Judas, Matthias und Petrus
Über Bischöfe, Verrat und Nachfolge

Am sogenannten „Kathedra-Altar“ in der Hauptapsis des Petersdoms in Rom findet man den stilisierten Stuhl Petri, der das Amt der Nachfolge des heiligen Petrus, also das Papstamt, symbolisiert.  | Foto: Artur Bogacki - stock.adobe.com
  • Am sogenannten „Kathedra-Altar“ in der Hauptapsis des Petersdoms in Rom findet man den stilisierten Stuhl Petri, der das Amt der Nachfolge des heiligen Petrus, also das Papstamt, symbolisiert.
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Am Ende des Monats Februar begegnen uns zwei interessante Feste im kirchlichen Kalender: am 22. Februar das Fest „Kathedra Petri“ und zwei Tage später das Fest des heiligen Apostels Matthias. Wie diese beiden Feste zusammengehören und was sie mit Päpsten und Bischöfen zu tun haben.

Wird man nach den zwölf Aposteln gefragt, kommt man schnell einmal durcheinander: Petrus ist klar, den kennt man, Paulus auch – obwohl, der musste ja erst bekehrt werden. Wen man sicher kennt, ist der Abtrünnige: Judas Iskariot, der Christus den Pharisäern ausgeliefert hat. Aber was war eigentlich nach dessen Tod? Waren es dann nur noch elf Apostel? Eine Antwort auf diese Frage liefert uns ein Blick in die Apostelgeschichte. Dort nämlich befindet sich ganz zu Beginn, zwischen der Schilderung von Christi Himmelfahrt und des Pfingstereignisses, eine kurze, aber bedeutungsschwere Episode: die Wahl des Matthias zum Nachfolger des Judas Iskariot.

Petrus erhebt sich in der Mitte der Jünger Jesu und leitet die Wahl zum Nachfolger des Judas ein. „Und sie stellten zwei Männer auf: Josef, genannt Barsabbas, [...] und Matthias. Dann beteten sie: Du, Herr, kennst die Herzen aller; zeige, wen von diesen beiden du erwählt hast, diesen Dienst und dieses Apostelamt zu übernehmen! [...] Sie warfen das Los über sie; das Los fiel auf Matthias und er wurde den elf Aposteln zugezählt“ (Apg 1,23-26).

Wahlen kennt man in der Kirche vor allem vom Pfarrgemeinderat und vom Konklave. Dazwischen wird meistens hierarchisch entschieden: Wer wird der neue Bischof, wer wird der neue Pfarrer – das sind Fragen, zu deren Entscheidung selten demokratische Wege führen. Umso erstaunlicher, dass in dieser Keimzelle der Kirche, die nach der Himmelfahrt Jesu versammelte Jüngerschar mit Maria und den elf verbliebenen Aposteln in ihrer Mitte, das gemeinsame Aufstellen von Kandidaten und das Los über sie zum entscheidenden Mittel wird. Man darf allerdings nicht den Fehler begehen, in der Passage aus der Apostelgeschichte eine Wahl zu sehen, wie man sie aus unserer Demokratie kennt. Es ist nicht die Wahl für einen Kandidaten, mit dem sich die meisten am besten anfreunden können, oder eine Wahl, gegen die die wenigsten etwas einwenden können. Stattdessen begegnet uns hier ein konsensuales Verfahren, an dessen Ende zwei Männer standen: Über sie entschieden dann aber nicht die versammelten Jünger, stattdessen legten sie es in Gottes Hand, wer der Nachfolger des untreu gewordenen Judas werden sollte. Sie beteten zu Gott, er möge den Anwesenden durch das Los zeigen, wer der von ihm Erwählte sei.

Die Jünger legten es in Gottes Hand, wer der Nachfolger des untreu gewordenen Judas werden sollte.

Zwei Dinge sind hier bemerkenswert: Dass die Jünger sich nicht in der Position sahen, eine Entscheidung zu diesem Thema zu treffen. Es Gott und dem von ihm beeinflussten Los zu überlassen, zeigt, wie wichtig diese Entscheidung ist. Die Zwölf des engsten Kreises Jesu sind für die junge Kirche eine so wichtige und bedeutende Gruppe, weil ihnen zum einen ihr Komplett-Sein so wichtig war, dass sie ein Verfahren zur Nachbesetzung des vakanten Platzes einleiteten, und sie es zum anderen dem Los überließen, die letztendliche Entscheidung zu treffen. Deutlich wird im Gebet der Jünger auch („zeige, wen du erwählt hast“), dass die Versammelten davon ausgehen, dass alles, was sich in jenem Moment abspielt, ganz nach dem Willen Gottes geschieht. Das Gebet spricht davon, dass der Herr sich bereits den richtigen Kandidaten erwählt hat und dass die Wahl und das Los in Wahrheit nur dazu gedient haben, diesen göttlichen Willen zu offenbaren. Das erinnert uns womöglich daran, wie wir heute das Konklave verstehen: Obwohl es die Kardinäle sind, die in großer Feierlichkeit ihre Stimme für einen neuen Papst abgeben, glauben wir Katholiken doch, dass in Wahrheit der Heilige Geist bestimmt und die Stifte der Eminenzen so lenkt, dass am Ende des letzten Wahlganges derjenige Mann mit der weißen Soutane bekleidet wird, den sich Gott erwählt hat. Am Fest des heiligen Matthias heißt es im Evangelium: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15,16). Hier bekräftigt sich, was die Jünger in diesem Moment der Wahl und Erwählung gespürt haben müssen: Gott erwählt den Menschen, nicht der Mensch Gott.

Papst und Bischöfe als Nachfolger der Apostel

Wenn man nicht nur am 24. Februar, sondern bereits am 22. Februar einen Gottesdienst besucht, wird man einem Fest begegnen, das allein vom Namen her schon deutlich weniger greifbar ist. „Kathedra Petri“ heißt dieses Fest, und obwohl Petrus natürlich jedem ein Begriff ist, mag das Fest selbst mit seinem Sinn und seiner Bedeutung weniger bekannt sein. Der Schlüssel zum Fest ist die „Kathedra“ – auf Deutsch schlicht „Sessel“. Dieses Wort beschreibt natürlich nicht irgendeinen Sessel, sondern jenen, auf dem immer nur einer Platz nehmen darf, und zwar der Bischof einer Diözese. Die Kathedra oder der Bischofsstuhl des St. Pöltner Bischofs Alois Schwarz steht im Dom zu St. Pölten. Jeder Diözesanbischof hat einen solchen Stuhl, eine solche Kathedra, und diese steht sinnbildlich für sein Amt.

Der frühchristliche Theologe Tertullian (~150-220) schreibt bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus von „cathedrae apostolorum“, also den Stühlen, dem Amt der Apostel, und vorformuliert dabei folgenden, für die Theologie höchst wichtigen Gedanken: Die zwölf Apostel wurden nach einiger Zeit in Jerusalem durch die einsetzende Verfolgung zerstreut. Sie und die sie begleitenden Jünger begannen, die bekannte Welt zu missionieren. Sie zogen umher, predigten, heilten, bauten Gemeinden und Strukturen auf, feierten mit den neu gewonnenen Anhängern die Eucharistie, setzten Geistliche und Vorsteher ein usw. Den Legenden nach soll zum Beispiel der Apostel Andreas vor allem in Konstantinopel gewirkt haben, der Apostel Bartholomäus in Mesopotamien und Armenien, Jakobus in Spanien, Thomas in Indien und Petrus in Rom. Noch heute beziehen sich die dortigen Bischofssitze auf ihre Begründer, nicht zuletzt deshalb, weil dort auch noch heute deren Gebeine bestattet liegen.

Jeder katholische Bischof kann sein Amt zurückverfolgen auf die zwölf Apostel, die ihren Nachfolgern die Hände aufgelegt und sie so zu ihren Nachfolgern gemacht hatten.

Ein weiteres frühes Zeugnis der jungen Kirche, der erste Klemensbrief (~100), bezeugt, dass die Apostel geeignete und erprobte Männer zu ihren Nachfolgern bestimmt haben und in der Apostelgeschichte ist die Rede davon, dass diese Amtseinführung durch Auflegung der Hände vonstattenging. Irenäus von Lyon schreibt im zweiten Jahrhundert nach Christus, dass Petrus und Paulus selbst ihren Nachfolger bestimmt hätten, einen gewissen Linus, auf den Anacletus folgte, dann Klemens usw. In der römischen Basilika St. Paul vor den Mauern sieht man eine lange Reihe von Porträts, auf denen alle Bischöfe von Rom dargestellt sind: Die Reihe beginnt mit Petrus, Linus, Klemens, … und endet (vorerst) mit Papst Franziskus. 265 Bilder sind in der Kirche zu sehen und alle bilden sie eine Linie – eine Linie der Nachfolgeschaft, eine Linie der aufgelegten Hände, die durch Petrus begründet ist und sich bis zu Franziskus fortsetzt. Diese Linie wird als apostolische Sukzession bezeichnet: Jeder katholische Bischof kann sein Amt zurückverfolgen auf die zwölf Apostel, die ihren Nachfolgern die Hände aufgelegt und sie so zu ihren Nachfolgern gemacht hatten.
Der heilige Hippolyt, Patron und Namensgeber der Diözese St. Pölten, schreibt im dritten Jahrhundert von den Aposteln, sie seien die „Dachsparren und Befestigungen der Kirche“. Ohne die Festigkeit der Apostel und des Apostelamtes ist also die Integrität der Kirche gar nicht zu denken. Jesus sagt, Petrus soll der Fels sein, auf dem er seine Kirche baut, und begründete so nach katholischer Überzeugung das Papstamt. Die Zusage über die Amtsgewalt des Petrus wiederholt Christus an anderer Stelle für alle seine Apostel: „Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18).

Was also bedeutet das Fest „Kathedra Petri“ und was kann es im Zusammenhang mit dem Fest vom Apostel Matthias bedeuten? Es ist in beiden Fällen Verweis auf die apostolische Sukzession, also darauf, dass sich sowohl der Papst als Bischof von Rom und Inhaber der Kathedra Petri in dessen Nachfolge befindet, als auch die Bischöfe, die ihm zur Seite stehen, Nachfolger der Apostel sind. Der Apostel Matthias ist dabei eine bedeutsame Figur, in ihm zeigt sich uns nämlich ein interessanter Bedeutungszusammenhang. Zum einen ist Matthias der Nachfolger eines gescheiterten und gefallenen Apostels, des Judas Iskariot, der Jesus verraten hat. Dessen Verrat und Tod beendete zwar sein Apostelamt, es machte es aber nicht ungeschehen. Judas war Apostel, von Christus selbst in seinen Zwölferkreis berufen. Als er gestorben war, wurde sein Platz aber nicht leergelassen, es blieb keine „Sedisvakanz“. Stattdessen kam ein Neuer, einer, der von Gott selbst erwählt war und durch die Wahl und das Los zu seinem Amt kam.

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Matthias Hebräisch für „Geschenk Gottes“ ist; er war das Geschenk Gottes an seine junge Kirche. Dieses sammelte sich um die zwölf Apostel und tut es noch heute, in Form des Papstes und der Bischöfe, die Dachsparren und Felsen, Befestigungen und Fundament der Kirche sein sollen. Dass auch sie diesem Anspruch oft nicht gerecht werden oder sogar zuwiderhandeln, zeigen die Kirchengeschichte und Judas Iskariot gleichermaßen. Dass Gott der Fehlerhaftigkeit des Menschen mit seinem Wirken entgegentreten kann, zeigt der heilige Matthias. Dass Gott seine Kirche trotzdem erhalten will, zeigen der heilige Petrus sowie die Tatsache, dass sein Stuhl nach 2000 Jahren noch immer besetzt ist. Matthias Wunder

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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