Theologie
Tagung über Leadership in biblischen und patristischen Texten

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Vom 23. bis 25. September 2024 fand in Graz die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft der Assistentinnen und Assistenten an bibelwissenschaftlichen Instituten in Österreich unter der Leitung von Carolin Neuber (Trier), Josef Pichler, Johannes Schiller und Halyna Schweizer (alle Graz) statt. Mit dem Tagungsthema „Leadership in biblischen und patristischen Texten“ wollten sie nicht nur einen aktuellen Beitrag zur kirchlichen Diskussion und zum synodalen Prozess initiieren, sondern auch die biblischen und patristischen Texte mit aktuellen Leitungskonzepten verbinden.

Dieser Herausforderung stellten sich die ersten beiden Beiträge in besonders engagierter Weise. Edith Petschnigg (Graz) wählte als Thema die Bitte des jungen Königs Salomo um ein „hörendes Herz“ (1 Kön 3,1-15) und führte aus: „Die Hebräische Bibel verbindet damit die Vision einer idealen Herrschaft. Kennzeichen dieses Herrschaftskonzepts sind Verantwortungsbewusstsein, die Orientierung am Gemeinwohl und die Verbindung zum Göttlichen.“ Ausgehend von der Bedeutung der Herzmetaphorik in ägyptischen und biblischen Texten betonte sie die engen Analogien zum Menschenbild der Existenzanalyse und Logotherapie.

Antonia Krainer (Wien) stellte in ihrem Beitrag die Frage „Der ideale König (Ps 72): Ein Vorbild für heutige Führungskräfte?“ Der Psalm beschreibt einen weisen und gerechten König, der Frieden und Wohlstand für sein Volk schafft und dabei besonders die Armen und Benachteiligten im Blick hat. Die Bibelwissenschaftlerin und Ökonomin kam zu dem Schluss: „Ein Vergleich mit den Eigenschaften, die im heute verbreiteten Konzept des „Positive Leadership“ als wesentlich für erfolgreiche Führungspersönlichkeiten angesehen werden, zeigt überraschende Ähnlichkeiten mit diesem biblischen Herrscherideal“.

Die beiden folgenden beiden Beiträge widmeten sich Metaphern und Konzepten von Führung. Maximilan Häberlein (Würzburg) analysierte in seinem Beitrag die Metapher der Gerechtigkeit als Gewand, wie sie etwa in den Büchern Hiob und Jesaja vorkommt. Der „Mantel der Gerechtigkeit“ (Jes 61,10, vgl. Ijob 29,14) oder Gerechtigkeit als Gürtel (Jes 11,5) stelle in der hebräischen Bibel „bildsprachlich sowohl einen Herrschaftsanspruch als auch einen Anspruch an die Herrscher dar, für Gerechtigkeit zu sorgen“.

Der Epheserbrief (Eph 6,10-17) transformiere die jesajanischen Führungsmetaphern in ein Bild der Selbstführung, wenn der Verfasser die Gemeinde auffordert, sich mit Gerechtigkeit gegen die Mächte des Bösen zu rüsten. Maria Brader (Linz) fragte, wie Prozesse wie Fasten oder Mahlfeiern in der Bibel genutzt werden, um Führung zu erlangen, zu erhalten oder auszuüben. Verschiedene narrative Texte zeigen, wie Führungsbeziehungen durch Autoritätsansprüche und -zuweisungen geprägt sind: Soziale Grenzen werden überschritten und Rollen in Frage gestellt. Schließlich wird deutlich, dass Mahlhalten und Fasten nicht nur als existentiell-spirituelle Dimension biblisch relevant sind, sondern auch als soziologische Grundkategorien Machtdiskurse beeinflussen.

Die Facetten von Partizipation und Hierarchie im Führungsstil wurden in drei Vorträgen näher beleuchtet. Martin Lang referierte zum Thema „Herrschaftskritik und/oder partizipative Entscheidungsfindung in keilschriftlichen Quellen“ und zeigte auf, welche Formen von Herrschaftskritik und kooperativer bzw. korporativer Entscheidungsfindung in keilschriftlichen Quellen des Alten Orients bezeugt sind. Da die Keilschrift und die mit ihr verbundenen artes stark an Tempel und Palast gebunden sind, ist Herrschaftskritik nur in sehr verschleierter Form möglich: in der Camouflage des Alters, der Verallgemeinerung, der Gottesrede und des Mantels des Vergessens (damnatio memoriae). Gelehrte Schriftlichkeit war vor allem Herrschaftstechnik.

Demgegenüber stellten Anna Kontriner und Isabel Virgolini (Würzburg) ihre Forschungen zu lokalen Autoritäten im antiken Judentum anhand fiktionaler kanonischer Texte wie Ruth und Susanna (Kontriner) sowie historischer außerbiblischer Papyri aus Elephantine (Virgolini) vor. Besonders hervorgehoben wurde die Bedeutung der reflektierten Einbeziehung von Entstehungs-, Redaktions- und Rezeptionskontexten bei der Erschließung des Materials und der Bewertung von Instanzen lokaler Selbstregulierung.

Lara Mayer (Trier) stellte in ihrem Vortrag zum Estherbuch „Wer hat hier eigentlich das Sagen?“ dar, welche Figuren im Estherbuch direkt oder indirekt an der Herrschaft beteiligt sind und mit welchen Strategien auch vermeintlich schwache und unbedeutende Figuren wichtige Entscheidungen beeinflussen.

Drei neutestamentliche Beiträge beschäftigten sich zum Abschluss der Tagung mit den Gemeindestrukturen der frühen Kirche. Matthias Schmidt (Gießen) zeigte, wie Paulus im Philipperbrief die innergemeindliche Leitung stärkt. Da der Apostel im Gefängnis nur eingeschränkt handlungsfähig war und fürchtete, dass sein Evangelium von Kräften in Frage gestellt werden könnte, die die Beschneidung auch für Heidenchristen forderten, versuchte er, die Einheit der Gemeinde zu stärken. Eine besondere Rolle spielten dabei zwei Frauen, die aufgrund der Struktur des Briefes als episkopoi der Gemeinde identifiziert werden können.

Josef Pichler (Graz) stellte in seinem Beitrag „Ich habe den Herrn gesehen. Frauenfiguren in männerzentrierten Texten“ die wichtige Rolle der Frauen in den Texten dar, die von der Begegnung mit dem Auferstandenen erzählen. Es bedurfte allerdings einer langen Zeit des Nachdenkens und Umschreibens der Erzählungen, bis die Wendung des Paulus in 1 Kor 9,1 auch von einer Frau, Maria von Magdala in Joh 20,18, ausgesprochen wurde, weil darin unausgesprochen die Frage verhandelt wird, ob Frauen Christus repräsentieren können.

Schließlich zeigt Halyna Schweizer in ihrem Beitrag „Wunderweiber. Die verborgene und verschwundene Rolle der Witwen in 1Tim 5,3-16“, dass Witwen (unverheiratete Frauen) eine wichtige Rolle in der Gemeindeorganisation der Pastoralbriefe spielten und erst in späterer Zeit zugunsten einer Professionalisierung des Klerus aus Leitungs- und Partizipationsfunktionen in der Gemeindeorganisation zurückgedrängt wurden.

Die Veranstalter danken dem Österreichischen Bibelwerk unter der Leitung von Frau Dr. Elisabeth Birnbaum für die Unterstützung der Tagung. Die nächste Tagung der ARGE ASS wird vom 22.9. bis 24.9.2025 in Linz stattfinden.

Josef Pichler

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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