30 Jahre Hospizgemeinschaft
Wie Sterben mehr Tiefe bringt
Vor 30 Jahren wurde die Tiroler Hospiz-Gemeinschaft gegründet. Im Interview
mit dem Tiroler Sonntag spricht Geschäftsführer Werner Mühlböck über das besondere Anliegen der Hospizbewegung, das Fehlen von Hospizbetten in den Regionen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Sein Befund: Die Einsamkeit vieler Menschen hat zugenommen.
Es gibt viele Einrichtungen, die sich um das Wohl kranker Menschen kümmern. Was ist das Besondere der Hospizgemeinschaft?
Werner Mühlböck: Wir sehen den Menschen als ganzheitliches Wesen, physisch, psychisch, psychosozial und spirituell. Wir sehen auch Schmerz ganzheitlich. Es gibt nicht nur einen körperlichen Schmerz, sondern auch einen psychischen oder einen spirituellen. Am besten zu behandeln ist der körperliche Schmerz. Je mehr es um den ganzen Menschen geht, umso herausfordernder wird es.
Die Hospizgemeinschaft ist in den vergangenen 30 Jahren stetig gewachsen. Trifft der Hospizgedanke einen Nerv der Zeit?
Mühlböck: Die Hospizbewegung ist vor 30 Jahren angetreten, um das Thema Tod und Sterben aus der Tabuzone zu holen. Da hat sich Gott sei Dank viel geändert, wenn man bedenkt, dass es damals noch Sterbekammern in Krankenhäusern gegeben hat oder Menschen auf den Gängen gestorben sind. Was im Lauf dieser 30 Jahre sicher zugenommen hat, ist die Einsamkeit vieler Menschen. Das Leben ist auch mobiler und flexibler geworden, Familienmitglieder leben in unterschiedlichen Städten, das macht auch die Betreuung von Menschen schwieriger.
Wie kann die Hospizbewegung darauf reagieren?
Mühlböck: Ich bin überzeugt, dass wir künftig dem Thema „Sorge“ eine große Aufmerksamkeit schenken müssen. Das betrifft nicht nur Institutionen. Jeder von uns ist Freund, Nachbar, Angehöriger. Und wenn Menschen im Umfeld leiden, dann geht es darum, dass wir Menschen ermutigen und befähigen, für sie da zu sein und sich um sie zu kümmern. Vor diesem Hintergrund bietet die Hospizgemeinschaft zum Beispiel „Letzte-Hilfe-Kurse“ an, die in Tirol sehr gut angenommen werden. Unser Ziel ist es, den Gedanken der Zuwendung und des Füreinander-Daseins zu den Menschen zu tragen.
Viele tun sich schwer, schwerkranken Menschen zu begegnen. Sie haben Angst, nicht die richtigen Worte zu finden...
Mühlböck: Das Thema Tod und Sterben geht uns nie leicht von den Lippen. Das ist normal, da geht es um das Eingemachte im Leben. Wichtig ist, sich zuzuwenden und dabei auch die eigene Unsicherheit zu benennen. Die Angst sollte uns nicht dazu verleiten, uns abzuwenden oder nur noch nach Institutionen zu rufen, die die Arbeit übernehmen. Das wichtigste Instrument, das uns zur Verfügung steht, ist das Zuhören. Im Zweifel ist es manchmal besser, nichts zu sagen, als zu viel zu sagen. Über das Sterben zu reden kann eine große Bereicherung sein und dem Leben mehr Tiefe und Inhalt geben. Daraus wächst die Kraft, darüber nachzudenken, was uns wirklich wichtig ist.
Da sind wir dann beim Hospizgedanken angekommen ...
Mühlböck: Die Hospizgemeinschaft ist vor 30 Jahren mit dem Anliegen angetreten, schwerkranke Menschen vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Tod und Sterben sind nach wie vor tabubehaftet, aber es wird mehr darüber gesprochen. Es ist gelungen, Einrichtungen zu schaffen, die wie Biotope das Leben bereichern und ihre Samen weitergeben. Wir verstehen uns als eine Bewegung, die fachlich am Puls der Zeit ist, aber nicht alles selber machen will und kann. Unser Ziel ist, Menschen zu ermutigen und zu befähigen, sich um andere zu kümmern.
Hat die Hospizgemeinschaft Wünsche an die Politik?
Mühlböck: Die Politik in Tirol hat sehr viel für die Hospizbewegung getan. Allein die Errichtung des Hospizhauses in Hall ist einzigartig im deutschsprachigen Raum. Was es dringend braucht, sind 24 zusätzliche Hospizbetten in den Regionen Tirols. Diesbezüglich sind wir mit dem Land im Gespräch.
Die Hospizgemeinschaft meldet sich auch in gesellschaftspolitischen Fragen zu Wort, zuletzt etwa bei der Sterbehilfe und dem Assistierten Suizid.
Mühlböck: Das Sterbeverfügungsgesetz ist seit 2022 in Kraft und fordert uns heraus. Der Wunsch nach assistiertem Suizid ist für uns Ausdruck einer großen Not. In diesem Fall intensivieren wir sogar unsere Zuwendung. Wir haben eine klare Grenze: Wir beteiligen uns nicht am Töten. Aber wir versuchen, den Menschen alles anzubieten, was wir haben. Das gelingt manchmal, aber nicht immer.
Wie sieht der Ausblick in die Zukunft aus?
Mühlböck: Unser nächstes Ziel ist die Etablierung der fehlenden 24 Hospizbetten, dezentral in allen Regionen Tirols. Darüber hinaus werden wir weiterhin Menschen sensibilisieren, ermutigen und befähigen, sich des Themas Trauer, Tod und Sterben anzunehmen und den Hospizgedanken in möglichst viele Herzen der Menschen einzupflanzen. Unser Ziel ist nicht, als Hospizgemeinschaft möglichst groß zu werden, sondern den Hospizgedanken in die Gesellschaft zu tragen und zu einer neuen Kultur des Umgangs mit Leid und Tod beizutragen.
Autor:Walter Hölbling aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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