Fundamentaltheologin Michaela Quast-Neulinger
Freiheitsraum Theologie
Michaela Quast-Neulinger ist die neue Professorin für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft am Institut für Systematische Theologie. Ein Gespräch über die Aktualität von Theologie und die Kraft der Verwundbarkeit.
Interview: Elisabeth M. Zangerl
Was sind Ihre Herzensthemen in der Theologie?
Michaela Quast-Neulinger: Ich sehe die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Glauben, nach Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Wir müssen gemeinsam nachdenken, wie Glaube und Kirche zu Quellen von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit werden können. Gerade in der aktuell schwierigen Zeit kann die Theologie einen wertvollen Beitrag leisten.
Wie kann dieser Beitrag aussehen?
Quast-Neulinger: Im Moment wird Religion für Krieg und Gewalt missbraucht. Es ist nicht neu, aber doch ein Tabubruch, dass Politik und Religion immer noch Allianzen schließen, um Gewalt zu rechtfertigen. Eine Wurzel totalitärer Gewalt ist der gescheiterte Umgang mit der Endlichkeit des Lebens, mit den Kränkungen und Verletzungen, die ein Leben mit sich bringt. Ich muss kontrollieren oder sogar auslöschen, wer mir die eigene Schwäche vor Augen führt. Totale Macht lockt mit der Vorstellung, dass es das unverwundbare, perfekte Leben gibt. Das ist ein Trugschluss.Leben ist Freiheit, Leben ist risikoreich. Wer unverwundbar sein will, bringt erst recht Tod und Gewalt. Das gilt für Politik wie für Religion. Aber Glaube kann auch dazu beitragen, den Mythos der Unverwundbarkeit zu überwinden. In Jesus sehen wir, wie einer der Versuchung der absoluten Macht widersteht – dem Satan in der Wüste wie dem Imperator Pilatus. Wir sehen, wie Jesus aus tiefer Beziehung zu Gott lebt, mutig das rechte Wort zur rechten Zeit findet. Daran müssen wir uns immer wieder orientieren und Einspruch erheben gegen die totale Macht, um das Leben in Fülle zu finden.
Wie wirkt sich eine Haltung der Verwundbarkeit auf die Begegnung zwischen Menschen aus?
Quast-Neulinger: Wenn man anderen wahrhaftig begegnet, ist man immer verwundbar. Papst Franziskus und Großimam Al-Tayyeb rufen zu einer Haltung der universalen Geschwisterlichkeit auf. Es geht nicht primär darum, dogmatische Übereinkünfte zu treffen, sondern viel mehr darum, miteinander zu lernen, manchmal einander zu korrigieren, ein andermal auf dem eigenen Standpunkt aus guten Gründen zu beharren. Mir gefällt der Begriff ‚demütige Stärke‘ sehr gut. Ein lebendiger Baum braucht starke Wurzeln, aber auch eine bewegliche Krone in den Stürmen der Zeit.
Universitätsprofessorin und Familie – wie geht sich das aus?
Quast-Neulinger: Erlauben Sie die Rückfrage – Professor und Familie, geht sich das aus? Das heißt geteilte Verantwortung und geteilte Fürsorgearbeit. Man muss mit dem Partner gut zusammenarbeiten. Leider heißt es auch Widerstandsfähigkeit, weil es immer noch nicht akzeptiert ist, dass es arbeitende Mütter und sich kümmernde Väter gibt. Ein Vorbild sind die Frauen in meiner Familie, die hart gearbeitet und so manche Konvention gesprengt haben, auch aus der Not der Zeit heraus. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass es Professorinnen in allen Fächern gibt. Ich möchte Frauen bestärken, einander in allen Bereichen des Lebens zu unterstützen.
Abschließend: Warum Theologie studieren?
Quast-Neulinger: In der Theologie gibt es keine Verbote. Verbote sind Ausdruck von Angst. Theologie bedeutet Freiheit, Mut und Vertrauen. Der Austausch mit dem Leben in seiner Fülle macht dieses Studium so attraktiv. Theologie ist für mich ein großer Freiheitsraum, in dem jede Frage einer Diskussion wert ist und junge Menschen ihr großes Potenzial entfalten können.
Autor:TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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