Im Zeichen des Notrufs 142
Ein Nachtdienst in der Telefonseelsorge
Monika ist ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Telefonseelsorge Innsbruck. Sie gibt Einblick in einen Nachtdienst im Zeichen des Notrufs 142.
Ich öffne die Türe zu der Wohnung der Telefonseelsorge, in der ich die heutige Nacht verbringen werde und es ist 18.50 Uhr.Vorsichtig schaue ich ins Dienstzimmer; meine Vorgängerin ist noch mitten in einem sehr intensiven Gespräch. Ich richte mir in der Küche eine Teekanne mit Tee, die mich über die Nacht begleiten soll. Das Gespräch meiner Vorgängerin ist beendet und wir tauschen noch einige Erfahrungen über ihren letzten Dienst aus.
Und dann nehme ich Platz am Telefon. Die erste Anruferin ist mir bekannt, sie ruft aus einem anderen Bundesland an und leidet seit sehr vielen Jahren an psychischen Krankheiten. Sie hat Angst, dass in ihrem Bundesland die Politik auf Leute mit Problemen psychischer Art vergisst. Darauf folgen mehrere Anrufe wegen Geldproblemen.
20:58 Uhr
Ein Mann ist am Telefon. Er ist fast 80 und bekommt eine Rente von 1.000 Euro. In der Wohnung wäre viel zu richten, aber das kann er sich nicht leisten. So verkommt alles immer mehr.
21:17 Uhr
Eine Anruferin ist am Telefon. Die Telefonseelsorge ist für sie die einzige Möglichkeit, mit anderen Menschen zu sprechen. „Dann kann ich mich auch als Mensch fühlen“, sagt sie.
21:50 Uhr
Ein Anrufer ist am Apparat, der sich um seine Mutter sorgt, die an Depressionen leidet. Die nächste Anruferin sagt, dass sie um ihr Leben fürchtet, denn sie hat Einbruchsspuren an ihrer Tür gefunden. Die Polizei war auch da und hat Fotos gemacht und versprochen, immer wieder vorbeizuschauen. Aber ihre Angst bleibt.
22:30 Uhr
Hans, ein Mann mit Panikattacken, meldet sich und hofft, dass ihn das Gespräch beruhigen kann. Er hat in seinem ganzen Arbeitsleben nicht einen Tag Urlaub gehabt. Jetzt ist er ausgepowert, hat Angst vor dem Leben. Wir sprechen über Alltägliches, er glaubt, dass ihm das hilft. Aber schon nach wenigen Minuten ruft er wieder an, er fühlt sich innerlich so unruhig.
23:00 Uhr
Ein Mann schildert mit Tränen in der Stimme seinen Liebeskummer. Er ist an sich ein Intellektueller und gerade deshalb wagt er nirgends über seinen Zustand zu sprechen.
00:33 Uhr
Eine Frau erzählt, dass sie das Resultat einer Vergewaltigung ist. Auch sie selber wurde vergewaltigt. „Es kommt die Hölle“, sagt sie. Drei Freunde haben sich schon umgebracht und auch sie will nicht mehr leben. „Die Telefonseelsorge ist ein Gottesgeschenk für arme Leute“, sagt sie.
01:36 bis 6.22 Uhr
In dieser Zeit kommen neun Anrufe und fast alle betreffen Menschen mit psychischen Krankheiten. Fast alle hören Stimmen, die sie wecken, haben Angst vor der Angst. Eine Frau bittet um das Gebet, denn sie ist allein, allein gelassen.
05:20 Uhr
Ein Mann kündigt an, aus dem Fenster zu springen. Ich komme kaum dazu, zu sprechen. Schon legt er auf und lässt mich ratlos und zweifelnd zurück.
Der Dienst geht zu Ende und ich übergebe an meine Nachfolgerin. In dieser Nacht gab es 22 Anrufe bei der Telefonseelsorge 142. Denn sie wissen: „Hier hört ein Mensch.“
Autor:TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag |
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