Krankenhausseelsorgerin Maria Radziwon
Zeit, Ruhe und Taschentücher

„Ich verschiebe nichts“: Der Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden prägt Maria Radziwons Blick auf das Leben. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern auf einem Bergbauernhof im Mölltal.   | Foto: Lindinger
  • „Ich verschiebe nichts“: Der Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden prägt Maria Radziwons Blick auf das Leben. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern auf einem Bergbauernhof im Mölltal.
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„Salzstreuer“-Kolumnistin Maria Radziwon ist seit vielen Jahren Krankenhausseelsorgerin in Lienz. Kostbare und schwere Momente ihres Alltags hat sie in ihrem neuen Buch versammelt. Ein Gespräch über ihr Leben zwischen Bergbauernhof und Krankenbett.

Sie sind seit vielen Jahren „Salzstreuer-Kolumnistin“ im Tiroler Sonntag. Was macht Sie als „Salzstreuerin“ aus? Radziwon: Ich mag kein frommes Gerede und denke, am meisten kann man aus dem Alltag mitnehmen. Meiner ist der im Krankenhaus und mit der Familie, daraus schöpfe ich. Alles andere ist ja nur Theorie. Nicht immer einfach ist es, die Texte so zu schreiben, dass der Datenschutz nicht verletzt wird – es soll sich schließlich niemand wiedererkennen.

Sie schreiben auch Gedichte und haben gerade ein neues Buch veröffentlicht. Was bedeutet Ihnen das Schreiben?
Radziwon:
Ich tu‘s einfach gern. Es ist für mich so etwas wie Psychohygiene, etwas ohne Muss und bestimmten Zweck.Zum Schreiben gekommen bin ich, weil ich es satt hatte, für Verabschiedungen, Sternenkindergottesdienste etc. Texte zu verwenden, die jeder schon kennt. Da habe ich eben meine eigenen geschrieben. So bin ich ins Schreiben von Gedichten hineingewachsen.

Schreiben ist Psychohygiene, aber das Belastende, das Sie jeden Tag in der Krankenhausseelsorge erleben, bleibt. Wie gehen Sie damit um?
Radziwon:
Je näher es an meiner eigenen Lebensrealität ist, desto schwieriger ist es, z.B. wenn jemand in meinem Alter oder dem meiner Kinder ist. Ich spreche viel mit meinem Mann, und wenn mich etwas nicht loslässt auch in der Supervision. Auch die Arbeit zuhause am Hof hilft mir: Dinge anpacken, den Stall ausmisten, das erdet mich.

Sie sind viel mit Tod und Sterben konfrontiert. Hat sich Ihr Leben dadurch verändert?
Radziwon:
Ja – ich schiebe so gut wie nichts auf, was mir wichtig ist. Wenn ich etwas machen will, mache ich es. Weltliche Dinge wie z.B. finanzielle Sorgen haben nicht mehr so einen Einfluss. Sehr wichtig ist mir der Gedanke: Egal was passiert, wir haben immer noch uns.

Was macht ein gelungenes Leben für Sie aus?
Radziwon:
Das Leben ist so wertvoll, auch wenn manches anders läuft, als man es sich vielleicht erhofft hat. Kranke oder Sterbende machen den Wert ihres Lebens an Menschen fest, an Freundschaften und Dingen, die sie erlebt haben. Schwierig ist immer das „hätte ich doch, wäre ich doch…“. Da fällt sicher jedem etwas ein. Gelungen fühlt sich das Leben an, wenn man das Gefühl hat, sein Leben gelebt zu haben.

Was möchten Sie den Menschen in der Seelsorge mitgeben?
Radziwon:
Kurz gesagt: Zeit, Ruhe und viele Taschentücher. Ich habe Zeit, bin für die Menschen da. Ich bleibe da, wenn’s schwierig wird. Alles darf sein, wie es ist. Ich helfe, der Angst in die Augen zu schauen. Vieles verliert seine Macht, wenn es ausgesprochen wird.

Was gibt Ihnen Kraft fürs Leben?
Radziwon:
Ich bin zufrieden. Ich will nicht immer noch mehr. Ich bin glücklich so, wie es ist. Das heißt nicht, dass ich über den Dingen schwebe. Aber ich habe das Wichtigste für mein Leben: Meinen Mann, meine Kinder, den Hof, einen Beruf, der mich sehr erfüllt.

Am Donnertag, 7. November um 19 Uhr liest Maria Radziwon in der Spitalskirche Innsbruck aus ihrem neuen Buch. Musikalische Gestaltung: Gilbert Rosenkranz und Walter Hölbling. Moderation: Lydia Kaltenhauser. 
Eintritt frei. 

Zum Weiterlesen:
Maria Radziwon: Gespräche zwischen Erde und Himmel. Momente aus dem Leben einer Krankenhaus-Seelsorgerin. St. Benno Verlag 2024, 162 Seiten, 15,40 €.

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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