Emil Brix von der Diplomatischen Akademie
Ein Land im Widerstand
Emil Brix war als Botschafter der Republik Österreich in Moskau eingesetzt, bevor er Direktor der Diplomatischen Akademie Wien wurde. Dadurch gewann er Einblick in die Hintergründe des Ukrainekriegs. Am 25. November diskutiert er im Kardinal König Haus mit.
Herr Botschafter, Kriege beginnen, wo der diplomatische Weg scheitert. Warum ließ sich Präsident Putin nicht vom Krieg gegen die Ukraine abhalten?
Emil Brix: Diplomatie funktioniert nur, wenn es zwei Seiten gibt, die verhandeln wollen. Das war und ist auf russischer Seite nicht ernsthaft der Fall. Daher ist die militärische Unterstützung der Ukraine neben der humanitären Unterstützung unverzichtbar.
Also ist die Chance der Diplomatie, weichenstellend einzugreifen, zurzeit gering?
Brix: Es gibt diplomatische Kanäle, die mit Russland verbunden sind. Da geht es um praktische Fragen, wie man etwa ein Atomkraftwerk sicher halten kann, das von ukrainischen Mitarbeitern geführt und gleichzeitig von russischen Soldaten besetzt wird. Aber auch Gefangenenaustausch wird diplomatisch ausverhandelt. Ebenso die Frage, ob wir die Lebensmittelkatastrophe verhindern können, indem wir Getreide-Exporte der Ukraine ermöglichen. Aber das sind noch nicht die Fragen, wie wir zum Frieden kommen. Die beginnen erst dann, wenn es gelingt, die militärische Aktion zu beenden.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für das Ende des Ukraine-Kriegs?
Brix: Je mehr es uns gelingt, die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf um die eigene Identität zu unterstützen, desto rascher können wir den Krieg beenden. Es ist auch für mich nicht sehr erfreulich zu sagen, je mehr Waffen wir einem Land zur Verfügung stellen, desto schneller können wir einen Krieg beenden. Aber das ist auch aus meiner Sicht die jetzige Situation.
Ein Grund, den Wladimir Putin für den Krieg nennt, sind ethnische Russen und Russinnen, die in der Ukraine leben, Stichwort Donbas. Solche Konstellationen gab es oft in der Geschichte.
Brix: Wir dürfen nicht annehmen, ein Staat dürfte nur von Menschen der eigenen Sprache und Ethnie bewohnt werden. Diese Idee ist im 19. Jahrhundert in Europa stark geworden und hat uns viel Unglück gebracht – bis heute, wie der Krieg in der Ukraine zeigt. Viel wichtiger ist die Art, wie regiert wird, ob es demokratisch oder totalitär, autokratisch ist. Immer wieder wurde durch massenweise Umsiedlungen, Vertreibung oder Völkermord versucht, Probleme zu lösen. Der Versuch, in Europa ethnisch einheitliche Staaten zu gestalten, hat in der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht funktioniert und wir sehen gerade, dass es auch jetzt nicht funktioniert. Wichtiger als die sprachliche Zugehörigkeit ist die Identität. Das ist ein viel breiterer Begriff, der alles umfasst von Glauben und Weltanschauung bis zur Frage, wem gegenüber man loyal ist. In der Ukraine wünscht sich offensichtlich auch eine Mehrheit der russischsprachigen Bevölkerung eine geeinte Ukraine. Auf der anderen Seite herrscht das alte, ethnische Modell. Das macht mir Sorge auch davor, dass Putin da nicht stehenbleiben möchte. Denn es gibt ethnische Russen auch in den baltischen Staaten, in Zentralasien, in Moldau, im Kaukasus ... Sie sehen schon: Da steckt mehr dahinter als nur die Frage, wo die Grenze der Ukraine in Zukunft verlaufen soll.
Wer sich in Russland für Demokratie einsetzt, riskiert das Leben, und trotzdem tun es manche Menschen. Wie schätzen Sie die Chancen für demokratische Kräfte in Russland ein?
Brix: Während meiner Zeit als Botschafter Österreichs in Moskau haben mir viele Menschen ein Hauptproblem vermittelt, unter anderem der damals zweithöchste Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, Bischof Hilarion Alfejew: Dass das Modell der Demokratie, das nach dem Ende der Sowjetunion eingeführt wurde, diskreditiert ist, weil es in den 1990er-Jahren unter Boris Jelzin einen Kapitalismus sondergleichen gebracht hat, sodass man nicht argumentieren kann mit der Erfahrung, dass Demokratie das bessere und wirtschaftlich erfolgreichere Modell für die einzelnen Russen ist. Gleichzeitig muss man sagen: Es gibt die Institutionen der Demokratie in Russland. Das macht mir Hoffnung. Sie sind zwar ausgehöhlt, die Justiz ist nicht unabhängig, und auch das Parlament ist nicht eigenständig, wie wir es uns in einer Demokratie wünschen würden, aber die Institutionen sind da.
Kann man die ersten Jahre nach dem Ende der Sowjetunion wirklich als Demokratie bezeichnen? Sie waren sehr oligarchisch geprägt.
Brix: Die schwierigste Zeit ist immer die Transformationszeit. Das haben wir auch in Mittel- und Osteuropa erlebt. Man kann in so einer Transformationszeit sehr rasch neue Institutionen schaffen. Länger dauert es, die Mentalität zu ändern und zu schauen, dass nicht durch Korruption all die negativen Seiten des Kapitalismus zum Tragen kommen. Der Kapitalismus geht ja davon aus, dass sich der Stärkste wirtschaftlich durchsetzt. Das konnte in Russland nicht vermieden werden, es haben sich oligarchische Strukturen ausgebreitet. Das war auch ein Fehler von westlichen Beratern, die dort versucht haben, ihr System der Marktwirtschaft darzustellen. Es wurde ausgenutzt von relativ Wenigen, die sich rasch bereichert haben.
Auch in der Ukraine gibt es große demokratische Defizite wie Oligarchentum und Korruption.
Brix: Ja, aber es gibt auch den Widerstand, den es in Russland eben nicht in dem Ausmaß gibt. Die Orange Revolution, die Revolution am Maidan – das hat schon gezeigt, dass es hier eine viel stärkere Zivilgesellschaft gibt, und beide Revolutionen waren auch gegen die Oligarchen und gegen ein korruptes System gerichtet. Sie hatten zwei Zielsetzungen: mehr Demokratie und mehr Europa. Das fehlt in Russland, weil Putin genau weiß, dass beides sein Regime zerstören könnte, und daher alles durchsetzte, was mehr Europa und Demokratie verhindert.
Wie wird sich der Krieg auf die demokratischen Kräfte in der Ukraine auswirken? Verstärkt er sie, oder gibt er wieder einzelnen die Gelegenheit, sich zu bereichern und Macht anzuhäufen?
Brix: In einem Krieg gibt es auch Menschen, die Kriegsgewinnler sein wollen, das wird in der Ukraine nicht anders sein. Die Priorität liegt aber nun in der Verteidigung der Existenz der Ukraine. So, wie der ukrainische Präsident Politik macht, schließt er einen Teil der Möglichkeiten dafür aus, dass ein neues korruptes System entsteht, weil er die Öffentlichkeit mit einbezieht.
Die Ukraine will mehr Europa. Die Europäische Union war aber in den vergangenen Jahrzehnten
sehr zurückhaltend.
Brix: Mut und Zuversicht hat die Europäische
Union in den letzten Jahrzehnten nicht immer unter Beweis gestellt. Gerade in der Frage, bis wohin Europa reicht. Die Europäische Union sagte, „Wir wollen, dass ihr unser Modell annehmt“, aber sie sagte gleichzeitig „Wir wollen euch nicht wirklich dabeihaben“. Das hatte viele negative Folgen, hat Frustration bewirkt, wie wir auch in den Westbalkanstaaten sehen. Wir sehen es aber auch in den Staaten, die zwischen Russland und der Europäischen Union liegen. Da hätte die EU mutiger auftreten müssen.
Durch Ihre Zeit als Botschafter in Moskau haben Sie mehr Einblick in die russische Politik als andere.
Brix: Ich habe kennengelernt, wie in Russland
Politik funktioniert hat und wie die Machtvertikale von Putin abwärts aussieht. Aber selbst für mich ist manches überraschend gekommen. Den russischen Außenminister Sergej Lawrow habe ich professionell als jemanden kennengelernt, der die Dinge beim Namen nennt und dem ganz klar ist, was Diplomatie bedeutet: auch mit einem Partner unterschiedlicher Meinung zu versuchen, zu einem gemeinsamen Ziel zu kommen. Lawrow ist ein Beispiel dafür, dass in der russischen Politik letztlich alles auf die Entscheidung des Staatspräsidenten reduziert werden kann. Seit Kriegsausbruch hört man den Außenminister nur mehr als Sprechpuppe des Präsidenten.
Was halten Sie von den Vorschlägen, dass die Ukraine neutral werden soll?
Brix: Die Frage der Neutralität ist von der Zeit
und der geographischen Lage abhängig. Die Lage in der Ukraine ist gänzlich anders als in Österreich. Eine ukrainische Neutralität müsste von anderen Großmächten garantiert sein. Und sie müsste von der Regierung und den Menschen in der Ukraine gewollt sein. Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Moment eine Option ist. Die Angst vor dem Verhalten Russlands ist zu groß. Interview: Monika Slouk
Autor:Monika Slouk |
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