Christentum in der säkularen Türkei

Die Exkursionsgruppe besuchte mehrere Vertreter von in der Türkei ansässigen christlichen Kirchen, darunter auch das Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel. | Foto: Felix Deinhofer
2Bilder
  • Die Exkursionsgruppe besuchte mehrere Vertreter von in der Türkei ansässigen christlichen Kirchen, darunter auch das Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel.
  • Foto: Felix Deinhofer
  • hochgeladen von Kirche bunt Redaktion

Wer an die Türkei denkt, wird dabei nicht sofort einen säkularen Staat vor Augen haben. Dabei ist in der seit mittlerweile 100 Jahren bestehenden Republik Türkei der Laizismus schon lange Zeit Verfassungsprinzip. Wie das Christentum in einem muslimisch geprägten, aber offiziell laizistischen Land heute bestehen kann, versuchte eine Exkursion der Universität Wien herauszufinden. Die Gruppe begab sich auf die Spuren der Christen auf der kleinasiatischen Halbinsel von der Zeit des Apostels Paulus bis heute.

Wenn der türkische Nationalfeiertag am 29. Oktober in diesem Jahr feierlicher als sonst ausfiel, so lag das daran, dass an diesem Tag vor genau 100 Jahren die Republik Türkei ausgerufen wurde und damit die über 600-jährige Geschichte des Osmanischen Reiches ihr Ende fand. Die türkische Republik ist das Ergebnis der Aktivitäten der sogenannten „Jungtürken-Bewegung“, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert an der Demokratisierung und Säkularisierung des osmanischen Staates arbeitete. Nach der Niederlage der Osmanen im ersten Weltkrieg konnten sich die Modernisierer durchsetzen und den Sultan aus Konstantinopel vertreiben. An der Spitze der Reformbewegung stand General Mustafa Kemal, der später als Atatürk (Vater der Türken) bekannt wurde.

Atatürk und seine Gefährten wollten einen modernen türkischen Staat, der frei ist von jeder fremden Einflussnahme. Die islamische Religion mit ihren arabischen geistlichen Führern war ihnen daher zuwider. Ein besonderer Dorn im Auge waren den Reformern außerdem die auf der anatolischen Halbinsel lebenden Christen, die – da zumeist griechischer Volkszugehörigkeit – außerdem die ethnische Einheitlichkeit des Staatsvolkes beeinträchtigten. Im Friedensvertrag von Lausanne wurde 1923 daher mit dem griechischen Königreich ein Bevölkerungsaustausch vereinbart. Die im jeweiligen Land lebenden griechischen und türkischen Minderheiten mussten in das Land ihrer Abstammung umsiedeln. Hunderttausende Menschen verließen ihre Heimat, was eine unglaubliche humanitäre Katastrophe zur Folge hatte. Die wenigen in der Türkei verbliebenen Christen leben seither in einer extremen Diaspora-Situation.

Weitgehend von Vertreibung verschont blieben zunächst die Christen in Istanbul. Hier leben auch heute noch die meisten der insgesamt etwa 100.000 bis 150.000 Christen der Türkei, deren Kirchenoberhäupter auch zumeist hier residieren. Von den ca. 30.000 Katholiken im Land gehören rund zwei Drittel dem lateinischen Ritus an, die in drei Diözesen bzw. Apostolischen Vikariaten und 29 Pfarren organisiert sind. Die vor Ort wirkenden Priester sind ausnahmslos Ausländer, da es in der Türkei keine Möglichkeit zur Ausbildung von katholischen Priestern gibt.

Die wenigen in der Türkei
verbliebenen Christen leben in einer extremen Diaspora-Situation

Die Gruppe der Universität Wien, angeführt vom Professor für Liturgiewissenschaft Dr. Hans-Jürgen Feulner, hatte im Rahmen einer Studienreise kürzlich die Gelegenheit, mit Repräsentanten verschiedener Kirchen ins Gespräch zu kommen. Alle betonten, wie wichtig die Ökumene in einem Land ist, in dem Christen eine Minderheit darstellen. Es bringe schließlich nichts, sich mit doktrinären Streitereien aufzuhalten, wenn es ums nackte Überleben der christlichen Gemeinden gehe, lautet der Tenor.

Auch die österreichische Kirche ist in der Türkei vertreten: Seit osmanischer Zeit betreiben die österreichischen Lazaristen in Istanbul das St.-Georgs-Kolleg. Die Privatschule war ursprünglich zum Unterricht der dort ansässigen deutschsprachigen Kinder gedacht. Unterrichtssprache ist auch heute noch Deutsch, jedoch besuchen mittlerweile fast ausschließlich türkische Kinder die Schule. Als einzige Schule in der Türkei hat das Kolleg seit den 1950er-Jahren die Befugnis, christliche Religion in der Schule zu unterrichten. Religion und Schule sind ansonsten streng getrennt in dem laizistischen Staat – ein Kirchenbesuch in der Unterrichtszeit ist daher undenkbar. Die Schüler haben die Möglichkeit, eine österreichische Matura abzulegen, wodurch ihnen die Möglichkeit eines Studiums in Europa offensteht. Die Schule erfülle somit einen Beitrag zur Völkerverständigung, so der Direktor des Kollegs gegenüber der Gruppe der Universität Wien. Die Lazaristen betreuen in der Kirche des Kollegs zudem eine kleine katholische Gottesdienstgemeinde.

Christen im Zentrum Anatolien

Während das christliche Leben in der Metropole am Bosporus noch vergleichsweise gut funktioniert, ist die Lage der wenigen Christen im anatolischen Hinterland besonders prekär. Auf dem langen Weg ins Zentrum Kleinasiens kommt man an vielen Stätten des frühen Christentums wie Nizäa, Smyrna, Milet oder Ephesus vorbei und kann dort die Ausgrabungen der antiken Bauwerke besichtigen. Wo vor fast zweitausend Jahren die Christianisierung ihren Ausgang nahm, ist heute kaum mehr etwas vom christlichen Geist zu spüren.
Mit der zentralanatolischen Millionenstadt Konya, die als „Ikonium“ in der Apostelgeschichte Erwähnung findet, erreicht man die Hochburg der islamisch-konservativen Gesellschaft in der Türkei. Konya war bereits unter Atatürks Zeiten Zentrum der islamischen Opposition gegen die Reformpolitiker. Auch heute sind dort die Stimmenanteile für islamische Parteien zumeist die höchsten im ganzen Land.

Inmitten dieser Stadt, in der man das traditionelle muslimische Lebensgefühl nahezu inhalieren kann, befindet sich überraschenderweise eine kleine römisch-katholische Kirche – die einzige Kirche in der ganzen Stadt. Die aus etwa 40 Personen bestehende Gottesdienstgemeinde besteht vor allem aus dort lebenden Europäern und Flüchtlingen aus dem Nahen Osten. Betreut wird die Kirche mangels eines Priesters vor Ort von einer aus Italien stammenden gottgeweihten Jungfrau. Die wortgewandte Italienerin erzählt, dass sie bereits seit 22 Jahren in der Türkei lebt und wirkt. Ihr sei es wichtig, dass Christen in Kleinasien, der „Mutter Europas im Glauben“, Präsenz zeigen.

„Wenn man respektiert
werden will, muss man
selbst auch die Gegenseite respektieren.“

Dass kein Priester vor Ort ist, liege nicht an den Menschen hier, sondern daran, dass keiner dort hin wolle. Nur einmal im Monat komme aus Ankara oder Izmir – beides mehrere hundert Kilometer entfernt – ein Priester nach Konya. Ein Priester, der dauerhaft vor Ort wirkt, wäre sehr willkommen, so die Seelsorgerin. Die Stadt Konya sei stolz darauf, eine Kirche zu haben, und unterstütze sie großzügig: Strom, Heizung und andere Abgaben werden von der Stadtverwaltung übernommen. Dass ausgerechnet die muslimische Stadtregierung eine christliche Kirche derart unterstützt, wundere sie nicht: „Wenn man respektiert werden will, muss man selbst auch die Gegenseite respektieren.“

Religiöser Aufbruch

Die derzeitige türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist bekanntlich im Bereich der Religion anders orientiert als Staatsgründer Atatürk. Jährlich werden etwa 1.000 neue Moscheen gebaut, was hierzulande – wohl zurecht – oft als Zeichen der (politischen) Re-Islamisierung mit kritischem Auge betrachtet wird. Die stärkere Aufgeschlossenheit des türkischen Staates der Religion gegenüber hat allerdings auch für die Christen im Land positive Auswirkungen: Erst 2019 wurde erstmals seit Gründung der Republik ein Kirchenneubau in der Türkei genehmigt. Anfang des Jahres 2023 konnte die Weihe der syrisch-orthodoxen St.-Ephrem-Kirche in Istanbul unter Anwesenheit von Präsident Erdoğan vorgenommen werden. Sie fasst bis zu 700 Gottesdienstbesucher und soll eine Kirche für alle Christen sein.  Felix Deinhofer

Die Exkursionsgruppe besuchte mehrere Vertreter von in der Türkei ansässigen christlichen Kirchen, darunter auch das Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel. | Foto: Felix Deinhofer
Die Hagia Sophia in Istanbul war einst die größte Kirche der Christenheit. 1935 wurde sie in ein Museum umgewandelt und seit 2020 ist sie wieder – wie unter osmanischer Zeit – eine Moschee.
 | Foto: Felix Deinhofer
Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ