Interview - Christian Werschütz
Unvorstellbares Leid in der Ukraine
Seit 1999 ist Christian Wehrschütz als Korrespondent am Balkan und in der Ukraine tätig. Im Interview mit dem Tiroler Sonntag spricht er über seinen Umgang mit Angst, den Glauben an das Gute im Menschen, die Bedeutung des Gebets und Wege, Jugendliche wieder neu für Politik zu interessieren.
Bei dem vielen Leid, das Menschen einander zufügen: Glauben Sie an das Gute im Menschen?
Christian Wehrschütz: Der deutsche Mystiker Angelus Silesius soll einmal gesagt haben: „Der Mensch ist doch das größte Wunderding allein, er kann, grad wie er will, Gott oder Teufel sein.“
Ich glaube, wie der deutsche Philosoph Hölderlin einmal gesagt hat, dass wo Gefahr ist, auch das Rettende wächst.
Ja, Menschen tun einander unvorstellbares Leid an. Aber da sind auch die vielen Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens helfen – wie zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte oder jene, die in der Krankenpflege tätig sind.
Gerade weil es bei uns viel zu wenig gewürdigt wird, möchte ich auch den Opfermut der Soldaten würdigen, die unter Einsatz ihres Lebens ihr Land verteidigen.
„Wir Korrespondenten sind uns des Risikos bewusst: Du kannst immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sein.“
Immer wieder macht mich nachdenklich, wenn ich auf Friedhöfen oder Garnisonskirchen sehe, wieviele Gefallene es gibt. Was das für die betroffenen Familien bedeutet, ist nur schwer zu erahnen. Der Mensch ist ein janusköpfiges Wesen, gut und böse in einem.
Wie trifft Sie der Krieg emotional?
Wehrschütz: Als Journalist habe ich neutral und faktenbasiert zu arbeiten. Ich habe in 22 Jahren Tätigkeit als Korrespondent mehrere Kriege hinter mich gebracht. Natürlich ist fürchterlich, was ich schon gesehen habe – aber: Wir Korrespondenten, die wir dort tätig sind, sind uns des Risikos bewusst: Du kannst immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sein – wie mir es auch schon passiert ist. So ist einmal das Hotel, in dem ich mich aufgehalten habe, beschossen worden. Ich bin oft in Städten unterwegs, die regelmäßig mit Artillerie beschossen werden. Und dann passieren auch so Dinge wie vor ein paar Nächten, als es mitten in der Nacht auf einmal Fliegeralarm gab. Mit der Zeit stellst Du Dein Leben auf solche Situationen ein – auch technisch. Wir haben Satellitentelefone, einen eigenen Generator, Ersatzhandy… Ich versuche mich auf alles einzustellen, was möglicherweise passieren kann.
Wie gehen Sie mit Angst um?
Wehrschütz: Wenn Du in eine Stadt fährst, die regelmäßig beschossen wird, hast Du natürlich ein mulmiges Gefühl. Weil Du weißt, dass es brenzlig ist. Du wirst dort nicht länger verweilen als unbedingt notwendig.
Angst aber habe ich nicht, denn Angst ist ein schlechter Ratgeber und kann in Extremsituationen zur Panik führen. Du musst, je unberechenbarer die Situation ist, klar handeln können. Das ist eine Voraussetzung für das Überleben.
Welche Spuren hinterlässt der Krieg in den Menschen, die so viel Gewalt und Zerstörung erleben?
Wehrschütz: Das ist schwer zu sagen. Aber Du musst Dir vorstellen: Da sind Menschen, die haben ihre Angehörigen verloren, sie leben in furchtbarer Trauer, mit großem Schmerz und haben dazu noch materielle Sorgen. Viele Menschen hier stehen vor dem Nichts. In besonderer Weise betroffen sind natürlich jene Menschen, die von der Front heimkommen und unter posttraumatischen Störungen leiden.
Im Letzten geht es darum, wie Menschen in der Lage sind, mit solchen Ereignissen umzugehen. Und ob sie die Kraft finden, wieder neu anzufangen bzw. an ihrem Leben weiterzubauen, auch wenn es in Trümmern liegt.
Sie sind nun schon mehr als 20 Jahre als Korrespondent tätig. Was hilft Ihnen, motiviert zu bleiben?
Wehrschütz: Ich bin mit Leib und Seele Korrespondent. Das heißt, ich habe immer wieder die Möglichkeit, was Neues zu entdecken und zu sehen. Eine Motivation ist natürlich die große Zustimmung bei Hörern, Lesern und Zuschauern.
„Beten? Ja natürlich … Ich bete jeden Tag am Abend und habe ein Kreuz um den Hals.“
Welche Erfahrungen im Rahmen Ihrer journalistischen Tätigkeit haben bei Ihnen den stärksten Eindruck hinterlassen?
Wehrschütz: Natürlich gibt es Ereignisse, die sich in mir besonders eingeprägt haben – etwa als ich beim Sturz von Slobodan Milossevic in Serbien am 5. Oktober 2000 dabei war oder meine Fahrt auf die Halbinsel Krim. Aktuell ist es so, dass mir manchmal vorkommt, als würde ich in einer Dimension leben, in der die Zeit stehen geblieben ist. Ich lebe von Tag zu Tag, von Beitrag zu Beitrag. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde ich das Leben von fünf Journalisten leben.
Es gibt unter Jugendlichen eine große Politikverdrossenheit. Was kann man tun, damit die Bereitschaft wächst, sich wieder mehr zu engagieren?
Wehrschütz: So eine Bereitschaft kommt nicht von allein. Die Erziehung zu Staatsbürgern muss schon im Elternhaus beginnen. Für die Rechte, die wir heute für uns in Anspruch nehmen, haben Menschen, die Generationen vor uns gelebt haben, gekämpft. Passivität verbessert eine Situation nicht zum Besseren.
Der griechische Philosoph Platon soll einmal gesagt haben: „Wenn die Guten nicht kämpfen, siegen die Schlechten.“ Wobei ich den Begriff Politik weiter definiere: Es geht ja nicht nur darum, an Wahlen teilzunehmen oder sich in einer Partei zu engagieren. Auch die, die bei der Feuerwehr oder anderen sozialen Einrichtungen mitmachen, engagieren sich im weitesten Sinne politisch.
Ich glaube, man darf die Schuld nicht nur bei der Politik suchen, sondern es braucht auch ein aktives Bekenntnis zum Staat. Und als Staatsbürger hat jeder Mensch nicht nur Rechte, sondern auch Verpflichtungen.
Hat Beten für Sie eine Bedeutung?
Wehrschütz: Ja natürlich! Ich bin katholisch erzogen worden, heute erlebe ich mich eher agnostisch.
Aber wir beten zu Hause mit unserer Enkelin regelmäßig. Und wenn ich bei einer Kirche oder einem Marterl vorbeifahre, mache ich ein Kreuzzeichen. Ich bete auch jeden Tag am Abend und habe ein Kreuz um den Hals. Vielleicht ist es ja so, dass ich im Alter wieder mehr zu dem zurückkehre, was mich als Kind geprägt hat.
Kurz und gut: Ich habe in meinem Leben so vieles erlebt, wo ich geglaubt habe, einem Schicksal ausgeliefert zu sein. Da hilft beten.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE DAVID ROSENKRANZ.
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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