Edouard Sinayobye, Bischof der Diözese Cyangugu in Ruanda, über Synodalität, Weltkirche und Versöhnung
Katholisch sein heißt offen sein
Kaiserschmarrn essen und ein Treffen mit dem Priester, der ihm über eine Patenschaft geholfen hat, sein Studium zu finanzieren, stehen u.a. am Programm des Österreich-Besuchs von Bischof Edouard Sinayobye. Dem Tiroler Sonntag erzählte er vom Alltag in Ruanda, der Rolle der Basisgemeinden und was er den Tiroler/innen ans Herz legt.
Wie sieht der Alltag der Menschen in Ruanda aus?
Sinayobye: Ruanda ist ein kleines Land (ca. ein Viertel der Fläche von Österreich, Anm. d. Red.) mit 12 Millionen Einwohnern. Die Bevölkerung ist sehr jung. Die Menschen leben von Ackerbau und Viehzucht, es gibt kaum Industrie. Die Sorge um genug Essen und Wasser beschäftigt die Menschen tagtäglich. Es gibt ein öffentliches Schulsystem, der Besuch der Volksschule ist kostenlos.
1994 ereignete sich in Ruanda ein Genozid von verstörendem Ausmaß. Wie ist die Situation heute, vor allem in Hinblick auf Versöhnung?
Sinayobye: Der Genozid war eine Tragödie mit Gräueltaten von unvorstellbarem Ausmaß. Wer es erlebt hat, dem bleiben die Bilder für immer im Kopf. Es gibt Überlebende, die keinen einzigen Angehörigen mehr haben, niemanden. Der Genozid hat schwerstes Leid hinterlassen – in materieller, sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht. Er macht es sehr schwer, sich zu versöhnen, auch mit sich selbst. Wenn einer einige Leben zerstört, betrifft es die ganze Menschheit! Genauso ist es mit der Versöhnung. Jeder, der ein Waisenkind aufnimmt, Armen hilft, leistet einen Betrag zu Wiederaufbau und Versöhnung. In Ruanda gibt es heute ein großes Engagement, Frieden zu lehren. Die Ideologie des Hasses ist gebannt.
Wie ist die Situation der Kirche?
Sinayobye: Die Menschen in Ruanda sind von der Kultur her religiös. Ungefähr 70% der Bevölkerung sind Christen, 48% sind Katholiken. Unter den verschiedenen Konfessionen und Religionen gibt es keine Konflikte, jeder macht seine Arbeit. Es gibt auch ökumenische Bestrebungen. In meiner Diözese gibt es ungefähr 300.000 Katholiken und 115 Priester. Die Pfarren sind sehr groß, daher haben wir die Basisgemeinden eingeführt, um mehr Gemeinschaft und ein intensiveres christliches Leben zu fördern.
Erzählen Sie uns mehr von diesen Basisgemeinden? Wie wird der Glaube hier gelebt?
Sinayobye: In Ruanda leben die Menschen wirklich eng in Gemeinschaft zusammen! Sie gehen gemeinsam Wasser und Holz holen. Es ist nicht wie in Europa, wo es so große Häuser gibt und jeder seine eigene Wohnung hat. Man kann es überhaupt nicht vergleichen. Diese kleinen, gemeinschaftlichen Strukturen sind also schon da. Die Basisgemeinden laden die Menschen ein, die christlichen Werte in ihrer engsten Umgebung, in ihrer Familie im Alltag zu leben. Sie umfassen etwa 15 Familien. Die Menschen lernen einander gut kennen, unterstützen sich auch materiell. Sie teilen das Wort Gottes, aber auch ihre alltäglichen Sorgen und Fragen. Dabei orientieren sie sich am Vorbild der ersten Christ/innen in den Urgemeinden. Viele kleine solcher Gemeinden bilden eine Pfarre und viele Pfarren die Diözese. Ich als Bischof bin ein Teil davon, bin ein Christ unter Christ/innen, mittendrin, nicht darüber!
Mir ist sehr wichtig, dass eine Pfarre nicht einfach eine Gesellschaft ist, ein Verein, sondern eine wirkliche Gemeinschaft. So können die Christ/innen die Kirche aktiv mitgestalten, wirklich Kirche sein!
Was bedeutet Weltkirche für Sie?
Sinayobye: Das Thema beschäftigt uns Bischöfe in Ruanda sehr, vor allem in Hinblick auf die anstehende Synode, die wirklich ein Zeichen der Zeit ist. Denn wir haben alle ein großes Defizit: Jeder will für sich allein leben. Die einen leiden Hunger, die anderen leben im Überfluss. Die einen leben im Krieg, die anderen kümmern sich nicht darum. Die einen haben viele Berufungen, die anderen einen großen Mangel. Dazu kommen die Probleme der Migration, der Rassismus. All das sind menschliche Schwächen. Und doch haben wir ein großes Bedürfnis, Gemeinschaft zu leben. Kirche ist das Mysterium der Gemeinschaft! Einander Brüder und Schwestern zu sein, das ist Synodalität. Kirche muss sich immer daran erinnern, dass sie eine Familie ist.
Synodalität bedeutet auch Zusammenarbeit, Offenheit, um neu Gemeinschaft zu erfahren. Das führt auch zu Solidarität. Wenn ich Kirche als Gemeinschaft verstehe, kann ich mich für die Probleme der anderen nicht verschließen, aber die Versuchung ist groß.
Haben Sie eine Botschaft für uns in Tirol?
Sinayobye: Seid eine Kirche, in der ihr euch liebt, einander kennt, helft und offen für die Welt seid! Wir können uns nicht lieben und uns dabei verschließen. Katholisch sein, heißt offen sein! Das ist auch das Missionarische am Katholischsein.
Was gibt Ihnen Kraft fürs Leben?
Sinayobye: Priester zu sein, gibt meinem Leben Sinn – weil Jesus am Kreuz uns diesen Sinn erschlossen hat: sich für die anderen hinzugeben. Es ist ein Geschenk.
Autor:Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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