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Wenn Religion unter die Haut geht

- hochgeladen von martinus Redaktion
In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts brach ein arabisch-muslimisches Heer auf, um die römische Provinz Ägypten zu erobern. Die dortigen Christen („Kopten“) waren mit dem damals im römischen Reich verbreiteten „Mainstream“ des Glaubens nicht auf einer Wellenlänge – man stritt ewig und einen Tag lang um die wahre Natur Jesu als Gott und Mensch. Also machte ihr Patriarch gemeinsame Sache mit den heranrückenden Muslimen und schwor dem Kaiser von Konstantinopel ab. Die anfängliche muslimische Toleranz wich im Lauf der Zeit harscher Unterdrückung. Wer sich nicht zum Islam bekannte und am Christentum hing, dem tätowierten die neuen Machthaber ein Kreuz auf die Hand, um sie für jeden erkennbar zu Menschen zweiter Klasse zu stempeln. Wer muss da nicht sofort an das grausige Beispiel aus der Zeit des Nationalsozialismus denken? Den todgeweihten Häftlingen im Konzentrationslager Ausschwitz – Juden und anderen verhassten Minderheiten – tätowierte man eine Nummer in die Haut des Armes. Die alten Griechen tätowierten Straftätern das Gesicht, ähnlich machten es die Japaner mit Gefangenen. Die Mitglieder von Drogenkartellen in Lateinamerika stellen Tätowierungen, die oft weite Teile des Körpers umfassen, als Erkennungsmerkmal zur Schau. Als Erkennungszeichen diente das auf die Hand tätowierte Kreuz im Laufe der Geschichte auch den koptischen Christen. Es war eine Art Eintrittskarte in die Kirchen und zu den Gottesdiensten.
Der Brauch, sich mit einem Kreuz auf der Haut des Handgelenks zum christlichen Glauben zu bekennen, hat sich unter den Christen Ägyptens bis heute erhalten. Viele Kopten nehmen etwa eine Pilgerfahrt nach Jerusalem zum Anlass, um sich bei dieser Gelegenheit zum bestehenden Kreuz das Datum des Besuchs im Heiligen Land dazustechen zu lassen.
Der neue US-amerikanische Verteidigungsminister Pete Hegseth kam wegen eines tätowierten Kreuzes ins Gerede. Auf seiner Brust prangt prominent ein Jerusalemkreuz. In den USA wird das vielfach so gedeutet: Das Zeichen stünde für anti-islamische Kampfbereitschaft und generell für einen „Christlichen Nationalismus“, der ein Überlegenheitsgefühl von Menschen mit weißer Hautfarbe beinhaltet.
Im Vorfeld von Hegseths Bestellung schwappte die Berichterstattung über seine Tätowierung auf die Weltöffentlichkeit über. Völlig unterscheidungslos wurde dabei das Jerusalemkreuz zum Erkennungszeichen von Rechtsradikalen, Muslimfeinden und Verfechtern einer giftigen Männlichkeit stilisiert. Das machte mich sehr betroffen. Das Jerusalemkreuz (man sieht es auf dem Bild unten) ist aus fünf Kreuzen zusammengsetzt. Die Zahl kann an die Wundmale des Erlösers erinnern. Und ja, ich selber trage dieses Jerusalemkreuz auch auf meiner Brust – halt nicht mit Tinte in meine Haut gestochen, sondern als kleine Stecknadel im Knopfloch meines Anzugskragens. Und weltweit über 30.000 Mitglieder des „Ordens der Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem“ tragen es groß auf ihrem Mantel – der ist ein liturgisches Kleid für die Feier der Messe und anderer Gottesdienste.
Womöglich sieht sich Hegseth als heutiger Kreuzzügler. Die Verwendung des Jerusalemer Kreuzes dafür ist jedenfalls unhistorisch. Es tauchte im Hl. Land als Logo der Franziskaner erst 100 Jahre nach dem Rückzug der Kreuzfahrer auf und ist heute in der christlich geprägten Altstadt von Jerusalem allgegenwärtig.
Franz Josef Rupprecht
Chefredakteur Martinus
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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