LEBENS_WEISE
Der Lösungsweg aus dem Mathe-Drama
Mathematik gilt als wichtiges, aber schwieriges Schulfach. Unter anderem sollen Technologien helfen, den Stoff besser zu vermitteln und zeitliche Ressourcen für Lehrkräfte zu schaffen.
Einigen macht es Spaß, vielen anderen beschert es regelrecht Albträume: das Schulfach Mathematik. Im Vergleich mit den anderen Zentralmaturafächern Deutsch und Englisch gab es bei der Matura 2021 nirgends so viele Fünfer wie in Mathematik. Konkret waren es 2,2 Prozent (413 Schüler:innen), in Deutsch und Englisch jeweils 0,6 Prozent (119 bzw. 105 Schüler:innen, Gesamtnote AHS Haupttermin 2021, Statistik Austria). Laut Bildungsministerium ist im Fünf-Jah-res-Trend zu beobachten, dass die Negativquoten in Mathematik flächendeckend gesunken sind. Hört man sich bei Familien oder in Nachhilfeinstituten um, scheint Mathematik jedoch nach wie vor das Angstfach Nummer eins zu sein.
Woran liegt das? Fehlt es dem Unterricht an Relevanz für das reale Leben, wie häufig behauptet wird? „Mathematik ist sehr abstrakt, sie bedient sich ihrer eigenen, formalen Sprache. Das ist sicher eine Hürde“, sagt Georg Winkler, Mathema-tik- und Religionslehrer am Bischöflichen Gymnasium Petrinum in Linz. „Allerdings kann ich an alle Schulfächer die Frage richten, was das mit meinem Leben zu tun hat. Welche Rolle spielt es etwa für mich, welcher Pharao vor 4000 Jahren lebte oder wie das Innere einer Unke aussieht?“ Die Ironie sei, dass es kaum einen Lebensbereich mehr gebe, der ohne Mathematik auskommt. Gleichzeitig sei die Realität komplexer, als sie im Unterricht darstellbar ist. „Deshalb muss ich zuerst das Handwerkszeug üben.“
HARTNÄCKIGES NARRATIV
Robert Weinhandl, Assistenzprofessor für Mathematik-Didaktik an der JKU Linz, hält Mathematik per se nicht für schwieriger als andere Fächer, jedoch werde es von der Gesellschaft allgemein als wichtig, aber auch schwierig angesehen: „Mathematik besitzt ein gewisses Prestige: Eine gute Note in diesem Fach wiegt potenziell schwerer als eine gute Note in einem anderen Fach.“ Der Grund dafür sei, dass es sich dabei um ein hartnäckiges Narrativ handle. Es sei also über Jahre oder Jahrzehnte erzählt worden, dass Mathematik einfach schwierig sei.
KEINE ALLTAGSRELEVANZ
Für Patricia Mair vom Nach-hilfe-Institut Lernquadrat Innsbruck fehlt es im Mathematikunterricht eindeutig an Alltagsrelevanz: „Was man wirklich braucht, wird einfach nicht durchgenommen. Die Schüler:innen sollten keine Beispiele machen, zu denen ihnen der Bezug fehlt, sondern verstärkt Themen wie Bankwesen, Miete, Zinsen.“ Schon vor der Pandemie sei der Hauptteil der Schüler:innen wegen Mathematik zur Nachhilfe gekommen, doch seit der Pandemie würde der Bedarf explodieren. „Es fehlen schlicht drei Jahre Lernstoff. Die Kinder sind teilweise sich selbst überlassen worden. Nicht alle hatten beim Online-Lernen dieselben Möglichkeiten, etwa wenn es mehrere Kinder, aber nur einen Laptop gab.“ In der Nachhilfe wird versucht, den Schüler:innen alternative Rechenwege aufzuzeigen anstatt nur den Schulstoff durchzuarbeiten. Mair kritisiert, dass es zu wenig Geld für Förderprogramme gebe und diese auch nur kurzfristig helfen würden. „Ich hoffe, die Politik lässt sich da etwas einfallen.“
ERFOLGE MOTIVIEREN
„Das Thema Mathematik ist ein sehr sensibles und festgefahrenes; es mutiert häufig schon in den Volksschulen zum Angstfach. Wir Eltern begleiten und unterstützen unsere Kinder, wenn sie uns brauchen. Aber nicht jedes Elternteil hat dafür die zeitlichen, finanziellen oder mathematischen Ressourcen“, sagt Sandra Breuer vom Elternverein des BG Dornbirn in Vorarlberg. „Angst macht unsicher und vernichtet Selbstvertrauen. Kinder brauchen Erfolgserlebnisse, um Freude an etwas zu entwickeln und auch mit Niederlagen umgehen zu können.“ Vieles stehe und falle mit der Motivation der Kinder selbst, jedoch auch mit der Lehrperson. Georg Winkler stimmt Breuer insofern zu, als dass die Beziehungsebene zwischen Lehrperson und Schüler:in maßgeblich zum Gelingen des Unterrichts beitrage. „Mir persönlich ist es wichtig, eine Lehre zu praktizieren, die Fehler verzeiht. Die Schüler:innen sollen spüren, dass es okay ist, Fragen zu stellen und auch mal nicht weiterzuwissen. Ich sehe es als meine Aufgabe, nicht nur zu sehen, was sie mir auf das Blatt schreiben, sondern die Menschen dahinter.“
EINSATZ VON TECHNOLOGIEN
Um wieder Freude zu schaffen am Mathematik lehren und lernen, sollten neben den analogen auch digitale Hilfsmittel genutzt werden, findet Elternvertreterin Breuer. „Und zwar so, dass Schüler:innen auf ihrem Niveau abgeholt werden, wieder Zutrauen und Motivation entwickeln und die Lehrer:innen sich individueller auf die Schüler:innen einlassen können.“ Darum gehe es beispielsweise im JKU-Projekt „FLINK in Mathe“, einer On-line-Lernplattform, wie Didaktiker Weinhandl erklärt: „Hier kann der Schwierigkeitsgrad entsprechend des individuellen Wissensstands angepasst werden. Die Schüler können die Aufgaben als Hausübung machen oder sich für den Unterricht vorbereiten. In der Stunde selbst wird so Zeit frei, um Probleme zu besprechen.“ Seit vergangenem Schuljahr ist die Unterstufe zudem mit Notebooks und Tablets ausgestattet, sodass ein Zurückfallen von Schüler:innen aus finanziell schwächeren Familien nicht mehr passieren sollte.
Technologie alleine ist definitiv kein Allheilmittel, findet Nachhilfelehrerin Patricia Mair: „Das gesamte Schulsystem gehört in die heutige Zeit gehievt. Es braucht kleinere Klassen und mehr Zeit, um auf die Kinder einzugehen. Außerdem sollte mehr auf Talente als auf Defizite geschaut weren. Eine gewisse Grundkompetenz in Mathematik ist wichtig, aber darüber hinaus sollte ich mir als Schüler:in die Fächer entsprechend meiner Begabungen aussuchen können.“ Ein wenig habe sich in den vergangenen Jahren schon geändert, räumt Mair ein, „aber bei der Mathematik ist es immer noch dasselbe Drama wie früher“.
LISA-MARIA LANGHOFER
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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