiver Monat. Heuer kommen Corona-Maßnahmen und eine gewisse wirtschaftliche Unsicherheit dazu. Welche Stimmung herrscht bei den Angestellten?
Vor Weihnachten geht es im Handel jedes Jahr rund. Das beginnt bei der Dauerbeschallung durch Weihnachtslieder und endet bei den gestressten Kunden. Jeder will alles am besten gestern. Heuer ist die Situation verschärft: Wenn KundInnen sich schon beim Einkaufen über die Maske beklagen, dann fragen Sie einmal eine Angestellte, wie es ist, den ganzen Tag damit herumzulaufen.
Beim ersten Lockdown wurden die Angestellten in systemrelevanten Berufen als „HeldInnen der Krise“ beklatscht – doch übrig geblieben ist davon nicht viel. Die Arbeitsbedingungen haben sich rundherum verschärft, und viele sind leicht „erpressbar“ – nach dem Motto „Mach das, oder du wirst gekündigt“.
Außerdem hat man das Gefühl, dass durch die Anonymisierung aufgrund der Maske bei vielen KundInnen auch die Hemmschwelle des Anstandes geringer geworden ist: Da meine ich jetzt nicht höfliche Formen wie grüßen, bitte und danke – sondern da reden wir von Beschimpfungen und Beleidigungen.

Wie siehst du die Forderung nach Sonntagsöffnung in der Vorweihnachtszeit?

Gerade heuer, wo für Frauen ohnehin mehr als genug Herausforderungen und teils auch Überforderungen bestehen, ist dieses Signal bestimmt das falsche. Viele haben Kinder bzw. sind alleinerziehend, sollen für Homeschooling sorgen und haben daneben meist auch die ganze unbezahlte Sorgearbeit in der Familie zu leisten (waschen, putzen, kochen).
Von einer Sonntagsöffnung würden die Großkonzerne profitieren, auf Kosten der vielen ohnehin schon oft angeschlagenen KleinunternehmerInnen. Ich erinnere an die beiden Tage vor dem zweiten Lockdown: Wenn Super-Aktionen die Menschenmassen in die Geschäfte locken, da trifft die Geldgier der Unternehmen die Gier der Menschen nach Schnäppchen. Das ist ja leider auch am 8. Dezember alle Jahre wieder der Fall.

Im Lockdown sind viele Läden geschlossen, andere für den täglichen Bedarf hingegen offen. Wie geht es den VerkäuferInnen der geschlossenen Geschäfte und wie jenen im Lebensmittelhandel?
Viele Angestellte haben bewusst einen Teilzeitjob gewählt und müssen nun plötzlich bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten. Entweder in Schichten eingeteilt oder weil eine Kollegin positiv ist. Ein beinharter Job, mit geringem Lohn. In den geschlossenen Geschäften wurde während der Lockdown-Phasen unterschiedlich reagiert: von Kündigungen (mit teilweisen Wiedereinstellungen), Kurzarbeit bis hin zu normalen Anstellungen, um Dinge aufzuarbeiten. Das hatte natürlich einen Einfluss auf das ohnehin nicht prickelnde Gehalt. Besonders betroffen sind meiner Erfahrung nach Frauen um die 50 Jahre, die in großer Sorge vor einem Jobverlust sind.

Wie kannst du als Betriebsseelsorgerin beistehen, und wie wird deine Arbeit
angenommen? Was willst du uns als KundInnen mitgeben?

Als Betriebsseelsorgerin habe ich stets ein offenes Ohr für die Anliegen der Handelsangestellten: für ihre Fragen, aber auch für ihre Schwierigkeiten und Konflikte in der Arbeit. Wenn ein Geschäft schließen muss, ist es mir ganz wichtig, dass die betroffenen Frauen einen Schluss-Strich ziehen können, um wieder gut weiterzugehen: mitnehmen, was gut war, und zurückzulassen, was wütend und traurig gemacht hat – zum Beispiel in Form eines Abschiedsrituals. Da kommt es schon mal vor, dass ich mit Rosen in einem halbleeren Geschäft zwischen den Kartons stehe und den Frauen ermutigende Worte zuspreche.
In meinen über zehn Jahren als Betriebsseelsorgerin wurde ich bislang nur von zwei Angestellten quasi ausgeladen. Mitunter höre ich von Frauen in einem Fünf-Minuten-Gespräch ihre ganze Lebens- und Leidensgeschichte. Manchmal ist es ein einmaliges Gespräch, wenn ich den Frauen einen guten Arbeitstag wünsche, andere begleite ich über einen längeren Zeitraum. Dabei baue ich auf die Unterstützung eines großen Netzwerkes: Gewerkschaft, Arbeiterkammer, das Mobbing-Telefon der Betriebsseelsorge etc.
Was jede/r von uns in diesen Zeiten tun kann: Unterstützen Sie die lokalen Geschäfte! Sie sind es, die hier bei uns Arbeitsplätze sichern und Steuern zahlen. Ach ja – und beim Einkaufen einfach einmal „Danke“ sagen!

Foto: Gerd Neuhold
Als Betriebsseelsorgerin für Handelsangestellte arbeitet Martha Stollmayer (kleines Bild) in Linz. Die Maskenpflicht soll die Ansteckungsgefahr minimieren, bei manchen Menschen maximiert sie die Rücksichts-losigkeit, berichteten Handelsangestellte der Seelsorgerin. | Foto: Jutta Leitner
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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