Interview: Paul M. Zulehner
Das Ende der Uniformität
Spannungen in der Kirche sieht der Theologe Paul M. Zulehner als „pastoraltheologischen Normalfall“, die Vielfalt der Kulturen als Stärke. Der synodale Prozess soll die Entscheidungsfindung in der Kirche neu regeln, um die Einheit zu sichern.
Interview: Monika Slouk
Paul Zulehner, Sie nennen den synodalen Prozess eine „epochale Reformchance“. Viele in der Kirche sind aber müde. Es gibt so viele Strukturprozesse, wo Menschen Anliegen einbringen und doch merken, dass wenig in Bewegung kommt. Warum sollen sie sich noch einmal einbringen?
Zulehner: Entscheidend scheint mir, dass es nicht nur um Teilthemen geht, sondern um das gesamte Wesen der Kirche. Sie ist die Reich-Gottes-Bewegung, die Jesus in der Welt ausgelöst hat. Das Reich Gottes war im Neuen Testament immer verbunden mit Gerechtigkeit und Frieden. Ich glaube, dass wir eine Kirche bekommen, die weniger von Strukturen geprägt ist, sondern die sich wieder besinnt, eine Bewegung zur Veränderung der Menschheit und zur Verbesserung der Lage der Menschheit zu sein.
Von Strukturen abzulassen ist ein schmerzhafter Weg. Wie wird er gelingen?
Zulehner: Organisationsentwickler sagen uns schon lange, dass wir die Schläuche flicken und keinen jungen Wein haben. Papst Franziskus ist eher an der Dynamik des jungen Weins interessiert, um dann natürlich für diese Dynamik der Kirche, die er auslösen möchte, eine angemessene Gestalt zu finden. Es muss dann auch rechtliche Entscheidungen geben, was die Mitsprache aller betrifft, wie Entscheidungen getroffen werden. Das ist noch eine sehr offene Frage an den synodalen Prozess. Es kann ja nicht sein, dass man wieder viel mitsprechen kann und Entscheidungen vorbereitet, aber dann die, die entscheiden, völlig ungebunden und frei wären zu entscheiden, als hätte es den Meinungsbildungsprozess in der Breite des Kirchenvolks nicht gegeben.
Da muss Papst Franziskus selbst umlernen, denn er hält es wie alle vor ihm: Entscheidungen fällt er letztlich ohne transparente Kriterien.
Zulehner: Genau. Es braucht eine rechtliche Klärung der theologischen Frage, was es bedeutet, dass die Unterscheidung der Geister nicht allein dem Amt gegeben ist, wenn man den ersten Korintherbrief richtig versteht: Dass die Gabe der Unterscheidung der Geister nicht dieselbe ist wie die Gabe der Leitung. Man muss sich ernsthaft Gedanken machen, wie das Hinhören auf den Geist und das Unterscheiden der Geister zusammenspielen. Und da, glaube ich, wird sich auch der Papst als ein Lernender hinsetzen und nicht als einer, der im Vorhinein weiß, was herauskommt. Das betont er selber immer wieder, dass auch das Amt lernen muss.
Entscheidungsprozesse rechtlich zu klären heißt, dass neue Strukturen geschaffen werden.
Zulehner: Es braucht unbedingt eine Weiterentwicklung des Kirchenrechts, das kann nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Wie die Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens, die auch in der Synode eine wichtige Rolle spielt, sagt: Das Kirchenrecht muss durch das Konzil interpretiert werden und nicht das Konzil durch das Kirchenrecht. Ein Konzil hat eine höhere Autorität als das untergeordnete Kirchenrecht, und wenn man das akzeptiert, dann muss sich das Kirchenrecht ändern, sonst ist es eine frustrierende Angelegenheit. Und dann hätten alle recht, die dem Papst vorwerfen, er würde schöne Wörter sprechen, „Schmonzes“, wie man in Wien sagt, aber die Tacheles fehlen, also die harten Entscheidungen, wo die Strukturen dann auch den Fortschritt sichern.
Papst Franziskus ist mit großen Anliegen angetreten, Stichwort Kurienreform, von der man nichts mehr hört. Ist er damit gescheitert?
Zulehner: Ich glaube, dass die Kurienreform stillschweigend weiter vorangeschritten ist als man merkt. Wir haben den Finanzbereich relativ gut neu strukturiert. Da waren große Ungerechtigkeiten passiert, auch Missbrauch und Korruption, das ist ans Licht gekommen und hat zu massiven Veränderungen geführt. Über die „K9“, die Gruppe der Kardinäle aus verschiedenen Teilen der Welt, ist man wohl ein Stück weitergekommen, aber die großen Entscheidungen müssten jetzt auf Basis des synodalen Prozesses fallen. Die Kirche hat, anders als moderne Staaten, keinen „Ministerrat“. Jedes Dikasterium arbeitet für sich, sie beraten nicht mit dem Papst gemeinsam das Schicksal der Kirche. Da muss sich etwas fundamental ändern. In diesem Zustand kann die katholische Kirche nicht wirklich fruchtbar aktiv sein.
Wie wird die Kirche 2030 denn aussehen, wenn der synodale Prozess super läuft?
Zulehner: Wir haben dann die Möglichkeit, in den verschiedenen Kulturen dezentralisierte Entwicklungen zu machen. Europa und Nordamerika haben aufgrund der fortgeschrittenen Modernität ganz andere Fragestellungen als etwa Lateinamerika oder Asien. Wir werden unterschiedliche Entwicklungen in der einen Kirche haben, und nicht alles, was in Amazonien oder in Lateinamerika möglich ist, wird von den afrikanischen Bischöfen akzeptiert werden müssen. Die Dynamik kommt dann von der Entwicklung der Peripherie her, das ist neu. Nicht „Roma locuta“ wird das Modell für die Kirchenentwicklung sein, dass man also in Rom zentralistisch für alle einheitlich etwas entscheidet. Denn der Uniformismus führt zur Stagnation und macht die Kirche in der heute diversen Welt handlungsunfähig. Die Stärke der katholischen Kirche ist, dass sie transnational immer noch die eine Weltkirche ist. Sie hat den Vorzug, in einer globalisierten Welt ein Global Player zu sein, und es gibt nicht viele so große Organisationen in der Welt. Das ist meines Erachtens eine der großen Chancen für die katholische Weltkirche, dass sie die Vielfalt und die Einheit in einem Organisationsmodell realisieren kann.
Der Synodale Weg in Deutschland zeigt scharfe Bruchlinien zwischen den „Kirchenparteien“ auf. Wird er die Kirche in Deutschland zerreißen?
Zulehner: Die Polarisierung ist vorhanden. Ich sehe darin ein Zusammenstoßen von Tradition und Situation, was der pastoraltheologische Normalfall ist. Man braucht beides: die konservativen Anwälte der Tradition, im Bild vom Fußball gesprochen wären das die Verteidiger. Aber Verteidiger allein können nie ein Spiel gewinnen, auch das Spiel der Kirche in der Welt von heute nicht. Also braucht es auch Stürmer und Mittelfeldspieler, und erst alle zusammen geben ein schlagkräftiges Team. Die Wechselwirkung zwischen den Konservativen und den Progressiven ist wie zwischen den zwei Polen beim Wechselstrom. Wenn es die Pole nicht gibt, gibt es keine Energie. Nur durch Spannungen können Leben und Entwicklung passieren. Ich bin da von der Organisationsentwicklung her ein Optimist und sage: gar keine so schlechte Ausgangslage, wenn es für beide Seiten Anwälte gibt. Schlecht wäre, wenn man nicht mehr bereit ist, aufeinander zu hören. Es ist das Wesen des synodalen Vorgangs, dass man aus unterschiedlichen Positionen zusammenkommt.
Sind Sie also zuversichtlich, dass auch der weltweite Prozess die Kirche nicht zerreißen wird?
Zulehner: Das wird das Kunstwerk sein: Wie bekommt man die Vielfalt der Kulturen, die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Entwicklung so zusammen, dass man die Einheit nicht preisgibt. Das ist eine der großen Herausforderungen, die der synodale Prozess meistern muss. Die Lösung wäre, wie in der Ökumene, die versöhnte Verschiedenheit, nicht der Einheitsbrei, der Uniformismus, sondern die Anerkennung der Unterschiedlichkeit. Im gemeinsamen Gehen, Beten und Arbeiten wächst dann die der Welt geschuldete Einheit der Kirche.
Ist die Zeit reif für die Vielfalt in der Einheit?
Zulehner: Für den Uniformismus gibt es in den Kirchen keine Mehrheit mehr, weil wir wissen, dass die Kirche 200 Jahre hinter der modernen Welt herhinkt. Wir müssen das Evangelium hineinsingen in die Entwicklung der Kultur, und diese Welt brennt. Die Klimakrise, die ökonomischen Ungerechtigkeiten, die Herausforderungen der Migration und all diese Fragen: Wenn sich die Kirche da jetzt nicht angemessen einmischen kann und glaubwürdig ist, dann verrät sie ihren Grundauftrag, den sie von Jesus her hat, nämlich Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Wer sich der Entwicklung verwehrt, lädt Schuld vor Gott auf sich, weil er den Gründer der Kirche verrät, der nicht eine abgeschlossene Sekte wollte, sondern, dass wir Sauerteig der Welt sind, dass wir uns einmischen in den Teig der Welt, sodass er reifen, wachsen und etwas Gutes daraus werden kann.
Beteiligung
Der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner initiierte eine Online-Umfrage zum Thema Synodalität, an der sich bereits 20.000 Menschen aus verschiedenen Kontinenten beteiligten. Die Teilnahme bleibt möglich unter survey.zulehner.org
Podcast. Unter dem Titel „Synodalisierung der katholischen Weltkirche“ gibt es Pod-
cast-Folgen bis 10 Minuten Länge, in denen Paul M. Zulehner häufige Fragen klärt.
KA. Die Katholische Aktion hat Vorarbeit zur Weltsynode geleistet und entscheidet bei der Herbsttagung am 24./25. September, wie es weitergeht.
Buch. „Eine epochale Reformchance. Zum Synodalen Weg der katholischen Weltkirche“, Patmos-Verlag, 19,60 Euro.
Autor:Monika Slouk |
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