Im Älterwerden kann auch eine Sehnsucht nach Zuversicht und Geborgenheit aufleuchten
Das rechte Maß finden
Teil 3 der Serie Gläubig alt werden – Spirituelle Impulse aus der Erfahrung des Glaubens. Von Klaus Egger
Als das Gespräch mit dem alten Mitbruder (Folge 2) beendet war, habe ich ein Blatt Papier genommen und angefangen aufzuschreiben, was ich selbst nicht mehr kann, was ich noch kann und was ich erst jetzt kann. In kürzester Zeit hatte ich mein Blatt vollgeschrieben und war ganz erstaunt, was mir alles dazu eingefallen ist. Vor allem die Ergebnisse des dritten Schrittes haben mich überrascht und mir gezeigt, dass Älterwerden nicht nur Rückbau bedeutet, sondern auch Betreten von Neuland.
Hin zum Geheimnis des Alters. Vermutlich müssen wir diese oft gar nicht einfache Phase, dass es nicht mehr weiter geht wie bisher, ganz bewusst durchleben, um die nächsten Schritte hin zum Geheimnis des Alters gehen zu können. Wenn ich dieses „Nicht mehr“ in seinen vielfältigen Variationen als Anstoß verstehe, meine schönsten Erinnerungen wieder aufleben zu lassen, dann kann ich ganz neu erfahren, welche Schätze und Kostbarkeiten in meinem Inneren gespeichert sind und darauf warten, ans Licht gehoben zu werden. Der 2015 verstorbene bekannte Psychiater Viktor Frankl hat einmal geschrieben: „Erinnerungen sind wie Erntewagen, die schon in die Scheunen der Ewigkeit eingefahren sind“. Heißt das nicht, dass unsere Vergangenheit Zukunft hat, Zukunft in dem Geheimnis, das wir Gott nennen? Im Älterwerden und langsamen Loslassen von so manchem, was nun nicht mehr geht, kann auch eine im Lebensalltag oft verdeckte Sehnsucht nach Zuversicht und Geborgenheit aufleuchten.
Im Psalter, dem Gebetbuch des Volkes Israel und auch der Kirche, begegnet uns im Psalm 71 ein wunderbarer Text, der auch unserem Empfinden Worte verleihen kann. Daraus einige Verse:
Bei dir, o Herr, habe ich mich geborgen,
lass mich nicht zuschanden werden in Ewigkeit.
Du bist meine Hoffnung, Herr und Gott,
meine Zuversicht von Jugend auf.
Verwirf mich nicht, wenn ich alt bin,
verlass mich nicht, wenn meine Kräfte schwinden!
Du hast Großes vollbracht, Gott, wer ist wie du?
Du ließest mich viel Angst und Not erfahren,
du wirst mich neu beleben.
Meine Lippen sollen jubeln,
ja, dir will ich singen und spielen.
Dieses Gebet wird dem altgewordenen König David zugeschrieben, sozusagen als Rückblick auf sein Leben. Wer es in älteren Jahren für sich übernimmt, kann echten Trost finden.Die Lebensreise. Was den alten Mitbruder auf die Palme gebracht hat, waren die gutgemeinten Worte „Du kannst ja noch!“, weil er gespürt hat, dass es da ein Ablaufdatum gibt. Aber in diesem „Noch“ steckt ja auch: Ich darf und soll mich über solches Lob wirklich freuen, denn noch ist die Lebensreise nicht zu Ende. Anderseits gilt es, das rechte Maß zu beachten bei all dem, was man noch kann, um nicht eines Tages über sich selbst zu stolpern.
Autor:TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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