EIN_BLICK
Die Landwirtschaft ist das Herz einer Gesellschaft

Seit Beginn des Jahres 2024 demonstrieren europäische Bäuerinnen und Bauern u. a. in Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und Polen vor allem gegen Kürzungen von Agrarsubventionen der nationalen Regierungen, gegen zunehmende Bürokratisierung, ständig neue Auflagen und steigende Kosten.
 | Foto: Kammerer, Bernd/Action Press/picturedesk.com
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  • Seit Beginn des Jahres 2024 demonstrieren europäische Bäuerinnen und Bauern u. a. in Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und Polen vor allem gegen Kürzungen von Agrarsubventionen der nationalen Regierungen, gegen zunehmende Bürokratisierung, ständig neue Auflagen und steigende Kosten.
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In vielen Ländern Europas sind die Bäuerinnen und Bauern aufgebracht und protestieren seit Monaten immer wieder. Der erfolgreiche Schriftsteller und Biobauer Reinhard Kaiser-Mühlecker spricht über die Hintergründe und über die Situation auch in Österreichs Landwirtschaft.

Die Landwirtinnen und Landwirte in Europa sind sauer. Was macht sie Ihrer Meinung nach so wütend, dass sie auf die Straße gehen?

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Es ist eine Gemengelage und nicht nur eine Sache, die dafür ausschlaggebend ist. In Deutschland und Frankreich haben sich die Proteste vor allem deshalb entzündet, weil laut deren Regierungen Vergünstigungen bei Agrardiesel und Kfz-Steuer für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge gestrichen werden sollen. Dazu kommen seitens der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) – und das gilt für alle Bäuerinnen und Bauern in Europa, auch in Österreich – die überbordende Bürokratie und permanent neue Vorschriften und Regelungen, die oft nicht praxisnah sind und immer undurchschaubarer werden. Das sind Auflagen, die nicht nur den Ackerbau betreffen, sondern auch die Viehhaltung.

In Österreich ist von den Protesten bis jetzt kaum etwas zu spüren. Warum?

Kaiser-Mühlecker: Ich glaube, dass es einen Tropfen auf den heißen Stein braucht. Und der blieb bei uns aktuell aus. Die Erleichterungen in Deutschland und Frankreich im Bereich Agrardiesel und Kfz-Steuer, die nun eingespart werden sollen, haben wir in Österreich so nicht. Außerdem wird der Bauernbund nicht gegen die eigene Partei mobilisieren. Grundsätzlich ist die Lage in unserem Land aber um keinen Deut besser als in anderen EU-Staaten.

Sie haben Auflagen u. a. in der Viehhaltung erwähnt. Denken Sie da an das Verbot von Vollspaltenböden in der konventionellen Schweinehaltung?

Kaiser-Mühlecker: Zum Beispiel. Die bis 2040 dauernde Übergangsfrist des Verbots für bestehende Anlagen wird nun schon mit 1. Juni 2025 aufgehoben. Wenn keine neue Frist festgelegt wird, tritt die Regelung ab da in Kraft. Bei Neubauten sind Vollspaltenböden bereits seit Beginn 2023 verboten. An Regelungen halten sich Landwirte und Landwirtinnen und investieren sehr viel Geld in den nötigen Umbau, aber wenn sie Pech haben, passen diese Vorschriften in fünf Jahren nicht mehr und sie müssen den Stall erneut umbauen. Das betrifft die biologische Landwirtschaft ganz ähnlich und führt zu Planungsunsicherheit und zu einem riesigen Frust. Kein Wunder, dass derzeit der Stallbau ganz grundsätzlich stagniert. Wer jetzt baut, muss finanziell sehr gut abgesichert und gleichzeitig optimistisch sein. Die Investition ist ja nicht auf fünf Jahre gerechnet, sondern auf Jahrzehnte.

Es geht bei der angesprochenen Diskussion aber auch um Tierschutz und die Verletzungsgefahr von Schweinen durch die Spalten in den Böden ...

Kaiser-Mühlecker: Das Tierwohl spielt eine immer wichtigere Rolle, keine Frage. Die Konsumenten haben ihre Vorstellungen, doch die Preise für die Produkte sollen nicht steigen. Jedes Kind versteht, dass das auf Dauer nicht zusammengeht. Die Landwirtschaft soll eine CO 2 -Senke werden, was sie einerseits längst ist, denn Pflanzen und Bäume nehmen Kohlendioxid auf und speichern es und schwächen damit den Treibhauseffekt ab. Anderseits wird natürlich bei der Feldarbeit einiges an CO 2 freigesetzt – aber ja nicht zum Spaß. Zugleich werden Billigprodukte mit Frachtflugzeugen von irgendwoher importiert – ohne Angaben, wie sie hergestellt wurden und wie groß dieser CO 2 -Fußabdruck ist. Darüber wird weniger geredet, und das erscheint mir nicht besonders stimmig.

Das ist unfairer Wettbewerb ...

Kaiser-Mühlecker: Da alles teurer wird und Bioprodukte eher weniger als mehr nachgefragt werden – das sind nicht nur meine Erfahrungen als Biobauer – führt das dazu, dass inzwischen auch Biobetriebe mehr und mehr aufhören und keine Nachfolger finden. Es gibt in Österreich derzeit fast vier Prozent weniger Biobetriebe als im vergangenen Jahr.

Welche Forderungen haben Sie an die Politik? Was ist notwendig, um eine nachhaltige zukunftsfähige Landwirtschaft zu betreiben?

Kaiser-Mühlecker: Es braucht erst einmal gut ausgebildete Landwirtinnen und Landwirte mit viel Praxiserfahrung. Und die fallen nicht vom Himmel. Die meisten beginnen ihre Lehre bereits als kleines Kind. Viel Wissen wird von Generation zu Generation weitergetragen – wann etwas zu tun ist, wie der eigene Boden beschaffen ist und wie er sein sollte, damit man ins Feld fahren kann. Das weiß Brüssel nicht. Aber das wissen die Eltern, das wissen die Großeltern, und die geben das weiter. Wenn dieses Wissen verschwindet, dann verschwindet es auch aus einer Gesellschaft. Deshalb bräuchte es Planungssicherheit. Die ist am besten herstellbar in Form von finanzieller Unterstützung vor allem für kleinere Betriebe, denn das sind die ersten, die aufhören. Und ich wünsche mir eine klare politische Vision, was man will. Soll das Essen mit dem Frachtflieger aus China oder mit dem Schiff aus Südamerika importiert werden? Dann versorgen wir uns nicht mehr selber, sondern kaufen Nahrungsmittel woanders. O. k. Aber was passiert, wenn man sie nicht mehr kaufen kann? Nicht einmal Corona oder der Ukrainekrieg machen uns klar, dass das alles nicht so selbstverständlich ist.

Welche Bedeutung und welche Auswirkungen all das hat, ist uns oft nicht bewusst …

Kaiser-Mühlecker: In erster Linie erzeugen wir Bäuerinnen und Bauern Nahrungsmittel, auf die jeder Mensch angewiesen ist, aber das begreifen viele nicht. Die Landwirtschaft ist das Herz einer Gesellschaft. Man müsste wirklich alles dafür tun, dass wir uns unabhängig und eigenständig versorgen und ernähren können. Die Bauernvertreter sagen zwar immer: „Stärken wir die bäuerlichen Familienbetriebe!“ Tatsache ist aber, dass das Bauernsterben, das es seit Jahrzehnten gibt, weitergeht. Alle Ideen, die es von Seiten der Politik und auch der Bünde gibt, greifen offenbar nicht, sonst wäre es anders. Wenn man nicht mit Herz und Seele Bauer und einem Geld nicht das Wichtigste auf der Welt ist, dann macht man das nicht.

Was sagen Sie zum Klimawandel? Der ist in der Landwirtschaft sicher deutlich zu spüren ...

Kaiser-Mühlecker: Ich würde sagen, dass der Klimawandel zu den größten Problemen der Landwirtschaft zählt und wir irgendwie damit umgehen müssen. Der vergangene Frühling war bei uns zunächst kalt und nass, danach extrem trocken. In Spanien herrscht jetzt eine unglaubliche Dürre. Es ist mal so, mal so, überall anders und jedenfalls zunehmend extrem. Diese Wetterbedingungen haben Auswirkungen auf die Kulturpflanzen und auf den Zeitpunkt, wann je nach Witterung etwas getan werden kann. Wenn man sich dann noch mit den Vorgaben aus Brüssel auseinandersetzen muss, wird das Wirtschaften schwierig, denn die Regelungen sind mit der Praxis oft schwer vereinbar. Ist man so wie ich und die meisten in einem EU-Förderprogramm, wo per Satellit deine Landwirtschaftsflächen überwacht, vermessen und alle paar Tage fotografiert werden und die Aufzeichnungen zeigen, dass z. B. das Pflügen nicht zum vorgeschriebenen Zeitpunkt passierte oder nicht das angebaut wurde, was man im Antrag angegeben hat, bekommt man Schwierigkeiten.

Sie sind nicht nur Biobauer, sondern auch Schriftsteller. Was bedeutet das eine und das andere für Sie?

Kaiser-Mühlecker: Beides sind Ur-Berufe. Das Erzählen und das Erzeugen von Nahrungsmitteln – damit schließt man sich an die Urgeschichte an. Bauer zu sein ist für mich ein schöner und sinnvoller Beruf. Die Schriftstellerei liebe ich natürlich auch, aber am Ende braucht das doch niemand so dringend. Die Sinnhaftigkeit stellt sich bei der Landwirtschaft nie. Da bist du in einem fort im Dienst einer Sache und ein Teil vom Ewigen. Es ist kein Egotrip. Man schaut zu beim Wachsen und Gedeihen und auch dem Verderben und beim Sterben und ist das ganze Jahr voll im Lebensprozess. Das ist beseelend. Bis zu dem Zeitpunkt, wenn dann wieder Vorgaben und neue Regelungen aus Brüssel kommen, die man nicht versteht.

SUSANNE HUBER

Seit Beginn des Jahres 2024 demonstrieren europäische Bäuerinnen und Bauern u. a. in Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und Polen vor allem gegen Kürzungen von Agrarsubventionen der nationalen Regierungen, gegen zunehmende Bürokratisierung, ständig neue Auflagen und steigende Kosten.
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Reinhare Kaiser-Mühlecker | Foto: Peter Rigaud
Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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