Juli-Putsch
Hitlers erste Niederlage

Der von den Putschisten zweimal angeschossene Kanzler erlag noch im Bundeskanzleramt seinen Verletzungen. Ihm wurden sowohl ärztliche Hilfe als auch priesterlicher Beistand versagt.   | Foto: Roger Viollet / picturedesk.com
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  • Der von den Putschisten zweimal angeschossene Kanzler erlag noch im Bundeskanzleramt seinen Verletzungen. Ihm wurden sowohl ärztliche Hilfe als auch priesterlicher Beistand versagt.
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Vor 90 Jahren versuchten Nationalsozialisten einen Putsch gegen die Österreichische Regierung, bei dem Engelbert Dollfuß ums Leben kam. Der Putsch scheiterte, genauso jedoch der Kampf des Kanzlers für die Eigenständigkeit Österreichs.

Es sollte der letzte Ministerrat vor der traditionellen Sommerpause werden. Der seit zwei Jahren amtierende christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß eröffnete sie am 25. Juli 1934 um 12 Uhr. Auf der Tagesordnung standen nur wenig wichtige Punkte. Erst zehn Minuten nach Beginn betrat der Minister ohne Geschäftsbereich und Wiener Heimwehrführer Emil Fey den Raum, ging sofort auf den Regierungschef zu, um ihn von einer beabsichtigen Aktion der illegalen Nationalsozialisten gegen das Kanzleramt zu informieren. Dollfuß unterbrach die Sitzung bis 16 Uhr und befahl den meisten der anwesenden Minister, das Bundeskanzleramt zu verlassen. Nur vier Stunden später war er tot.

Die Geschichte des Juli-Putsches und der Ermordung des Kanzlers durch ein Kommando der österreichischen Nationalsozialisten ist bereits oft geschrieben worden. Vor allem durch die akribische Recherchearbeit des österreichischen Historikers Kurt Bauer konnte mittlerweile der Verlauf des von Adolf Hitler, dem Kanzler des Deutschen Reichs und „Führers“ der Nationalsozialisten, angeordneten Putsches rekonstruiert werden. Die Aktion gegen das Kanzleramt oblag der Wiener SS-Standarte 89. Sie sollte Dollfuß und seine Regierung fest- und absetzen und den abgehalfterten christlich-sozialen Politiker Anton Rintelen zum neuen Kanzler machen: Dieser hätte dann eine Regierung mit NS-Beteiligung zu bilden und Neuwahlen auszurufen. Ebenso besetzt werden sollte die Wiener Rundfunkanstalt RAVAG, der in Kärnten urlaubende Bundespräsident Wilhelm Miklas, ebenfalls ein Christlich-Sozialer, sollte verhaftet werden. Danach hätte ein Aufstand der sozialrevolutionären Sturmabteilung (SA) die Macht in den Bundesländern für die Nationalsozialisten sichern sollen.

Fast alles ging schief. Die RAVAG konnte zwar besetzt und eine Nachricht vom Rücktritt der Regierung ausgestrahlt werden, die Alarmabteilung der Wiener Polizei eroberte das Gebäude jedoch bald unter schwerem Waffeneinsatz wieder zurück. Anstelle des Bundespräsidenten wurden jene verhaftet, die ihn festnehmen hatten wollen. Um das Bundeskanzleramt wurde am längsten gerungen. Zwar war der Nazi-Überfall mehrfach verraten worden, die Gegenmaßnahmen verliefen jedoch so unkoordiniert, dass es den Putschisten gelang, in das Gebäude einzudringen. Im Verlauf eines Handgemenges wurde der Kanzler von den Putschisten schwer verwundet. Der auf ein Sofa gebettete tiefgläubige Katholik Dollfuß verstarb ohne priesterlichen Beistand.

Attentat erfolgreich, Putsch gescheitert

Die Putschisten gaben nach einem langen Hin und Her auf, wobei sie auf die nicht eingehaltene Zusage vom „freien Geleit“ nach Deutschland hofften. Erst in den Tagen darauf brach der SA-Aufstand in Teilen von Kärnten, Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark aus. In Niederösterreich blieb es zwar ruhig, es kam aber zur zeitweiligen Masseninhaftierung von Nationalsozialisten, etwa in der St. Pöltner Jahnturnhalle – deren zentralem Versammlungsort. Durch den Einsatz von Exekutive, Heimwehr und Bundesheer wurde die Revolte rasch niedergeschlagen, 105 Menschen starben dabei auf Seiten der Regierung, auf Seite der Aufständischen 113 (davon wurden 13 hingerichtet). Es war Hitlers erste Niederlage in Europa.

Doch wieso überhaupt der Putsch? In Deutschland waren die Nationalsozialisten mit Hitler an der Spitze im Jänner 1933 als stärkste Partei im Reichstag legal zur Macht gekommen. In Österreich war ihnen dieser Weg durch die Ausschaltung des Parlaments durch die Regierung Dollfuß und der Aussetzung von Wahlen im März 1933 verwehrt. Es gelang Dollfuß, den bisherigen durch alle Parteien gehenden großdeutschen Konsens und Anschlusswunsch durch ein neues österreichisches Selbstbewusstsein zu ersetzen.

Nach dem Attentat auf Bundeskanzler Dollfuß wurden im ganzen Land Gedenkstätten errichtet, so auch am St. Pöltner Domplatz.  | Foto: Stadtarchiv St. Pölten
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Der auf ein Sofa gebettete tiefgläubige Katholik Dollfuß verstarb ohne priesterlichen Beistand.

Die Nazis hatten erst seit 1932 Mandate in einigen Landtagen und keine im Nationalrat. In Niederösterreich stellten sie sieben Abgeordnete und nach dem Proporzsystem einen Landesrat. Ihre Hochburgen lagen in den alpinen Regionen des Mostviertels, der Wachau mit Krems und dem Waldviertel. Dort hatten sie vor allem unter jungen, unverheirateten Bauernsöhnen („weichende Erben“), Knechten, Forstarbeitern und dem Dorfproletariat ihre Unterstützer im Kampf gegen das traditionelle örtliche Establishment, zu dem auch der Pfarrer gehörte. Sie erhofften sich von den Nazis den Ausbruch aus der dörflichen Enge und die Befreiung aus ihrer meist katastrophalen wirtschaftlichen Lage. Dazu kamen fast alle Kleinstädte des Landes, wo die in Konkurrenz zum Klerus stehende „Intelligenz“, Ärzte, Apotheker, Lehrer, zuerst großdeutsch, dann nationalsozialistisch wählte. Das große Deutschland versprach Arbeit, Brot und Teilhabe am nationalen Aufstieg. Neben dem politischen Kampf setzten die Nazis auf Terror gegen infrastrukturelle Einrichtungen wie Bahn und Post sowie gegen Menschen, vor allem Juden und Regierungsanhänger. Zu diesen zählte auch die katholische Kirche, die den Weg Dollfuß‘ in die Diktatur seit der Ausschaltung des Nationalrates 1933 weitgehend unterstützte.
Im Mai 1933 überfielen die Nazis im ganzen Land Heimwehrler auf ihrer Fahrt zu einer Großkundgebung in Wien. In St. Pölten wiederum griffen sie den „Freiheitsbund“, die bewaffnete Formation der christlichen Gewerkschaften, an. In Stein verübten sie einen Anschlag auf Pfarrhof und Pfarrkirche.

NS-Terror von innen und außen

Nach einem Sprengstoffattentat auf christlich-deutsche Turner am 19. Juni in Krems mit zwei Todesopfern und mehreren Schwerverletzten erließ die Regierung noch am gleichen Tag ein Verbot der NSDAP. Die Mandate der Partei in Landtagen und Gemeinderäten wurden aberkannt. Ihre Terrortätigkeit hielt jedoch unvermindert an, gleichzeitig forderten sie vehement Neuwahlen. Aus dem Deutschen Reich wurden die nunmehr illegalen Nationalsozialisten personell und materiell unterstützt. Dazu kam, dass Nazi-Deutschland wirtschaftliche Boykottmaßnahmen gegen Österreich in die Wege leitete, um den Staat von Innen wie Außen zu destabilisieren und gleichsam sturmreif zu machen. Nach Deutschland geflüchtete Nationalsozialisten kamen in die „Österreichische Legion“ und wurden dort auf einen Einmarsch in Österreich vorbereitet.
Bei aller Abwehr hielt die Regierung Kontaktkanäle zu den Nazis offen, zeigte jedoch gegenüber den Sozialdemokraten Unnachgiebigkeit. Nach dem missglückten Aufstand der sozialdemokratischen Parteiarmee „Republikanischer Schutzbund“ im Februar wurde auch die Sozialdemokratie verboten. Der Weg zum christlichen „Ständestaat“, der am 1. Mai 1934 „im Namen Gottes, des Allmächtigen“ verkündet wurde, stand offen. Dollfuß sollte sein Geschöpf nur drei Monate erleben.

Autor:
Mag. Niklas Perzi, MAS ist Historiker und beschäftigt sich mit der Geschichte Tschechiens und Österreichs im 20. Jahrhundert.

Der von den Putschisten zweimal angeschossene Kanzler erlag noch im Bundeskanzleramt seinen Verletzungen. Ihm wurden sowohl ärztliche Hilfe als auch priesterlicher Beistand versagt.   | Foto: Roger Viollet / picturedesk.com
Nach dem Attentat auf Bundeskanzler Dollfuß wurden im ganzen Land Gedenkstätten errichtet, so auch am St. Pöltner Domplatz.  | Foto: Stadtarchiv St. Pölten
Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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