Philosophin Ariadne von Schirach im Interview
Schönheit, Liebe, Humor

„Keiner von uns ist je fertig“: Philosophin Ariadne von Schirach 
plädiert dafür, das Leben als Übung zu begreifen. | Foto: Rahel Taeubert
  • „Keiner von uns ist je fertig“: Philosophin Ariadne von Schirach
    plädiert dafür, das Leben als Übung zu begreifen.
  • Foto: Rahel Taeubert
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Was ist Glück? Die Philosophin Ariadne von Schirach hat dieser Frage ein sehr praktisches, weil selbst erprobtes Buch gewidmet. Ein Gespräch über den täglichen Neuanfang, Demut – und Bauchmuskeln.

Wenn man Ihr Buch liest, hat man das Gefühl: Für das Glück muss man ganz schön was tun. Was haben Sie heute schon für Ihr Glück getan?
Ariadne von Schirach:
Tun muss man immer was, auch für‘s eigene Unglück! (lacht) Aber, ja, ich habe meditiert und Yoga gemacht, mein Bett frisch bezogen – was für eine Freude! Ich habe den Mann umarmt, das Kind geküsst und der Katze Frühstück gemacht – all das macht mich glücklich.

Das klingt leicht und angenehm. Was ist mit dem Schweren?
Schirach:
Wir reden viel zu wenig darüber, dass Menschsein an sich eine schwierige Sache ist und oft wehtut. Wir müssen uns um unser Leben kümmern, oder wir verkümmern. Die Philosophie fragt: Wie richtest du dich so in deinem Leben ein, dass du mit all dem Guten und all dem Schlechten, was da ist, zufrieden leben kannst? Dass wir für Glück und Zufriedenheit etwas tun müssen, vergessen wir immer wieder. Aber es geht nicht ums Ankommen, sondern ums Weitermachen. Diese Demut verbindet die Philosophie auch mit dem Glauben. Wahnsinn dagegen ist, zu sagen, „ich hab‘s schon geschafft“.

Was sollen wir stattdessen sagen, „ich hab‘s noch nicht geschafft“?
Schirach:
Keiner von uns ist je fertig. Wir bleiben ein Leben lang Übende. Jeder Mensch ist ein Flickenteppich aus Versuch, Scheitern und Neuanfang. Daran dürfen wir uns immer wieder erinnern. Das ist das Liebevolle. Übung heißt, jeden Tag ein Steinchen auf den richtigen Haufen legen. Das ist das Strenge. Um glücklich zu leben, brauchen wir beides: das Liebevolle und das Strenge.

Was heißt Spiritualität für Sie?
Schirach:
Ich gehe lieber selbst wandern als Wanderkarten zu studieren. So gesehen bin ich eine klassische Mystikerin. Wenn wir unserem Leben einen tieferen Sinn geben wollen, müssen wir über das Ganze nachdenken, hin zu etwas, das über uns hinausweist. Daran glaube ich: Dass ein Mensch auf sein Leben Antwort geben soll und Verantwortung dafür trägt. Das ist schwer. Und wir sind bequem. Aber, wenn wir es nicht selbst machen, hatschen wir in den Gedanken anderer Leute herum.

Sie sprechen in Ihrem Buch von „Selbsterziehung“. Selbstoptimierung lehnen Sie ab. Wo verläuft die Grenze?
Schirach:
Selbsterziehung heißt für mich, ins Gespräch darüber zu kommen, wer wir sind und wer wir sein sollten. Wir müssen uns selbst auf eine Weise in die Hand nehmen, uns nicht einfach treiben lassen. Alles Gute in der Welt ist auch ein Resultat von Selbstüberwindung. Selbstoptimierung dagegen heißt, nur an einzelnen Aspekten zu arbeiten, z.B. Bauchmuskeln zu trainieren, aber die Verbindung zum Ganzen zu verlieren.

Was gibt Ihnen Kraft zum Leben?
Schirach:
Die Schönheit und die Liebe und der Humor. Diese drei. Von allen ist der Humor das Größte. Oder, ich glaube, doch die Liebe! (lacht)

Zum Weiterlesen:
Ariadne von Schirach: Glücksversuche. Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen. Tropen Verlag 2021.

Ariadne von Schirach in Innsbruck:
Konzertreihe toninton, 27.6., 19h, Stadtforum Innsbruck.
26.6.: Reimer Gronemeyer, 28.6.: Robert Pfaller.
Weitere Infos: https://btv.at/veranstaltung/toninton/

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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