Jahr des heiligen Josef
Zeit spielt keine Rolle
Ein Dienstag, 10 Uhr vormittags. Neun Frauen und Männer sitzen in einem gemeinsamen Sesselkreis. Alltagsbegleiterin Luitgard Parzer begrüßt sie und eröffnet die heutige Bewegungsrunde mit einem Sitztanz. Gleich geht sie zum Plattenspieler und legt eine alte Single auf den Plattenteller. Als die ersten Töne erklingen, singen und wippen einige mit. Doch plötzlich ruft einer von ihnen wie aus dem Nichts: „Dreh lauter – das war der Hit in meiner Jugend.“
Oft sind es nur Kleinigkeiten wie etwa die Musik beim Sitzkreis, die die Bewohner und Bewohnerinnen des Pflege- und Betreuungszentrums Hainfeld berühren und bewegen. Rund 100 Menschen leben derzeit hier, von denen die meisten zwischen 70 und 100 Jahre alt sind. „Wenn ich mit ihnen zusammen bin, baue ich in dieser Zeit eine besondere Beziehung zu ihnen auf“, verrät Luitgard Parzer. „Damit sie sich öffnen und dann begeistert mitmachen.“ Immer wieder überrascht sie ihre Klienten aber auch mit neuen Aktivitäten: Seien es Musikabende, den Besuch bei einer Pferdeherde oder eine Blasmusikkapelle, die für alle im Hof des Hauses aufspielt. Besonders abwechslungsreich soll jeder Tag sein – und keiner wie jeder andere, findet Parzer.
„Ich baue Brücken“
Auch in Einzelgesprächen geht sie auf die Heimbewohner ein. Eines Tages nahm sie einen Laptop zur 80-jährigen Anna mit, da sie ihr von einer wunderbaren Schiffsreise, vor Jahren erlebt, erzählt hatte. So unternahm Luitgard Parzer wieder eine Reise mit ihr – sozusagen virtuell; zeigte ihr einige Bilder von all jenen Orten, an denen Anna einst mit ihrer Familie gewesen war. Auf einmal war Anna wie ausgewechselt, beobachtete die Alltagsbegleiterin – und begann von ihren Erlebnissen begeistert zu erzählen. Ihre dunklen Augen strahlten dabei.
Jeder kleinste Moment zähle am Lebensabend, da am darauf folgenden Tag vieles wieder ganz anders sein könne, weiß die Betreuerin. Doch woraus besteht das Material dieser „Brücken“, wollen wir von ihr wissen? Das wichtigste sei die Zeit, die sie mit den Menschen verbringe. „Ja, ohne diese geht es überhaupt nicht.“
Corona bleibt draußen
Eine massive Umstellung bedeutete die Corona-Pandemie für das Haus, erinnert sich Luitgard Parzer, die seit dem Jahr 1996 als Alltagsbetreuerin hier arbeitet. Die Vorschriften waren sehr streng, die BewohnerInnen durften von ihren Angehörigen nicht besucht werden. Sie erhielten zwar von ihnen Geschenke – jedoch nicht persönlich. Telefonieren war für viele die einzige Möglichkeit, um mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben. „Ich war für sie in dieser außergewöhnlichen Situation da und musste teilweise die Familie ersetzen“, sagt die Alltagsbegleiterin, die ihren Klienten noch mehr Programm als sonst bot, um sie von der tristen Situation etwas abzulenken. „Das war zwar eine sehr herausfordernde, aber auch eine besondere Zeit.“
Reich beschenkt
Viel zu schnell geht die heutige Bewegungseinheit zu Ende. Langsam verlassen die Heimbewohner den Raum, der zwischen den Wohneinheiten liegt. „Bis nächste Woche“, ruft ihnen Luitgard Parzer nach und baut den Plattenspieler wieder ab. Das Einzigartige an ihrer Arbeit sei, dass man dabei so viel Dankbarkeit erfahre, erzählt sie, als sie die kleine Schallplatte wieder in die Tasche packt. Auf keinen einzigen Tag würde sie, seit sie im Betreuungszentrum Hainfeld mit den Seniorinnen und Senioren arbeitet, verzichten. „Denn jeder bereichert mein Leben ungemein.“
Chistopher Erben
Autor:Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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