Schauspielerin Julia Gschnitzer:
Ich beneide jeden Menschen, der glauben kann

Als Jedermanns Mutter (hier mit Cornelius Obonja als Jedermann) feierte Julia Gschnitzer im Jahr 2016 ihren Abschied von der Bühne. | Foto: picturedesk.com/Barbara Gindl
  • Als Jedermanns Mutter (hier mit Cornelius Obonja als Jedermann) feierte Julia Gschnitzer im Jahr 2016 ihren Abschied von der Bühne.
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Julia Gschnitzer gilt als Grande Dame der österreichischen Schauspielkunst und ist ihrer Tiroler Heimat stets eng verbunden geblieben. Vor sechs Jahren hat die 90-Jährige ihren Bühnenabschied gefeiert, doch in Radio und TV ist sie weiterhin aktiv.

Jeden Tag hat sie die Berge ihrer Tiroler Heimat vor Augen. Selbst im weit entfernten Salzburg, wo die Schauspielerin Julia Gschnitzer seit über 30 Jahren lebt. Ganz plastisch und farbenfroh – in Form eines Bildes eines bekannten Tiroler Malers. Im Hintergrund die Serles, im Vordergrund ein Haus, das „Gschnitzerhaus“, ihr Elternhaus. „Ich kann nicht ohne die Berge sein“, sagt sie. Und so wird das Gespräch mit ihr gleichermaßen zu einer Reise durch eine große Karriere und ihre tiefe Verwurzelung in Tirol. Frau Gschnitzer, vor sechs Jahren haben Sie Ihren Bühnenabschied gegeben. Fehlen Ihnen die Schauspielerei, die große Bühne?
Julia Gschnitzer: Nein, überhaupt nicht. Es war eine sehr stimmige Sache für mich, damals mit der Mutter im „Jedermann“ meine Karriere zu beenden. Die Bühne – das ist jetzt alles schon sehr weit weg für mich, auch wenn ich natürlich weiterhin gern ins Theater gehe. Hin und wieder wirke ich noch in TV- oder Radio-Produktionen mit, aber mehr auch nicht mehr. Das Kapitel ist abgeschlossen.

Man kann Sie zweifellos als einen Bühnenstar bezeichnen. Sie haben auf den großen Bühnen des Landes gespielt, waren jahrzehntelang im Volkstheater in Wien tätig. Ihre ersten schauspielerischen Gehversuche haben Sie aber hier in Innsbruck unternommen…
Gschnitzer: Ja, ich habe meinen Eltern schon als Kind immer in den Ohren gelegen und gesagt „Ich will eine Spielerin werden“. In St. Nikolaus gab es kurz nach dem Krieg eine kleine Bühne im Kolpinghaus. Dort durfte ich dann die ersten Rollen in Märchenstücken spielen – fast immer war ich wegen meiner blonden Locken die Prinzessin. Dabei wollte ich so gern auch mal Bösewichte spielen.

Gab es familiäre Nähe zur Kolpingfamilie bzw. zur Kirche?
Gschnitzer: Die gab es nicht. Ich bin in einem sehr offenen Elternhaus aufgewachsen. Mein Vater war Jurist, Professor an der Uni, Politiker und Staatssekretär und zugleich Literat. Meine Mutter gehörte zu den ersten Frauen, die in den 1920er Jahren in Innsbruck Jus studierten. Eine Intellektuellen-Familie, in der immer wieder Künstler und Schauspieler ein- und ausgingen. Und in der eben auch wir sechs Kinder durchs Haus wirbelten. Es war also keine kirchliche Anbindung, die mich nach St. Nikolaus brachte, sondern die pure Lust am Spielen.

Wie führte Sie Ihr Weg dann weiter?
Gschnitzer: Als 16-Jährige durfte ich eine kleine Rolle im „Hauptmann von Köpernick“ spielen, der damals im Landestheater aufgeführt wurde. Ich hatte noch nie Schauspielunterricht gehabt und musste mir als Tiroler Mädel den Berliner Dialekt antrainieren. Das war wie eine Fremdsprache für mich. Danach nahm ich gleich Schauspielunterricht. Meine Eltern wollten aber, dass ich „was G’scheites lerne“ – und so machte ich eine Schneiderlehre. Aber mein Ziel war klar – und es kamen tatsächlich Anfragen, Engagements. Bewusst beworben habe ich mich nie. Ich habe einfach sehr viel Glück gehabt.

Sie leben nun schon seit 30 Jahren in Salzburg. Was bedeuten Ihnen Tirol und Innsbruck weiterhin?
Gschnitzer: Sehr viel! Auch wenn Salzburg inzwischen meine Wahlheimat ist, so trage ich Tirol mehr als nur im Herzen. Ich habe ja immer viel in Tirol gespielt, fahre oft „heim“, auch wenn es sich nach dem Tod des letzten meiner Brüder vor wenigen Wochen furchtbar anfühlt, als „Letzte“ übrig zu sein. Früher war ich noch häufiger in Tirol und bin in jeder freien Minute auf die Berge gegangen. Das war für mich ein lebensnotwendiger Ausgleich zur Bühne.

Für viele Menschen rücken mit neuen Lebensabschnitten und fortschreitendem Alter plötzlich bis dato vielleicht nicht gekannte religiöse Fragen in den Fokus. Für Sie auch?
Gschnitzer: Nein, dafür fehlen mir die Antennen. Ich blicke auch nicht wehmütig zurück oder angstvoll auf das, was kommt. Wenn Schluss ist, ist Schluss. Dann sage ich zwar schon „Danke, lieber Gott“, aber ich verbinde damit kein klares religiöses Bekenntnis. Eher eine allgemeine Dankbarkeit für all das Glück, das ich hatte.

Die Gretchenfrage ‚Nun sag', wie hast du's mit der Religion?‘ ist also keine, die Sie umtreibt?
Gschnitzer: Man kann den Glauben nicht erzwingen. Und mir hat er nie gefehlt. Gleichwohl beneide ich jeden Menschen, der glauben kann und dem der Glaube eine Stütze ist! Ich habe nie Situationen der Bedrängnis oder auch des Glücks erlebt, in denen eine religiöse Frage oder Sehnsucht aufgetaucht wäre. Mich haben andere Fragen zeitlebens bewegt – etwa jene, wie ich meinen Wunsch nach einer eigenen Familie und nach der Schauspielerei unter einen Hut hätte bringen können. Es wäre schlichtweg für mich nicht möglich gewesen. Und ich habe mich für die Bühne entschieden. Das war mein Weg, meine Berufung. Eine schmerzhafte, aber zugleich eine bewusste Entscheidung.

Vor dem Tod haben Sie keine Angst?
Gschnitzer: Überhaupt nicht. Eher davor, anderen zur Last zu fallen und meine Selbständigkeit zu verlieren. Die Vorstellung, in ein Heim zu müssen in meinen letzten Jahren oder Tagen, ist mir ein Graus. Ich hoffe, es packt mich ruckzuck.

Um zum Anfang zurückzukehren: Auch wenn Sie selbst nicht mehr auf der Bühne stehen, so haben Sie als Theaterbesucherin ja weiterhin einen „professionellen Blick“ auf Ihre Kollegen…
Gschnitzer: Zumindest punktuell, ja. Und was ich da oft sehe, erschließt sich mir kaum mehr und bestärkt mich in meinem Rückzug von der Bühne. Was da unter dem Begriff des Regietheaters daherkommt, ist oftmals nur noch verrückt, manchmal schamlos.
Meine Stärke war immer die „Echtheit“. Ich habe immer versucht, mich ganz auf die Figur, die ich spielte, einzulassen. Nur einmal habe ich eine Rolle abgelehnt – da sollte ich ein leichtes Mädchen spielen. Das hätte mir niemand abgenommen. Und ich hätte gedacht: Nein, das bin ich nicht.

Autor:

Walter Hölbling aus Tirol | TIROLER Sonntag

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