Über Wahrheit und Widersprüchlichkeit in der Bibel
Die Bibel ist cooler als die Menschen
Simone Paganini ist Professor für Bibeltheologie in Aachen und Autor populärwissenschaftlicher Bücher zur Bibel. Er arbeitet auf vielfältige Weise mit und an der Bibel und hat keine Scheu vor unkonventionellen Methoden. Heuer ist er Referent beim diözesanen Bibeltag zum Thema „Verstehst du die Bibel?“
Was antworten Sie, wenn es heißt: „In der Bibel stehen doch nur erfundene Geschichten“?
Simone Paganini: Es sind Geschichten, die vor mehr als 2000 Jahren geschrieben wurden und die, wie damals üblich, vor allem helfen wollten, Sinnzusammenhänge zu entdecken. Fakten wiederzugeben und die Realität möglichst genau zu beschreiben, war nicht das Ziel. Wahr sind sie insofern trotzdem, als sie Lebenswirklichkeiten und Weltdeutungen von Menschen zum Ausdruck bringen.
Was bedeutet diese Sichtweise für Ihre Arbeit als Wissenschaftler?
Paganini: Als Bibelwissenschaftler arbeite ich mit der Bibel wie z.B. ein Literaturwissenschaftler mit dem Nibelungenlied. Ich lese die Texte erzählanalytisch. Die biblischen Texte sind uralt, entstammen einer ganz anderen Welt und Kultur und haben eine komplexe Entstehungsgeschichte. Als Experte helfe ich dabei, tiefer zu fragen und mehr zu verstehen.
Die Bibel widerspricht sich manchmal selbst. Wie kann man damit umgehen?
Paganini: Diese Texte wurden für Menschen geschrieben, die nicht wir sind! Wir dürfen sie nicht mit unserem Verständnis von Kohärenz oder Widerspruchsfreiheit lesen. Der biblische Gott ist ein Gott, der spricht und in einen Dialog mit den Menschen geht. In einem Dialog geht es nicht in erster Linie um richtig und falsch, sondern darum, Standpunkte zu vertreten. Das ist ja gerade das Schöne und Geniale an der Bibel und der Hauptgrund, warum wir sie immer noch lesen und uns von ihr angesprochen fühlen – dass verschiedene Standpunkte nebeneinander stehen bleiben dürfen. Das Problem ist nicht die Bibel. Das Problem sind die Menschen, die die Bibel interpretieren. Die Bibel ist viel cooler als die Menschen.
Verständnisprobleme entstehen also in ersten Linie durch die Interpretation der Bibel?
Paganini: Genau. Der biblische Gott ist ein Gott, der sehr viel zulässt. Er ist ein Gott, der mich freilässt, der mich auch sündigen lässt. Er ist kein Gott, der nur ein Wort hat, sondern einer, der viele verschiedene Worte hat. Problematisch wird es, wenn wir einen Gott brauchen, der nur ein Wort hat – weil wir uns in einer Struktur befinden, die ein absolutes Konzept von Wahrheit braucht.
Aber welche verlässlichen Leitplanken für die Interpretation biblischer Texte gibt es dann noch?
Paganini: Je nachdem, wie man einen Text liest, kommt man zu unterschiedlichen Aussagen. Das ist auch bei der Bibel so. Es geht nicht nur um die Art zu lesen, sondern auch um die Methode. Viele verschiedene Zugänge sind legitim – bis zu dem Moment, in dem man eine Methode absolut setzt.
Es gibt also nicht die eine richtige Interpretation?
Paganini: So ist es. Die Bibel als gläubiger Mensch oder als Bibelwissenschaftler zu lesen und wahrzunehmen, sind zwei verschiedene Zugänge. Sie sind kein Gegensatz. Ein Problem entsteht erst, wenn eine der Parteien ihren Ansatz zum einzig richtigen erklärt. Interpretationen ändern sich, weil sie zeitgebunden sind. Noch vor 150 Jahren hat man viele biblische Texte anders verstanden, z.B. in Bezug auf Kriege oder Eroberungen.
Was bedeutet all das für das biblische Bild von Gott?
Paganini: Das biblische Gottesbild ist sehr vielfältig, weil es Erfahrungen von Menschen aus verschiedensten Kulturen, Zeiten, Lebenssituationen und Problemen bündelt. Dieser Gott ist manchmal gewalttätig, manchmal lieb und gut, manchmal tröstet er, manchmal straft er. Das Gottesbild ist so differenziert, dass wir heute noch beim Lesen sagen: „Ja genau, das passt zu mir!“ Und das ist genau der Grund dafür, warum Millionen Menschen Kraft für ihr Leben aus der Bibel schöpfen.
Sie haben mehrere populäre Bücher zur Bibel geschrieben, nehmen an Science Slams teil und integrieren kreative Ansätze in die Lehre. Warum?
Paganini: Universitäten wird oft ein Elfenbeinturm-Dasein vorgeworfen. Mit meinen Büchern versuche ich, die Ergebnisse der Wissenschaft in eine einfache Sprache zu bringen und dabei neueste philologische, archäologische und historische Forschungsergebnisse einzubinden. Diese Bücher lesen auch suchende Menschen, die die Angebote der Kirche nicht mehr erreichen. Das freut mich. Aber ich bekomme natürlich genauso kritische Rückmeldungen. Insgesamt denke ich, dass Wissenschaft auch Spaß machen darf. Die Lehre muss am Puls der Zeit bleiben. Ich tue einfach das, was ich gern mag.
Diözesaner Bibeltag mit Prof. Dr. Simone Paganini zum Thema: „Verstehst du die Bibel?“ am 5. Februar, 15 bis 17.30 Uhr, online
Weitere Informationen unter: www.dibk.at/Themen/Bibel/Bibeltag-2022
Anmeldung erbeten an abteilung.gemeinde@dibk.at
Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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