Interview mit Bischof Hermann Glettler
Die Kraft einer trotzigen Hoffnung
Anfang Juli war Bischof Hermann Glettler zusammen mit Yuriy Kolasa, dem Generalvikar des Ordinariats für die katholischen Ostkirchen in Österreich, in der Westukraine unterwegs. Im Interview blickt der Bischof auf diese Solidaritätsreise zurück.
Was war das Ziel dieser Reise?
Hermann Glettler: Wir wollten den Menschen in diesem bedrängten Land die Gewissheit geben, dass sie nicht vergessen werden. Umgekehrt wurden wir von einer unbeugsamen, fast trotzigen Hoffnung überrascht. Im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz nahmen wir an der Eröffnung der Synode der griechisch-katholischen Bischöfe teil.
Wie haben Sie bei diesem Solidaritätsbesuch in der Umgebung von Lemberg die Nähe des Krieges wahrgenommen?
Glettler: Vor allem durch die allgegenwärtige Trauer. Zusammen mit dem Weihbischof von Lviv, Volodymyr Hruza, habe ich eine neue Gedenkstätte für die Gefallenen in der Stadt Nowojawoiwsk gesegnet. Die Tränen der jungen, verwitweten Frauen und ihrer Kinder werde ich nicht vergessen. Der Wahnsinn des Krieges ist mir am deutlichsten bei einem seelsorglichen Besuch im Militärspital bewusst geworden. Schwerverletzte, verstümmelte und traumatisierte Männer erzählen bruchstückhaft von ihren Erlebnissen. Und natürlich die Sirenen, die in der Nacht den Kriegsterror in jedes Haus tragen.
Auch für Sie als Gast beklemmend und beängstigend...
Glettler: Ja, aber viel schlimmer ist es für die Menschen vor Ort, die dadurch regelmäßig aus dem Schlaf gerissen werden. Wirklich beängstigend wäre es, wenn der soziale Zusammenhalt in der Ukraine zerbrechen würde, was die raffinierte russische Propaganda mit ihren Attacken in den digitalen Netzwerken und mit einer willkürlichen Zerstörung der lebensnotwendigen Infrastruktur erreichen möchte. Der Beschuss des Kinderspitals in Kiew war ein trauriger Höhepunkt dieser perversen Logik.
Sie haben sozial-karitative Einrichtungen besichtigt, einige noch im Aufbau begriffen.
Was gibt den Menschen Kraft, Neues zu schaffen angesichts der Zerstörung?
Glettler: Es ist ein Ankämpfen gegen die Verzweiflung. Wir konnten Einrichtungen zur Beratung und psychologischen Betreuung von Traumatisierten besuchen, aber auch Häuser für Waisenkinder. Im Erdgeschoss einer unfertigen griechisch-katholischen Kirche durfte ich ein Begegnungszentrum eröffnen mit Café, Konferenz- und Therapieräumen. Ähnlich symbolhaft der Glockenturm in der Stadt Novojavorivsk. Nicht nur die drei Glocken, gesponsert von der Firma Grassmayr, sind „Instrumente der Hoffnung“, sondern auch die Beratungsräume, die im Erdgeschoss eingerichtet sind.
Wie haben Sie die Menschen erlebt, was können wir von ihnen lernen?
Glettler: Leidenschaft und ein großes Engagement im Jetzt. Die Leute warten nicht auf den Tag X, sondern machen das, was notwendig ist. Der Alltag mit den Belastungen des Krieges ist für alle enorm fordernd. In der Altstadt von Lviv spürt man trotzdem ein pulsierendes Leben, Jugendliche tanzen und bewältigen vermutlich auf diese Weise ihre Ängste. Von den Gläubigen können wir einen tiefen, unerschrockenen Glauben lernen.
Zweieinhalb Jahre tobt der Krieg nun in der Ukraine. Was können die Kirchen tun, um zu vermitteln?
Glettler: Äußerlich nicht viel, aber sie können die Hoffnungskraft in den Menschen stärken. Erzählungen von Bischöfen aus dem Osten des Landes, deren Häuser und Pfarren nur einige Kilometer von der Front entfernt sind, haben mich zutiefst berührt. Mit Glaubensmut und Tapferkeit harren sie aus. Ein kleiner Lichtblick war die Freilassung von zwei Redemptoristen und einer Gruppe von Frauen bei einem Austausch mit russischen Gefangenen, genau in den Tagen unseres Aufenthalts. Die diplomatischen Bemühungen von Papst Franziskus haben wesentlich dazu beigetragen. Beide Patres hatten bis zu ihrer willkürlichen Verhaftung vor zwei Jahren in ihrer Diözese Charkiw-Saporischschja bei den dort verbliebenen Gläubigen ausgeharrt.
Was braucht es, um Frieden zu schließen? Und was kann die EU, kann der Westen tun, um den Prozess zu beschleunigen?
Glettler: Der Krieg könnte sofort im Hirn von Putin beendet werden, wie es Gerhard Mangott treffend formuliert hat. Um den brutalen russischen Angriffskrieg abzuwehren, braucht es jedoch die entsprechenden militärischen Mittel. Die ukrainischen Bischöfe warnen vor einem naiven Pazifismus, weil Verhandlungen mit einem machtbesessenen Tyrannen, der das Existenzrecht der Ukraine leugnet, schlichtweg absurd sind. Zuallererst ist es die ukrainische Bevölkerung, die sich nach einem gerechten und andauernden Frieden sehnt.
Und konkret hier bei uns?
Glettler: Bei der Unterstützung der Vertriebenen aus der Ukraine nicht müde werden. Schwierigkeiten lassen sich meistern. In Innsbruck und an anderen Orten in Tirol gibt es höchst engagierte Gemeinschaften. Angeregt durch die Reise bin ich auf der Suche nach Gemeinden, die sich eine Patenschaft mit einer griechisch-katholischen Pfarre in der Westukraine vorstellen könnten. Das wäre ein konkretes und nachhaltiges Zeichen von Hoffnung. Die Zeit nach dem Krieg muss schon jetzt vorbereitet werden.
Autor:TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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