Konzilsjubiläum
Ein drittes Konzil in Sicht?
Vor 60 Jahren, am 11. Oktober 1962, eröffnete Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil.
Die Neuorientierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) haben das Gesicht der katholischen Kirche verändert – und die Fenster zur Welt weit aufgestoßen. Ist es nach 60 Jahren schon Schnee von gestern oder noch in aller Munde? Dazu fünf Fragen und Antworten:
Was meinen Katholiken, wenn sie vom „Konzil“ sprechen?
Das Zweite Vatikanische Konzil fand 1962 bis 1965 in vier etwa dreimonatigen Sitzungsperioden statt und war die größte Bischofsversammlung des 20. Jahrhunderts. Sie war zunächst sehr viel kürzer anberaumt, entwickelte dann aber eine große Eigendynamik. Papst Johannes XXIII. (1958–1963) wünschte sich ein „Aggiornamento“ – italienisch für „Verheutigung“ –, also einen Anschluss der Kirche an die Erfordernisse einer immer komplexeren gesellschaftlichen Wirklichkeit. Das Konzil bewirkte einen enormen geistigen Aufbruch im Kirchenvolk, sorgte aber auch zum Teil für tiefe Verunsicherung: Was sollte fortan gelten, wenn das Alte nicht mehr gilt?
Was waren die wichtigsten Themen des Konzils?
Die dreijährige, am Ende fast unberechenbare Versammlung führte zu tiefgreifenden Veränderungen: etwa zu einer liturgischen Erneuerung mit Zurückdrängung der lateinischen Messe, zu einem verstärkten Selbstbewusstsein der Ortsbischöfe gegenüber Rom. Als neues Selbstverständnis sieht sich die katholische Kirche nun verstärkt als Gemeinschaft von Gläubigen, als „Volk Gottes“ auf dem Weg durch die Zeit. Geklärt wird auch das Verhältnis der römischen Kirche zum Judentum; kirchlicher Antijudaismus erhält eine klare Absage. Versucht wurde eine umfassende Positionsbestimmung der „Kirche in der Welt von heute“, etwa im Verhältnis zu Rüstung, Angriffskrieg und Selbstverteidigung, sowie eine Verbindung von wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt mit gelebter Solidarität. Der kommunistische Atheismus wurde verurteilt.
Wer waren die Österreicher beim Konzil?
Die österreichischen Konzilsteilnehmer konnten wesentliche Impulse einbringen. Historisch unbestritten ist die wichtige Rolle von Kardinal Franz König beispielsweise beim Entstehen der Konzilserklärung „Nostra Aetate“ über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum und zu den nichtchristlichen Religionen. Mehrere Österreicher wurden auch zu Sachverständigen des Konzils berufen: Der bekannteste unter ihnen war der damals in Innsbruck lehrende Jesuit Karl Rahner. Als Steirer waren Bischof Josef Schoiswohl und Weihbischof Leo Pietsch dabei.
Warum wurde danach nicht „alles besser“?
Schon während des Konzils hatten Reformflügel und konservatives Lager große Mühe, inhaltliche Differenzen über Botschaft und Ausrichtung der katholischen Kirche in für beide Seiten gangbare Kompromissformeln zu bringen. Diese kirchenpolitischen Spannungen setzen sich bis heute fort.
Einseitige Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes, sprich des Papstes und der Bischöfe, für oder gegen Reformen in zentralen Streitfragen drohten größere Teile des Kirchenvolkes außen vor zu lassen und wären eine Bedrohung für die Kircheneinheit von über 1,4 Milliarden Katholiken. Garant der Einheit zu sein und ihr zu dienen ist aber die wichtigste Aufgabe des Bischofs von Rom.
Ist ein Drittes Vatikanisches Konzil in Sicht?
Viele, vor allem reformorientierte Katholiken fordern heute ein neues Konzil. Papst Franziskus hat im Oktober 2021 einen weltweiten Synodalen Weg initiiert. Über dessen Konsequenzen soll als Finale eine römische Bischofssynode im Oktober 2023 beraten. Die Geisteshaltung, die hinter diesem Projekt steht – eine zeitgemäße Ausrichtung und Verkündigung zu entwickeln –, ist der Motivation von Papst Johannes XXIII. nicht unähnlich. Allerdings fehlt es einem solchen dialogisch ausgerichteten Prozess womöglich an kirchenrechtlicher Autorität, um eine ähnlich breite Wirkung erzielen zu können wie ein Konzil.
Konzils-Beschlüsse im Überblick
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil leitete die katholische Kirche eine umfassende Erneuerung ein. Hier die wichtigsten Inhalte der 16 Konzilstexte:
Kirchenverständnis: Die Konstitution „Lumen gentium“ (1964) legt das neue Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche dar. Sie definiert Kirche als „Volk Gottes“ auf dem Weg durch die Zeit.
Liturgie: Die Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ (1963) fordert mehr Einsatz der jeweiligen Landessprache im Gottesdienst. Die Gläubigen sollen aktiv ins liturgische Geschehen einbezogen werden.
Religionsfreiheit: Die Erklärung „Dignitatis humanae“ (1965) spricht allen Menschen
das bürgerliche Recht zu, ihre Religion frei nach dem eigenen Gewissen zu wählen.
Ökumene: Die Konzilsväter vollziehen eine grundlegende Öffnung gegenüber Orthodoxen und Protestanten. Das Dekret „Unitatis redintegratio“ (1964) ist ein Meilenstein der ökumenischen Dialogbereitschaft.
Judentum und andere nichtchristliche Religionen: Die Erklärung „Nostra aetate“ (1965) klärt das Verhältnis der römischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Mit einer klaren Absage an den traditionellen Antijudaismus beginnt eine Aussöhnung der Kirche mit dem Judentum. Die katholische Kirche, so heißt es, lehne nichts von dem ab, was in den Religionen „wahr und heilig“ sei.
Kirche und Welt: Die Konstitution „Gaudium et spes“ (1965) versucht eine umfassende Positionsbestimmung der „Kirche in der Welt von heute“. Wichtige Themen waren das Verhältnis von Rüstung, Angriffskrieg und Selbstverteidigung sowie eine Verurteilung des kommunistischen Atheismus.
Bibel und Offenbarung: Die Konstitution „Dei Verbum“ (1965) bahnt mit der Zulassung der historisch-kritischen Auslegung einem neuen wissenschaftlichen Umgang mit der Bibel den Weg.
Bischofsamt: Das Konzil wertet nicht nur die Stellung der Laien gegenüber den Priestern auf. Im Dekret „Christus Dominus“ (1965) stärkt es auch die Lehr- und Leitungsfunktion des Bischofs in seiner Diözese gegenüber der römischen Kirchenzentrale.
Geistliche Berufe und Laienapostolat: In mehreren Dekreten entwirft das Konzil
Richtlinien für eine zeitgemäße Form christlichen Lebens und Dienstes in geistlichen Berufen für Priester, Ordensleute und Laien.
Medien: „Inter mirifica“ (1963) ermuntert Katholiken, sich Medienkompetenz anzueignen und so christlichen Positionen auch über die Medien Gehör zu verschaffen.
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IM ORIGINALTON
Józef Niewiadomski ist Dogmatikprofessor und war zuletzt an der Universität Innsbruck tätig.
Ein Gläschen auf die Konzilsväter – Gedanken zum Konzil
„Gaudet mater Ecclesia“: Es freut sich die Mutter Kirche! Mit diesen Worten eröffnete der schon schwer kranke Papst Johannes XXIII. am 11. Oktober 1962 das Zweite Vatikanische Konzil. Die Welt hielt den Atem an, schließlich war sie Zeugin eines großartigen Events. Schon die Prozession der Konzilsväter über den Petersplatz übertraf all das, was man dort bisher gesehen hat: Ein unübersehbares Meer von Mitren und sonstigen – exotisch anmutenden – feierlichen Kopfbedeckungen von 2498 Konzilsvätern dominierte das Bild. Fast eineinhalb Stunden dauerte der Einzug in den Petersdom, an dessen Schwelle der Papst von seiner „sedia gestatoria“ (tragbarer Thron) hinunterstieg und als Zeichen der Demut zu Fuß – wie alle übrigen Konzilsväter – zum Altar schritt. Mehr als zwei Jahre davor, am 25. Januar 1959, hat er mit der Ankündigung eines neuen Konzils die Welt überrascht, um nicht zu sagen überrumpelt.
Doch was sollte das werden: ein Konzil? Das letzte wurde 1870 abgebrochen – präzise gesagt: auf unbestimmte Zeit vertagt –, nachdem das Königreich Italien den Vatikan besetzt hat. Kein Mensch konnte also als Experte aus Erfahrung hier Hilfe leisten. Eine kaum zu überschätzende Quelle der Innovation stellten die vom Papst ernannten „Periti“ (vom lateinischen: klug, erfahren) und Konzilstheologen dar. Der deutsche Sprachraum glänzte dabei mit dem Moraltheologen Bernhard Häring und den Dogmatikern Karl Rahner, Michael Schmaus, den „Teenager-Theologen“ Hans Küng (bei der Konzils-Eröffnung 34 Jahre alt) und Joseph Ratzinger (damals 35 Jahre alt) sowie dem späteren Kardinal Alois Grillmeier.
Was am 11. Oktober 1962 begann, ist zu der größten und beispiellosen Reform einer weltweiten Institution geworden. Schon deswegen dürfen wir Katholiken stolz sein und zum Jubiläum ein Dankgebet, ein
Te Deum, anstimmen. Aber auch ein Gläschen auf die vielen Konzilsväter trinken. Sie mögen vom Himmel aus für die Kirche unserer Gegenwart den Segen erbitten.
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Den ganzen Text von Prof. Niewiadomski finden Sie online auf www.dibk.at/Themen/Vatikanum-II-Auftakt-grosser-Neuerungen
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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