Symposium
Kirche, Partei und Politik
Ignaz Seipel. Mit dem kontrovers beurteilten Politiker und Priester, dessen Tagebücher herausgegeben werden, befasste sich ein internationales Symposium.
Zu seiner Zeit als Obmann der Christlichsozialen Partei (1921–1930) und zweimaliger Bundeskanzler (1922–1924 und 1926–1929) höchst kontrovers beurteilt, nach 1945 von der ÖVP verschwiegen: Prälat Dr. Ignaz Seipel starb vor 90 Jahren. Die Grazer Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler lud gemeinsam mit ihrem Mitarbeiter Markus Zimmermann am 4. und 5. November zu einem internationalen Symposium mit 14 Referierenden aus fünf Ländern ins Universitätszentrum Theologie: „Ignaz Seipel (1876–1932): Im Spannungsfeld von Kirche, Partei und Politik“. Die Tagung wurde in memoriam Maximilian Liebmann veranstaltet, der die Herausgabe der Seipel-Tagebücher initiiert hatte.
„Freundschaft nach allen Seiten“ lautete eine außenpolitische Losung Seipels. Ausgewogenheit in der Außenpolitik und Unversöhnlichkeit in der Innenpolitik konstatierte ihm beim Symposium der in Hildesheim tätige Historiker Michael Gehler. Österreichs Probleme waren in der internationalen Politik lange von der „deutschen Frage“ überschattet. Als nach einer ergebnislosen Weltwirtschaftskonferenz 1922 Bundeskanzler Schober zurücktrat, bildete Seipel eine Koalitionsregierung mit den Großdeutschen. Im Sommer dieses Jahres geriet die Inflation völlig außer Kontrolle, die junge Republik stand vor dem Zusammenbruch. Seipel und die Regierung behielten die Nerven. Seipel trat vor dem Völkerbund auf. Dieser garantierte in den „Genfer Protokollen“ die politische Unabhängigkeit Österreichs und gewährte einen Kredit von 650 Millionen Goldkronen. Österreich musste aber ein Sanierungsprogramm durchführen, kontrolliert vom Völkerbund; ein Anschluss an Deutschland wurde untersagt. Zum Reformprogramm Seipels gehörte dann der Schilling als neue Währung. Wenngleich mit dem Genfer Programm die Existenzgrundlage der Ersten Republik gesichert wurde, sprach vor allem die politische Opposition von einer „Versklavung Österreichs“, und es kam zu einer parteipolitischen Agitation gegen Seipel, hart an der Grenze zur Mordpropaganda, wie der Grazer Wirtschaftshistoriker Walter Iber ausführte. Die Wirtschaft war stabilisiert, blieb aber krisenanfällig. Die Weltwirtschaftskrise 1929 ließ alles wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
„Österreich geht es nicht so schlecht, dass ich das Kanzleramt übernehmen müsste, aber auch nicht so gut, dass ich es ablehnen dürfte“, sagte Seipel, als der 1924 (auch nach einem Attentat) Zurückgetretene wieder um die Kanzlerschaft gebeten wurde. Er sprach für Österreich wie kein anderer Bundeskanzler, war aber keine prägende innenpolitische Integrationsfigur, fasste Michael Gehler zusammen. Es gelang ihm aber die Einordnung Österreichs in das Pariser Nachkriegsordnungssystem. Dabei betrieb er eine Zeitlang eine ausführliche Reisediplomatie. Die Umstände der Zeit nötigten ihm „Drahtseilakte unter Hochspannung“ ab.
ZEITGESCHICHTE
Siegfried Weichlein, Fribourg, erläuterte die Ursprünge des Politischen Katholizismus.
Im Übergang von der Monarchie zur Republik
Politische Parteienfamilien sind aus Konflikten gewachsen, betonte der Zeithistoriker Siegfried Weichlein beim Ignaz-Seipel-Symposium. So auch der „Politische Katholizismus“. In Deutschland stand die Zentrumspartei für die Interessen katholischer Bürgerinnen und Bürger gegen protestantische Mehrheiten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus einer Oppositionspartei eine Staatsgründungspartei der Republik. Die Vereine und Verbände an der Basis standen aber auch nachher oft kritisch zum neuen Staat. In Österreich endete mit der Monarchie das enge Verhältnis von Thron und Altar. In der Frage nach der künftigen Staatsform setzte sich Seipel zunächst dafür ein, Demokratie und Kaiser als Staatsspitze zu verbinden. Er nahm dann Einfluss auf die Art des Rückzugs von Kaiser Karl und hat wohl, so Staatsarchiv-Direktor Helmut Wohnout, dessen Verzichtserklärung verfasst: keine Abdankung, sondern einen Rückzug, der die Entscheidung dem Volk überließ. In einem Artikel in der „Reichspost“ motivierte Seipel auch das christlichsoziale Lager für die Wahlen.
Ignaz Seipel, 1876 in Wien geboren und 1899 zum Priester geweiht, wurde zunächst Professor für Moraltheologie in Salzburg, wie der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber ausführte. 1918 wechselte er nach Wien, ging aber bald in die Politik, zunächst als Minister für soziale Fürsorge. Im Übergang von der Monarchie zur Republik wirkte Seipel gegen eine drohende Spaltung der Katholiken in ein republikanisches und ein monarchistisches Lager.
Eine wirkliche Hausmacht hatte Seipel in seiner Partei nicht. Seine Unterstützung kam vor allem vom Wiener Kardinal Piffl und auch aus dem Vatikan. In der jeweiligen Staatsform sollten die Rechte der Kirche gewahrt bleiben. Die von Hans Kelsen erstellte Verfassung der Republik Österreich wurde möglich durch eine Verständigung zwischen Seipel und seinem sozialdemokratischen Pendant Otto Bauer, so der Rechtshistoriker Thomas Olechowsk
„Rom versteht uns nicht“
In memoriam Maximilian Liebmann präsentierte Verleger Helmut Wagner dessen letzte Publikation „Rom versteht uns nicht“.
Wertschätzung und Feindbild
2400 Seiten Tagebuchaufzeichnungen sind zu veröffentlichen.
Es sei eine Ironie, dass im Geburtshaus Seipels heute ein Institut der Gewerkschaft seinen Sitz hat, erinnerte Florian Wenninger vom Wiener Institut für Historische Sozialforschung. War Seipel doch ein Feindbild der Gewerkschafter gewesen. Menschliche Güte und priesterliche Würde, aber zugleich ein Hass gegen die Sozialdemokratie hätten Seipels Persönlichkeit bestimmt. Aus Sicht der Sozialdemokratie habe Seipel auch ökonomische Maßnahmen mit dem Kalkül gesetzt, der Sozialdemokratie zu schaden. In den Karikaturen und Satiren über Seipel traf übertriebene Wertschätzung auf absolute Geringschätzung, führte Johannes Schöner vom Wiener Karl-Vogelsang-Institut mit Beispielen aus.
Der Frage, ob Seipel Wegbereiter des Austrofaschismus gewesen sei, stellte sich Lucile Dreidemy. Seipel habe sich zur Demokratie, einer „richtig verstandenen“, bekannt, aber auch Kontakte zu den Heimwehren geknüpft und einen Ständegedanken aufgegriffen.
„Unser Prälat“ nannte Papst Pius XI. Seipel, der im Vatikan höchstes Ansehen genoss und dem Ideal eines Priesterpolitikers entsprach. Den Priester hinter dem Politiker beleuchtete Markus Zimmermann. Seipel wohnte lange im Konvent der „Dienerinnen vom heiligsten Herzen Jesu“. Er hielt sich an priesterliche Vorgaben wie Gebet, Beichte und Exerzitien. Bei den Exerzitien 1927 hinterfragte er in seinen Übungen das Spannungsfeld Priester und Politiker. Seipel trat stets priesterlich gekleidet auf. Es konnte vorkommen, dass er, etwa bei Begräbnissen, sowohl als Prediger als auch als politischer Redner zu Wort kam.
Dass die ÖVP nach 1945 keinen „Gedächtnisort“ für Seipel suchte, erläuterte der Grazer Historiker Dieter A. Binder. Er sprach von einer „entsorgten“ Geschichte, zumal auch die SPÖ zumindest nach außen kein Gedenken an Otto Bauer forcierte. Die „Nachnützung Seipels“ für austrofaschistische Positionen und das neue koalitionäre Klima gehörten zu den Ursachen dieses „Vergessens“.
„Zur besseren Selbstkontrolle“ hatte Seipel als Professor in Salzburg 1916 ein Tagebuch zu führen begonnen, was er bis zehn Tage vor seinem Tod 1932 fortsetzte. 2400 Seiten an Tagebuchaufzeichnungen in Kurrentschrift, in denen circa 5000 Personen vorkommen, werden für das Editionsprojekt unter Michaela Sohn-Kronthaler am Institut für Kirchengeschichte und Kirchliche Zeitgeschichte der Grazer Theologischen Fakultät bearbeitet und von ihr wissenschaftlich kommentiert. Auf viele Einblicke in Seipels Aktivitäten, Netzwerke, aber auch geistliche Gedanken darf man sehr gespannt sein.
Herbert Meßner
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.