Ein Gespräch über den Grenzbereich zwischen Leben und Tod
Orte der Hoffnung
Sr. Barbara Flad ist Leiterin der Seelsorge im Krankenhaus St. Vinzenz in Zams. Die Barmherzige Schwester ist auch Mitglied des Corona-Krisenstabes. Mit dem Tiroler Sonntag spricht sie über den Grenzbereich zwischen Leben und Tod, besonders in Corona-Zeiten, und den Stellenwert einer psychosozialen Versorgung.
Ist die Seelsorge systemrelevant oder nicht? Diese Frage geisterte im Kopf von Schwester Barbara Flad herum, als sie im Frühjahr diesen Jahres ihren Urlaub zu Studienzwecken abbrach, um nach Zams ins Krankenhaus St. Vinzenz zurückzukehren: „Ich war einfach hin- und hergerissen, ich fragte mich: Wie wichtig sind wir Seelsorgende beim Kampf ums Überleben?“
Zum Krisenstab des Krankenhauses St. Vinzenz in Zams gehören die Ärztliche Leitung, die Pflegedirektion, Verantwortliche aus den Bereichen Hygiene, Einkauf, Haustechnik und jene, die verantwortlich sind für die psychosoziale Versorgung von Patient/innen, Mitarbeiter/innen und Angehörigen. „Gemeinsam mit dem Leiter der Psychiatrie bin ich für die Koordination der psychosozialen Betreuung zuständig“, erzählt Schwester Barbara. „Eine Pandemie – das war für uns völlig neu. Zuerst verhielten wir uns zurückhaltend, in erster Linie ging es ja schließlich um Leben und Tod. Da stand die medizinische Versorgung im Vordergrund“, erzählt die Seelsorgerin.
Sorge um die Mitarbeiter. „Zu Beginn war das Tempo sehr rasant, psychosoziale Anliegen der Menschen waren eher zweitrangig“, erinnert sich Schwester Barbara an die Anfangsphase der Pandemie und erklärt: „Sehr schnell wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass wir auch die Mitarbeiter im Auge behalten, nachfragen, wie es ihnen geht. Sie waren einer ständigen höheren Belastung und Ansteckungsgefahr ausgesetzt.“ Allgemeine psychosoziale Themen – nicht nur für Mitarbeiter/innen – waren Angst, Einsamkeit und auch Zukunftsängste, die die Menschen vielfach gequält haben und es immer noch tun.
Neue Wege, den Glauben zu erfahren. „Es braucht Menschen, die sich kreativ Gedanken machen über die Frage, wie es möglich ist, Gemeinschaft zu erfahren, ohne leichtsinnig zu werden und eine Ansteckung zu riskieren“, ist Schwester Barbara überzeugt. Sie geht davon aus, dass wir „noch länger mit dieser Pandemie leben müssen“. Sr. Barbara Flad arbeitet derzeit gemeinsam mit einer Kollegin an einem „Quarantänetagebuch“. Es ist für Menschen gedacht, die gesund sind, sich aber aufgrund eines Kontaktes mit einer positiv auf Corona getesteten Person in Quarantäne begeben müssen und ist bis Ende November auf der Homepage des Krankenhauses nachzulesen.
Für das Seelsorgeteam ist die Corona-Zeit eine Gelegenheit, die Krankenhauskapelle als einen „Ort der Hoffnung“ bewusst zu machen. Am Eingang (siehe Bild links) erwartet die Besucher/innen ein Tisch mit einem Anliegenbuch und guten Gedanken zum Mitnehmen. Ein anderer Ort der Hoffnung ist ein Klavier am Gang, das zum Spielen einlädt.
Grenzbereich. Corona-Vorschriften und Maßnahmen wie Besuchsverbote, selbst im Sterbefall, stellten im Frühjahr Sterbende und ihre Angehörigen vor größte Herausforderungen. Das Team der Seelsorge versuchte zumindest digitale Möglichkeiten zu schaffen: „Das war natürlich eine letztlich unzulängliche Krücke, wenn sich Sterbende via WhatsApp verabschieden mussten. Aber die Alternative war, dass man sich gar nicht verabschieden konnte. Besser das als gar nichts“, ist die Seelsorgerin überzeugt: „Wenn die Angehörigen es gewünscht haben, haben wir auch ein Foto des Verstorbenen geschickt.“
Begegnung ermöglichen. Mittlerweile gibt es im Sterbefall eingeschränkte Möglichkeiten der Begegnung. Zumindest dürfen laut aktuellen Verordnungen die engsten Angehörigen anwesend sein. „Die Tatsache, dass geliebte Menschen allein sterben mussten, war für die Angehörigen das Schlimmste“, erzählt Schwester Barbara: „Nach meiner Erfahrung leiden die Menschen noch immer darunter.“
Auch im Bereich der Sterbebegleitung müsse nach neuen Wegen gesucht werden, erklärt die Seelsorgerin. Sie meint: „Wir sind immer darauf konzentriert, Leben zu erhalten, wir können aber nicht immer Leben retten. Wir müssen die Menschen auch darin unterstützen, ein gutes Lebensende zu finden.“
Elisabeth Zangerl
Mein Tagebuch
10. November
Nun gibt es also wieder ein grundsätzliches Besuchsverbot für die Krankenhäuser in Tirol. Ich hatte lange gehofft, dass sich das durch sonstige strenge Vorschriften verhindern ließe, da dieser Schritt so viele „Nebenwirkungen“ hat. Auf der einen Seite verstehe ich Entscheidungsträger und Mitarbeiter/innen, die angesichts der derzeit großen „Durchseuchungsrate“ in der Bevölkerung Sorge haben, dass Besucher/innen Patient/innen und Personal anstecken könnten. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, wie viele Menschen massiv darunter leiden, keinen Besuch bekommen zu können. Vor nicht allzu langer Zeit hat mir eine Frau geschildert, wie es für sie im Frühjahr war, als sie im Krankenhaus mit ihrer Krebsdiagnose konfrontiert wurde und während ihres dortigen Aufenthaltes die schlimme Nachricht nur per Telefon mit ihrem Mann teilen konnte. Gefühlsmäßig stehe ich da als Mitarbeiterin im Krankenhaus und Seelsorgerin zwischen allen Stühlen. Immerhin soll es diesmal im Gegensatz zum Frühjahr Ausnahmen von der Regel geben. Ich hoffe, dass es uns im Krankenhaus gelingt zu erkennen, bei welchen Menschen und Situationen solche Ausnahmen angebracht und notwendigsind. Denn so sehr wir uns in der Seelsorge darum bemühen, die Patient/innen regelmäßig aufzusuchen – einen geliebten Angehörigen können wir nicht ersetzen… Sr. Barbara Flad
In den kommenden Ausgaben wird Sr. Barbara Flad exklusiv für die Leserinnen und Leser des Tiroler Sonntag ihre Erfahrungen als Krankenhaus-Seelsorgerin teilen.
Autor:TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag |
Kommentare