Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Wasserglas oder See

„Ich halte es nicht mehr aus. Das Leben ist mir unerträglich geworden. Wohin ich schaue, nur noch Sorgen und Leid!“ Ein Mann mittleren Alters sprach sich seine Frustrationen von der Seele. Ein erfahrener spiritueller Meister hörte sich die Klagen geduldig an. Dann stand er auf und nahm eine Handvoll Asche aus dem Kamin. „Schau, das sind all deine Sorgen und Leiden!“. Dann warf der Meister die Asche in ein Glas hinein. Es war mit kristallklarem Wasser gefüllt. Blitzschnell war das Glas mit schwarzer Brühe gefüllt. Dann nahm der Meister noch einmal eine Handvoll Asche und ging mit dem Mann zum Seeufer. Das kristallklare Wasser funkelte in der Sonne. Der Meister warf die Asche in den See. Das Wasser blieb kristallklar. „Siehst du“, sagte der Meister zu dem verdutzten Mann. „Der Ausmaß an Sorgen und Leid bleibt im Leben eigentlich konstant. Du selber kannst aber jeden Tag in der Früh entscheiden, ob du an diesem Tag bloß ein Glas bleiben willst, oder ein See sein möchtest!“Auch wenn wir in der global gewordenen Welt unendliche Erfahrungshorizonte vor uns zu haben glauben, bleibt das „Gefäß“ für unsere persönliche Erfahrungen doch recht überschaubar. Bitten wir jeden Tag Gott darum, dass es eher ein „See“ denn ein „Glas“ bleibt.

Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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