Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Die "Blume der Ehrlichkeit"
Der junge Thronfolger schaute unsicher in die Zukunft. Unerwartet war sein Vater gestorben, nun musste er die Geschicke des Landes lenken. Sein erfahrener Erzieher hatte ihm geraten, eine ehrliche und kluge Frau zu heiraten, die ihm zur Seite stehen sollte. Und er gab ihm auch einen Tipp, wie er diese Frau finden könne. Viele Kandidatinnen meldeten sich. Ihnen allen wurde ein Same überreicht, mit der Bitte, in den nächsten sechs Monaten daraus eine wunderschöne Pflanze zu ziehen. Eine arme, aber ehrliche junge Frau, die – wenn auch still – in den Prinzen verliebt war, versuchte ihr Glück. Aber: obwohl sie die beste Erde, die sie in ihrem Blumentopf hatte, jeden Tag begoss, keimte ihr Same nicht. Als die Frist vorbei war, ging sie jedoch zum Palast und nahm auch ihren Topf mit. Der Thronsaal verwandelte sich in einen überdimensionalen Blumenladen. So viel an Pracht brachten die Frauen mit. Der Thronfolger schaute sich die Pflanzen genau an, lächelte den Frauen zu, nahm aber das arme Mädchen an der Hand und führe es zum Thron. „Sie hat die schönste Blume gezogen. Ihr Name lautet: Ehrlichkeit. Ich habe allen eine Attrappe des Samens gegeben. Da konnte nichts wachsen!“ Nur ein altes Märchen? Es ist aktueller denn je: Weil wir die „Blume der Ehrlichkeit“ zu wenig zu schätzen wissen.
Autor:TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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