Dinge mit Geschichte(n) von Inge Friedl
Der Löffel unter'm Tisch

Eine Bauernfamilie beim Mittagessen, um 1960. Alle ess aus einer gemeinsamen Schüssel. | Foto: Arndofer / Archiv Friedl
  • Eine Bauernfamilie beim Mittagessen, um 1960. Alle ess aus einer gemeinsamen Schüssel.
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  • hochgeladen von Patricia Harant-Schagerl

Der Gegenstand, vom dem ich heute erzählen will, ist nur mehr in der Redewendung „den Löffel abgeben“ gegenwärtig. Viele wissen, dass dies „sterben“ bedeutet, haben aber keine Ahnung, wie es zu dieser Redewendung kam.
Machen wir eine kleine Zeitreise zu einem Bauernhof, sagen wir in die 1950er Jahre. Die Bäuerin ruft zum Mittagessen. Bauersleut’, Dienstboten und Kinder stellen sich zum Tisch, um zu beten. Mit dem „Amen“ setzen sich alle auf ihre Plätze. Das Essen wird in einer großen Schüssel aufgetragen und in die Tischmitte gestellt. Keiner bekommt einen eigenen Teller, sondern alle essen aus der gemeinsamen Schüssel. Jeder nimmt seinen Löffel aus einer Lederschlaufe unter dem Tisch oder aus der Tischlade. Eine Bäuerin erinnert sich: „Wir durften nur mit unserem eigenen Löffel essen. Das war ganz heikel! Die Löffel waren aus Blech und jeder hat sein Zeichen eingeritzt.“ Sie erklärt auch die Tischsitten der damaligen Zeit: „Man hat nicht mit dem Löffel in der Schüssel herumrühren dürfen, sondern nur das aus der Schüssel herausnehmen, was vor einem war.“
Nun zurück zu unserer Zeitreise. Beim Essen wird nicht geredet. Der Grund ist wohl, dass man sonst nicht zu seinem Teil aus der gemeinsamen Schüssel kommt. Gutes Benehmen zeigt, wer das Essen nicht hastig hinunter schlingt, sondern in Ruhe Bissen für Bissen zum Mund führt. Nach der Mahlzeit werden die Löffel abgeleckt und am Tischtuch, dem Hemd oder der Schürze abgewischt und wieder in der Tischlade oder an der Lederschlaufe verstaut.
In der alten Bauernkultur besaßen die Menschen nur wenige persönliche Besitztümer. Eines davon war der Esslöffel, der ausnahmslos immer nur von einer Person benutzt wurde. Starb dieser Mensch, gab er auch seinen Löffel ab. Wir verwenden diese Redewendung noch heute und tragen so ein Stück der Erinnerung an eine längst vergangene Lebensweise weiter.

Die Historikerin Inge Friedl stellt in der "Kirche bunt" in loser Folge Dinge des alltäglichen Lebens vor, die uns die Lebensart vergangener Zeiten erschließen.

Inge Friedl dankt den Lesern und Leserinnen herzlich für ihre Zusendungen über das alte Bauernleben. Weiterhin freut sie sich über Rückmeldungen: Wer kann über die alte Zeit berichten und ein paar Sätze dazu schreiben? Wer hat einen Gegenstand zu Hause, der seine Geschichte erzählen will? Zusendungen bitte an Kirche bunt, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten, redaktion@kirchebunt.at.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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