1. Fastensonntag: Dr. Johann Reikerstorfer
Armut vor Gott
Wie ein Eingangstor zur Fastenzeit wirkt das heutige Evangelium. Bevor Jesus in die Öffentlichkeit tritt, finden wir ihn in der Wüste. Biblisch bedeutet Wüste immer den Ort der Gefahr, der Anfechtung und der Versuchung. Es ist ein Bild für unser Leben. Eben in diese Wüste will Jesus eintauchen. Er möchte ein Leben annehmen, wie es unser aller Schicksal ist.
Jesus hielt nicht an seiner Gottheit fest, sondern wurde, wie es im Brief an die Philipper heißt, „wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (2,7). Eben diese Entäußerung in die Armut unseres Menschseins möchte der Versucher unbedingt verhindern. Gott soll Gott bleiben und uns nicht erlösend näherkommen. Er soll sich ein echt menschliches Leben mit seiner letzten Armut und Hilflosigkeit ersparen. Er soll sich doch nicht in die dunklen Abgründe begeben, die zu unserem Schicksal gehören.
Doch Menschwerden heißt arm werden und jene Ohnmacht und Bodenlosigkeit annehmen, in der zuletzt nichts anderes mehr bleibt als das Vertrauen auf Gott und die Bitte um Rettung.
Jesus hat nie die sorglos Glücklichen seliggepriesen.
Und so hebt der Versucher an: Du hungerst, sagte der Satan zu Jesus, du wirst doch nicht weiter hungern, du kannst es ja durch ein Wunder abschaffen. Du stehst schwankend auf einer Zinne über einem dunklen Abgrund. Du wirst doch diesen Schauder nicht weiter auskosten, diese Ungeborgenheit, diese Gefahr, ins Bodenlose zu stürzen, du kannst dir ja Engel herbeirufen, die dich darüber hinwegtragen. Und dann die absurde Versuchung: ihn, den Versucher, wie Gott anbeten, ihn, der die Erlösung des Menschen eigentlich verhindern will.
Aber Jesus will nicht bloß flüchtig und von oben herab unser Leben berühren, sondern die Armut, die Hilflosigkeit und Ohnmacht des Menschen annehmen. Menschlich ist der Hunger nur dann, wenn man ihn nicht durch ein Wunder stillen kann, menschlich ist das Stehen über dem Abgrund erst dann, wenn man keine Hände mehr beschwören kann, die einen sicher darüber hinwegtragen. Menschlich ist das Leben erst dann, wenn es in die Sehnsucht, in den Hunger und die Bitte nach Gott selbst mündet.
Und nachdem Jesus dem Versucher widerstanden hatte, wird ihm auch klar: ich bin berufen, den Menschen öffentlich anzusagen: Das Reich Gottes ist euch menschlich nahegekommen, kehrt um und glaubt an die frohe Botschaft.
Wenn der Boden unter uns nicht mehr trägt …
Kennen wir nicht auch etwas von dieser Versuchungsgeschichte in unserem eigenen Leben? Wenn vielleicht unsere kindlichen Gottesbilder zerfallen, wenn Hoffnungen enttäuscht werden und der Boden unter uns nicht mehr trägt, wenn wir an seiner Unbegreiflichkeit leiden und uns nichts anderes mehr bleibt als nach ihm selbst zu schreien, dann liegt darin eine echt menschliche Gotteserfahrung.
Jesus hat nie die sorglos Glücklichen seliggepriesen, nicht die Sieger und Erfolgreichen, sondern Menschen, denen dieses Glück versagt bleibt. „Selig die Armen im Geiste“ – das sind nicht die geistig minder Bemittelten oder Beschränkten, sondern Menschen, die vertraut sind mit den dunklen Schicksalsschlägen, die weinen, weil sie keinen Trost mehr finden, die nach der Gerechtigkeit Gottes hungern, weil das Unrecht unter den Menschen zum Himmel schreit. Also Menschen, die sich in ihrer Armut und Ohnmacht vor Gott annehmen und sich nicht billigen Tröstungen ergeben. Und das möchte uns das heutige Evangelium sagen: Wir sollen dem nachfolgen, der uns die Armut des Menschen und den Hunger nach Gott selbst vorgelebt hat wie kein anderer. So heißt es im Hebräerbrief: „Als er auf Erden lebte, hat er Gebete und Bittrufe mit lauten Schreien und mit Tränen vor den getragen, der ihn aus dem Tode retten konnte“ (5,7).
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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